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Laut, hart, provokant - Rammstein ist weltweit eine der erfolgreichsten deutschen Bands. Jetzt sagen weibliche Fans, dass der Frontmann Till Lindemann seine Macht als Star ausgenutzt haben soll, dass für ihn ein System erschaffen worden sei, bei dem Frauen gezielt für sexuelle Handlungen gecastet wurden. Rammstein bestreitet die Vorwürfe.
Rammstein - Grenzüberschreitung mit viel Pyrotechnik und eine aufwändige Bühnenshow. Unverwechselbar auch Till Lindemann am Mikrofon - ein scheinbar begnadeter Selbstdarsteller, der seine Männlichkeit inszeniert.
Das hat die Gruppe schon in den 90er Jahren mit einem ihrer ersten Hits: "Du hast" weltweit bekannt gemacht. Ein Konzertmitschnitt auf Youtube wurde rund 56 Millionen mal geklickt.
Seit einer Woche steht die Band wegen mutmaßlichem Machtmissbrauch ihres Frontmanns in der Kritik. Was ist da los?
Die Musikjournalistin Jenni Zylka schreibt unter anderem für den Rolling Stone, sie kennt die Band seit Jahren.
Jenni Zylka, Musikjournalistin
"Was mich wundert ist ein bisschen der Aufschrei, der jetzt durch die Medien geht. Oh Gott, im Musikbusiness gibt es MeToo und misogyne Strukturen und Sexismus. Natürlich gibt es die da. Unsere ganze Gesellschaft ist so geprägt und natürlich ist es logisch, dass es gerade in der Musikbranche so ist. Jedes Genre ist männlich geprägt, egal ob Klassik, Pop, Rock oder Jazz. Die sind alle männlich geprägt. Überall, wo Machtstrukturen bestehen und die bestehen natürlich ganz klar bei jemandem, der auf der Bühne steht, zu jedem, der vor der Bühne steht, da haben die auch was mit Gender zu tun. Das ist in Rockmusik nicht anders."
22. Mai - Auftaktkonzert zur großen Europatournee von Rammstein, in Vilnius. Danach postet die Irin Shelby Lynn Fotos und Videos – zeigt blaue Flecke, sagt, jemand habe ihr etwas in den Drink getan, und beschuldigt Frontmann Till Lindemann, er sei aggressiv geworden, weil sie kein Sex mit ihm gewollt habe.
Rammstein reagiert sofort auf Twitter und bestreitet die Vorwürfe.
Plötzlich melden sich viele junge Frauen, behaupten, es gäbe ein System Lindemann. Eine Russin soll die Frauen gezielt gecastet und dann hinter der Bühne dem Sänger zugeführt haben.
Die Influencerin Kayla Shyx erzählt das auf Youtube, millionen Mal geklickt.
Ausschnitt: Kayla Shyx
"Nichts wurde mir davon gesagt, dass ich in einer Umkleidekabine mit zwei Couches und Alkohol, mit meinem Handy abgegeben, irgendwie von Lindemann ausgesucht werden soll. So ein Scheiß. Da wusste ich, okay, ich muss hier sofort raus, bevor hier verfickt noch mal ein 60-jähriger Mann reinspaziert. Ich bin grad hier, als potenzieller Fick."
Inzwischen hat Till Lindemann die Anwaltskanzlei Schertz und Bergmann eingeschaltet - Sie schreiben:
"Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr. Wir werden wegen sämtlicher Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten."
Im Netz entwickelt sich schnell ein pro und Contra Rammstein. Fans der Band posten unter dem Hashtag "I stand with Rammstein" Solidaritätserklärungen. Offensichtlich fällt es vielen schwer, zu akzeptieren, dass ihre Idole auch fehlbar sein könnten.
Einige der Frauen, die die Vorwürfe publik gemacht haben, werden bedroht. Auf Shelby Lynn wird gar ein kopfgeld ausgesetzt - "Victim Blaming" ist ein generelles Problem, so die Rapperin und Wissenschaftlerin Lady Bitch Ray.
Reyhan Sahin aka Lady Bitch Ray, Rapperin und Wissenschaftlerin
"Ich finde es einfach krass, dass es von vorne herein, dass alle betroffenen Frauen, egal wer über sexuelle Gewalt oder Missbrauch oder Vergewaltigungsvorwürfe spricht, dass das von vorne herein gesellschaftlich als gelogen oder als "die wollte das doch, die hat sich doch so angezogen, ja warum gehen die denn ins Backstage?", dass das gleich diffamiert wird und das halt "Victim Blaming" betrieben wird. und das finde ich ziemlich schade."
In München spielt die Band seit Mittwoch ihre ersten Deutschlandkonzerte. Aftershowpartys sind abgesagt und ein Awareness-Team ist im Einsatz, soll unterstützen bei Übergriffen oder sexualisierter Gewalt. Auch aus der Politik kommen die Rufe nach "Safe Spaces", um alle bei Konzerten zu schützen.
Katharin Ahrend ist Leiterin der Awareness Akademie bei der Berliner Clubcommission. Seit Jahren arbeitet sie mit der Clubszene am Aufbau von Strukturen, die das Feiern sicher machen. Awareness-Teams allein sind für sie keine Lösung.
Katharin Ahrend, Awareness-Leitung, Clubcommission
"Man sagt ja immer, der Fisch stinkt vom Kopf her und deswegen muss man auch da anfangen und sich dann runterarbeiten in alle Bereiche. Es muss von innen kommen. Es muss in den Strukturen der Band anfangen, das muss in den Strukturen der Industrie anfangen. Und wir müssen uns gegenseitig überprüfen und kontrollieren und gucken, wo stehen wir da, wo wir uns hin entwickelt und das nicht sich selbst überlassen, weil der Musikmarkt selbst, der wird es aus sich heraus nicht richten. Das sehen wir ja."
Rammstein ist ein Big Player in der deutschen Musikindustrie. Sie spülen viel Geld in die Kassen von Labels und Veranstaltern. Klar, ist die Branche also auch abhängig von der Band. Gerade aber ist die sonst so laute Musik-Szene ganz leise. Keiner der von uns angefragten Veranstalter wollte reden.
Katharin Ahrend, Awareness-Leitung, Clubcommission
"Ich frage mich, wo ist die Solidarität? Wo ist der Aufschrei? Wo sind die Leute mit Reichweite aus der Musikindustrie, die sich da positionieren und sagen hier muss sich jetzt wirklich was verändern und wir müssen uns alle mal fragen, was unser Anteil daran ist. Und was ist hier eigentlich los? Das fehlt ja alles total. Und ich glaube, dass es junge Frauen und vielleicht Mädchen und andere Personen gibt, die Fan sind und die zu jemandem aufblicken und deswegen viel bereit sind, auf sich zu nehmen."
Immerhin, der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft reagiert. Seit Anfang des Jahres arbeiten sie vermehrt an Awareness Strukturen für die Konzerte.
Johannes Everke, Geschäftsführer Bdkv (Bundesverband der Konzert und Veranstaltungswirtschaft)
"Wir schauen doch alle sehr aufmerksam darauf. Und es könnte ja auch sein, dass sich das zu so einer Meetoo der Veranstaltungsbranche entwickelt. Was allerdings bedeutet, dass das ganze auch auf einen schon sehr vorbereiteten Boden fällt. Wir sind schon mit Konzepten, mit Beratungsstellen für sexuellen Missbrauch. Mit solchen Instrumenten sind wir schon am Markt und sind auch schon weit gekommen. Insofern trifft es uns nicht unvorbereitet."
Aber Johannes Everke sagt auch, da ist noch Luft nach oben.
Til Lindemann schreibt schon seit den frühen 90er Jahren Gedichte. Zuletzt ist bei Kiepenheuer und Witsch - 100 Gedichte - erschienen. Da steht in "Wenn Du schläfst" unter anderem:
"Ich schlafe gerne mit dir wenn du schläfst, wenn du dich überhaupt nicht regst."
Außerdem:
"Und genauso soll das sein (so soll das sein, so macht das Spaß), etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas)."
Rohypnol ist ein Betäubungsmittel - eine Vergewaltigungsphantasie als Gedicht. Aus heutiger Sicht noch verstörender - aber Kunst und Künstler sind nicht gleichzusetzen, so Jenni Zylka.
Jenni Zylka, Musikjournalistin
"Bei den Texten würde ich schon danach gehen, dass ich tatsächlich Kunst und Künstler oder Künstlerin trennen möchte. Was mich wirklich schockiert ist, dass wenn das so ist, wie die Frauen sagen und das ist, wie gesagt, bis jetzt nur mutmaßlich, dann ist das wirklich schockierend. Das müssen Leute gewusst haben drum herum und das sind Leute, die ich teilweise auch kenne, also diese ganzen Menschen, die im Musikbusiness da arbeiten und da sind auch viele Frauen natürlich. Dann schockiert mich das wirklich, dass das passieren konnte und dass so viele Menschen wussten, dass die ganze Band das wusste. Das kann ich kaum fassen."
Autorin: Nathalie Daiber