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Der Autor Necati Öziri lebt in Berlin und hat am Maxim Gorki als Theatermacher Erfolge gefeiert. Schon auf der ersten Seite seines Debütromans "Vatermal" wird klar: Es geht an die Substanz. Der Erzähler ist ein sterbender Mann, der an seinen Vater schreibt, den er nie kennengelernt hat. Öziri erzählt mit unglaublicher Wucht und Sinnlichkeit.
Das Einzige, was Arda von seinem abwesenden Vater geblieben ist: Ein dunkler Fleck unter dem Auge. Ein Vatermal.
Necati Öziri, Schriftsteller
"Arda wird bei jedem Blick in den Spiegel daran erinnert, dass es etwas gibt, was ihn mit seinem Vater, den er ja eigentlich gar nicht kennt, verbindet."
Der junge Literaturstudent Arda liegt im Krankenhaus: Organversagen. Er schreibt im Angesicht des Todes an seinen unbekannten Vater, den er nur aus den Erzählungen seiner Schwester kennt. Er ist von ihnen weggegangen. Warum? Hat ein neues Leben in der Türkei dem Leben mit seiner Familie in Deutschland vorgezogen. Warum? Arda berichtet schonungslos von seinem Aufwachsen ohne den Vater, und von dem Schmerz, den dieser hinterlassen hat.
Necati Öziri, Autor
"Du sollst wissen, wer ich gewesen bin. Damit du niemals die Erleichterung fühlst, von der ich so oft heimlich träumte: von einem Toten angeschwiegen zu werden. Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war."
Necati Öziri, Autor
"Und gleichzeitig ist es aber natürlich für Arda auch so, dass er natürlich Antworten von seinem Vater will und dann aber ins Erzählen kommt und feststellt, dass er sich diese Antworten eigentlich selbst geben muss. Und ich glaube, das ist ein Moment, zu dem können relativ viele connecten – ich glaube, wir alle wollen auf eine Art Antworten von unseren Eltern und stellen fest, dass wir uns diese Antworten leider sehr oft selbst geben müssen."
Necati Öziri hat mit "Vatermal" einen Briefroman geschrieben, der keine Antwort erwartet. Er berichtet von Ardas Leben mit seiner überforderten Mutter Ümran und seiner Schwester Aylin in der kleinen Wohnung. Er erzählt, wie die Familie zerbricht - auch seine Schwester irgendwann geht und zu einer Pflegefamilie kommt. Auch Mutter und Schwester werden im Roman gehört, auch ihnen verleiht Necati Öziri eine Stimme.
Necati Öziri, Autor
"Es ist nie so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht. Mir geht es nicht so sehr darum, Helden- oder Heldinnen-Geschichten zu erzählen. Genauso wenig wie ich versuche, meine Figuren als Opfer der Verhältnisse einfach nur zu zeigen. Ich versuche wirklich dreidimensionale Menschen da hinzustellen, die nahbar sind, die ich am liebsten umarmen möchte."
Vatermal erzählt auch vom Aufwachsen des jungen Arda im Ruhrgebiet. Der Suche nach der eigenen Identität, denn: Arda ist ein Staatenloser, der lange Tage im Ausländeramt verbringt, um einen deutschen Pass zu erhalten. Die große Leerstelle aber ist der abwesende Vater. Wie autobiografisch der Roman ist, bleibt offen.
"Ich werde von mir erzählen, aber ich werde permanent lügen. Nichts stimmt, und doch ist jedes Wort wahr."
Necati Öziri, Autor
"Man beginnt immer mit den eigenen Erinnerungen, mit der eigenen Erfahrung, und dann fiktionalisiert man. Und das ist tatsächlich das Schöne an der Literatur, dass das beginnt, ein Eigenleben anzunehmen. Ich persönlich stelle mir das immer so vor, wie Kinder zu haben. Also die Figuren, die sind irgendwie ähnlich, aber sind irgendwie auch eigenständige Wesen. Und nichts hassen die mehr, als wenn du die einfach nur als Erweiterung deiner selbst siehst. Richtig gutes Schreiben ist eigentlich ein den Figuren zuhören."
Necati Öziri, Jahrgang 88, aufgewachsen im Ruhrgebiet. Zunächst schreibt er Texte für Theater wie das Maxim Gorki. 2021 liest er beim Ingeborg-Bachmann-Preis, erhält dort den Kelag-Preis und den Publikumspreis. Vatermal ist sein erster Roman und jetzt für den Deutschen Buchpreis nominiert. Mit seinem Debüt hat er einen Nerv getroffen.
Necati Öziri, Autor
"Wenn ich darüber nachdenke, wie viele Leute mir, nachdem sie den Roman gelesen haben, geschrieben haben. Das ist unfassbar. Ich krieg’ so viele Nachrichten, in denen die Leute sagen, dass sie auch einen Sohn haben, der ohne Vater aufwächst. Dass sie das Buch ihren Eltern gegeben haben und damit mit ihren Eltern ins Gespräch gekommen sind. Und das ist fast das Schönste, was die Literatur schaffen kann, nämlich eine Begegnung."
Autor: Max Burk