Sendung vom 25.01.1997 - Böwe, Kurt

Günter Gaus im Gespräch mit Kurt Böwe

Tach, Du rote Socke

Kurt Böwe, Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin, einem weltberühmten Theater. Aber Böwe ist auch ein Schauspieler gewesen im Fernsehen und im Film. Im Fernsehen vor allem bekannt geworden als Kommissar Groth in der Serie „Polizeiruf 110“. Böwe, 1929 im Brandenburgischen geboren, kleinbäuerlicher Herkunft, hat das Theater durchaus auch verstanden als ein Agitationsinstrument, um die Idee des Sozialismus zu propagieren. Böwe will sich jetzt ein bisschen mehr zurückziehen. Er ist in zweiter Ehe verheiratet mit einer ehemaligen Schauspielerin und Dramaturgin, hat aus zwei Ehen vier erwachsene Kinder.

Gaus: Sie haben gelegentlich von sich gesagt: Wenn ich, Schauspieler Kurt Böwe, so daherkomme, vor allem im Fernsehen als Kommissar Groth in der Serie „Polizeiruf 110“, dann bringe ich die ganze DDR mit ins Spiel. Was meinen Sie damit, Herr Böwe?

Böwe: Das will ich gern erläutern. Ich fürchte, es ist die Wahrheit. Zumal dieser Alte, der geschlagene …

Gaus: Der Kommissar Groth?

Böwe: Der Kommissar Groth, der wie ich auch die Schlacht verloren hat, läuft nicht mehr so senkrecht und aufrecht. Er läuft offenbar etwas gebeugt, der Last dieser Welt nicht mehr so gewachsen. Aber – wie wir bemerken werden – im Geiste ist er durchaus noch tragfähig. Denn er hat ja ein Terrain, das er bedenken kann. Das ist ein Vorteil. Ein Verlust hat auch etwas Vorteilhaftes. Also läuft er darum …

Gaus: Er kommt aus DDR-Polizeidiensten?

Böwe: Der ist Chef gewesen, in Parchim. Meine Heimat, wo ich herkomme, ist zwischen Parchim und Kuglitz, falls das jemandem bekannt ist.

Gaus: Aus dem Mecklenburgisch-Brandenburgischen.

Böwe: Aus dem Mecklenburgisch-Brandenburgischen. Meine Heimat.

Gaus: Der Groth war Polizeikommissar der Volkspolizei in Parchim.

Böwe: So ist es.

Gaus: Nicht ganz abgewickelt, sondern ...

Böwe: Nein, er ist wieder zurückgekommen, weil man dachte, er wäre ein ganz schlauer Fuchs, ein Talent, das die Dinge riecht, durch gute Nachrichten, die er überall hat. Das heißt, er kann gut gucken und gut riechen. Nun ist er das geblieben, aber er kann natürlich nicht mehr Chef werden, was ihn – glaube ich – nicht zu sehr grämt. Er hat dafür einen jungen Aufsteigerbeamten, von denen es hier bei uns sehr viele gibt. Das ist ein Blondhaar. Viele verwechseln ihn mit einem Wessi, doch er ist ein Sachse, und der ist bereit und willig, eine große Karriere zu machen. Was Groth ihm mit einem kleinen ironischen Unterton auch gerne wünscht. Und dies ist eigentlich – wenn Sie so wollen – meine letzte Kundgebung oder auch meine Sympathiebekundung. Ich will gleichsam mit dieser Figur den Leuten, die abgewickelt wurden ...

Gaus: ... mit der DDR ...

Böwe: ...und zu nichts mehr tauglich sind, denen möchte ich gern Mut machen: Wir sind noch nicht alle verloren. Das ist eigentlich der geheime Trick. Ich hoffe, es funktioniert auch so. Und, Herr Gaus, er hat einen Beutel. Dieser Beutel ist mehr wert als ich selber. Denn: Für mich ist dieser Beutel – den hätte ich hier gerne noch einmal gezeigt, der liegt dort hinten in der Garderobe – ein DDR-Syndrom. Warum? Ein DDR-Bürger, wenn er denn leben wollte, brauchte auch immer einen Beutel.

Gaus: Für ein Schnäppchen!

Böwe: Ja. Wir waren ja Gott sei Dank keine Überflussgesellschaft, das hat immer zwei Seiten, wissen Sie… Wenn es plötzlich doch Apfelsinen oder Bananen gab, stellte man sich an, und dann fragte die Verkäuferin: Haben Sie einen Beutel? Da konnte ich drei Beutel zugleich zeigen, denn es waren zwei drin, wie bei der Matrjoschka.

Gaus: Herr Böwe, Sie haben in dieser Serie „Polizeiruf 110“ den aus der DDR-Zeit stammenden Kommissar Groth im gesamtdeutschen Polizeidienst, aber immer noch im Osten spielend, dargestellt, und Sie haben ihn eben beschrieben und erklärt: Mit ihm kommt die ganze DDR ins Spiel. Da gibt es eine Szene, da werden Sie begrüßt von einem Mitspieler mit dem Satz: „Tach, du rote Socke“. Haben Sie das reingeschrieben?

Böwe: Ja. Weil: Ich wollte die Wahrheit sagen. Und warum soll er nun schwarze Strümpfe tragen?

Gaus: Sie haben angekündigt, Sie würden aus dem festen Ensemble des Deutschen Theaters, eines der weltberühmten Theater, die die DDR hatte, ausscheren. Sie würden zwar noch weiterspielen, aber nicht mehr im festen Engagement. Sie werden etwas kürzer treten. Ist das sozusagen nachfolgend auch ein Abschied aus DDR-Zeiten, wo jetzt – wir kommen auf die Biographie zur Person Böwe – jemand Ihres Alters, Jahrgang 29, sagt: Nun ist es ein bisschen an der Zeit? Oder ist es Mangel an Motivation? Oder ist es eine Mischung aus beidem und noch mehr?

Böwe: Es ist – glaube ich – viel mehr noch. Aber ich will mich auf eines beschränken. Es ist tatsächlich Mangel an Motivation. Ich sehe am Ende dieses Jahrtausends – wir haben noch drei Jahre Zeit – wenig Hoffnung. Es ist eigentlich etwas, was mich nicht gerade motiviert.

Gaus: Nicht motiviert, Theater zu spielen?

Böwe: Ich stand da oben immer mit der Hoffnung, nicht die Leute zu Besserem zu bekehren, wie Faust sagt – nein, ich stand da oben, um den Leuten einfach Hoffnung zu machen. Auch als kritischer Denker, der ich da oben stand und sich mit der DDR-Wirklichkeit auseinandersetzte. Sehen Sie, wir konnten ja da oben nicht das „Neue Deutschland“ vorlesen, wir waren – sonderlich in der Spätphase der DDR im Deutschen Theater – sehr kritische Leute, und die Zuschauer verstanden uns und kamen. Nun, da wir alles verloren haben, und ein anderes Publikum haben im Deutschen Theater – die Ostler sind weggeblieben, weil sie es nicht mehr bezahlen können, die Westleute sind gekommen –, schauen wir uns manchmal etwas verwundert um.

Gaus: Ich werde auf einzelnes zu fragen kommen. An dieser Stelle gefragt: Wenn Sie ein Wissenschaftler gewesen wären, wären Sie wegen Staatsnähe abgewickelt worden, aus Ihrem Amte entfernt. Nun waren Sie durchaus ein Staatsnaher, eine rote Socke, ein staatsnaher DDR-Hofschauspieler sozusagen ...

Böwe: ... vielleicht nicht ganz.

Gaus: Ein Schauspieler – nicht abgewickelt, sondern aus Mangel an Motivation selber ein wenig zurücktreten. Ist das der Bonus, den man aus der Narrenfreiheit des Schauspielers gewinnt im Vergleich etwa zu einem Staatsfunktionär, einem Wissenschaftler?

Böwe: Das glaube ich nicht, dass das etwas damit zu tun hat. Ich weiß nur, wenn ein Mann da oben steht, der nicht mehr weiß, warum er da steht, muss er abtreten. Der Schauspieler lebt nur von seiner eigenen Existenz. Er hat nichts anderes: Er sieht so aus, wie er ist, und er ist so, wie er ist. Wenn er nicht mehr reden kann, weil er kein Motiv hat, muss er lieber schweigen, denke ich. In den Wind hineinzureden, hat dann keinen Sinn. Und im Übrigen, bedenken Sie, Thomas Mann, den ich verehre, hat es gesagt: Die Schauspielerei ist eine von den Künsten, die am hemdsärmeligsten ist. Das heißt: Wir sind so unabdingbar den Leuten ausgesetzt, dass wir nicht umhin können zu reden, was entweder fruchtet oder nicht. Die Leute klatschen oder nicht. Das ist ein Entweder-Oder-Spiel, dieses Theater. Es hat seine Wirkungen jetzt zu haben und nicht übermorgen. Sie können ein Buch hundert Jahre liegenlassen, einen Schauspieler können Sie nicht hundert Jahre liegenlassen. Dann fault er.

Gaus: Die Teilung Deutschlands – dauert sie nach Ihrem Eindruck an?

Böwe: Ich rede mal einfach von mir. Ich habe zwar jetzt einen Pass, da steht drin, dass ich ein Bundesbürger bin. Ich weiß nicht, was ich damit soll. Wer vierzig Jahre hier gelebt hat und sich dazu bekannt hat über weite Strecken und am Ende kritischer, das versteht sich für einen intelligenten Menschen, weiß nicht, wie ihn der Zustand im Moment erfüllen sollte. Für die Westdeutschen ist das leichter. Aber für uns ist das allemal schwieriger, wir verlieren – glaube ich – erst mal unsere Identität. Wollen wir da ruhig dabei bleiben? Und das ist ein schwerer Verlust, den möchte ich mir nicht verlieren lassen.

Gaus: Und von daher dauert für Sie auch die Teilung noch an?

Böwe: Absolut. Denn man will mir eigentlich diese vierzig Jahre ausreden. Ich habe aus diesem Grunde ein Buch geschrieben, um zu beweisen: das ist ein Leben, das einen Sinn hatte. Den lasse ich mir nicht wegdiskutieren.

Gaus: Zur Person Kurt Böwe. Geboren am 28. April – die Quellen changieren da ein bisschen. Ist es der 28. oder der 29.?

Böwe: Es ist der 28. April.

Gaus: Jetzt sind Sie schuldig für das Datum.

Böwe: 1929.

Gaus: Da wechseln die Quellen nicht. Ich darf mich stolz jemand Ihres Jahrgangs nennen.

Böwe: Das freut mich.

Gaus: Kein so schlechter Jahrgang.

Böwe: Das meine ich auch.

Gaus: Christa Wolf, Heiner Müller.

Böwe: Gaus.

Gaus: Zur Person Kurt Böwe. Geboren am 28. April 1929 in Reetz, einem brandenburgischen Dorf in der Prignitz nahe bei Perleberg. Kurt Böwe ist eines von sieben Kindern kleinbäuerlicher Eltern. Der Vater ist ein dominierender, gestrenger Mann. Das alles weiß ich unter anderem aus Ihrer Biographie, die Sie erwähnt haben, und die Sie mit Herrn Schütt zusammen gemacht haben. Der Vater ist ein dominierender, gestrenger Mann, die Mutter hat es zu leiden. Der heranwachsende Kurt Böwe hat schweres Asthma, was eine Sonderrolle auf dem kleinen Hof schafft. Jetzt im Alter, Herr Böwe, kommen die Erinnerungen stärker: Was sagen Sie Ihnen über das Elternhaus und über die Familie? Was bedeutet Ihnen heute der Rückblick auf diese Herkunft?

Böwe: Ich habe dort meine Prägung erfahren. Das betone ich. Und ich habe sie nie verloren. Das hat mich gerettet. Ich habe meinen Ursprung nicht geleugnet, ich konnte es auch gar nicht. Das heißt, ich habe dazugelernt. Mein Urgrund blieb immer bäuerisch-plebejisch. Ich habe auch nicht, wenn ich dorthin zurückgekommen bin, die kritische Elle angesetzt, sondern ich wurde immer empfangen als einer der ihren. Diese Familie ist 1914 in dieses kleine Dorf gekommen. Am Ende dieses Jahrhunderts wird von dieser Familie niemand mehr übrig bleiben. Das heißt, es ist fast ein biblisches Jahrhundert – eine Familie kommt, und der Wind weht sie fort. Das alles bringt mich immer wieder dazu zu überlegen, was denn das sei, dieser Ursprung und das bissel Zukunft? Das ist eine enorme Spannung.

Gaus: Sie, Herr Böwe, machen 1949 Abitur in Kyritz an der Knatter. In dem schon erwähnten Buch wird festgestellt, dass Sie einem Haus entstammen, in dem es kein Buch gab, die Bibel konnte man vom Pastor holen, wenn sie benötigt wurde. Nun machen Sie Abitur. Das Elternhaus ist als kleinbäuerlich charakterisiert worden. Später, ich greife vor, werden Sie Mitglied der SED, die Roten, wie man das auf manchen Dörfern genannt hat und nennt. Und nun noch die höhere Bildung, das Abitur, Universitätsstudium. Sie sagen: Ich habe da keine andere Elle angelegt an meine Familie. Gab es eine Entfremdung zwischen Ihnen, den Geschwistern, dem Elternhaus, weil Sie plötzlich ein anderes Deutsch gesprochen haben – eine höhere Bildung? Gab es eine Schwelle, gab es eine Distanzierung?

Böwe: Nein, ich glaube nicht. In dem, wie ich mich wandelte – nicht in dem, wie ich mit ihnen sprach. Ich redete mit ihnen, wie sie mit mir redeten. Sie waren vielleicht doch ein wenig stolz auf mich, weil ich ja zur Universität kam. Sie wussten zwar nicht, was das war, was ich da studiert habe. Meine Mutter wollte selbstverständlich, dass ich Doktor werde. Ich selbst war geschlagen seit dem vierten Lebensjahr mit dem Asthma. Da kam immer ein Mann, so ein Doktor, mit einem großen Hut auf einem zweirädrigen Karren, und da fand ich, das solltest du vielleicht auch werden. Das ist was sehr Gutes.

Gaus: Nun wurden Sie das nicht, sondern Sie gehörten zum fahrenden Volk – wo man die Wäsche von der Leine hängt –, und konnten auch noch Hochdeutsch sprechen. Also, wie war es mit der Familie?

Böwe: Solange ich an der Universität war und ein honoriger Mensch, konnten sie sagen: Kurt ist an der Humboldt-Universität. Das war ja schon was. Aber nun driftet er ab und geht unter diese Verbrecher, unter diese Puppenspieler. Plötzlich gehörte ich zu den Komödianten, worüber man im Norddeutschen sagt: Hände weg, Wäsche weg, die Komödianten kommen! Zu denen gehörte ich plötzlich. Mein ältester Bruder war so erbost, dass er gesagt hat, er würde zu diesen Verbrechern gehen, er würde sich mit diesem Regisseur, der mich angeworben hat, eigenhändig prügeln, dass er mich guten Menschen in einen solchen Sog gezogen hat.

Gaus: Da war nicht das Rote das Problem, sondern die Schauspielerei?

Böwe: Mit dem Roten hatte das keine Bewandtnis. Das kümmerte sie wirklich wenig. Ich glaube nicht, dass sich auf diesem Dorfe mit diesem Problem überhaupt jemand auseinandergesetzt hat. Meine Schwester bekam ein rotes Fahrrad, da sagte sie: Rot ist keine Farbe für mich. Das war der Kommentar zur Weltgeschichte.

Gaus: Aber war es nicht so, dass Ihr Bruder, der Älteste, dann Direktor wurde bei einer Getreidemittelfabrik? Ist da nicht gesagt worden: Wenn du zu den Roten gehst – was er ein bisschen musste, nachdem er da Direktor werden sollte –, dann ist Schluss?

Böwe: Die Frau hat gesagt: Dann lasse ich mich scheiden.

Gaus: Das Rote hat doch was bedeutet?

Böwe: Für ihn, da er ja was werden wollte. Meine Schwester wollte nicht, der Mann war Dachdecker. Aber wenn einer nun in der Hierarchie aufklettert und die rote Nadel anstecken musste ...

Gaus: Aber dass Sie das taten, hat der Familie nichts bedeutet?

Böwe: Nichts. Ich bin ja auch erst 1964 da reingegangen. Ich war ein Spätentwickler. Mich hatte der Stalin gestört. Solange der da war, kam ich sowieso nicht darauf, in den Verein einzutreten. Als ich dann darauf kam, war es weit nach der Mauer. Dieses Problem war abgegessen. Da war ich sowieso der Ausgestoßene, da war ich unter die Schauspieler gegangen. Und nun warteten sie: Wird er denn nun berühmt? Er trat im Fernsehen auf. Da mussten die Frauen immer gucken und die Männer auch. Meistens war es ein wenig langweilig, dann kriegte ich wieder Prügel. Und wenn ich dann zwei Monate oder zwei Jahre nicht drin war, sagte mein dicker Bruder, der mein Präsident war: "Kurt, was is los mit dir, bist wohl weg vom Fenster, was?" Habe ich immer gesagt, dass das Quatsch sei. Das Problem der Schauspielerei war: Wenn da einer nichts wird, und das ist der Bruder, kann man den nicht mehr vorzeigen. Das ist eine bittere Sache.

Gaus: Wenn du zu den Roten gehst – von Ihrer Schwägerin zum Bruder gesagt ... Er ist dann zu den Roten gegangen, obwohl er sicherlich nie ein Roter war.

Böwe: Er hat bei den Reden immer Jesus Christus und Karl Marx verwechselt.

Gaus: Wenn du zu den Roten gehst, lasse ich mich scheiden, hat sie gesagt. Ist dieses etwas, worunter Sie, ohne es der Familie zu sagen, gelegentlich gelitten haben, weil Sie trotz aller Zuneigung zur Familie, sich gedacht haben: Daran – nicht nur daran, aber daran auch – wird das, wofür ich mich engagiere, dieses andere Deutschland, scheitern. Haben Sie das empfunden?

Böwe: Ich glaube nicht. Dieses Zusammenleben mit meiner Familie war argloser als man denkt, weil bei ihnen die Politik keine vorstellbare Rolle spielte. Sie konnten sich politisch gar nicht artikulieren und dachten gar nicht daran. Es ging für sie ums Überleben. Es hatte keine große Folgerung.

Gaus: Geboren 1929. Gerade alt genug, um den Krieg noch wahrzunehmen, ihn zu begreifen, ohne von ihm geprägt zu werden. Schon alt genug, um den Frieden, jedenfalls das Nicht-mehr-Krieg-haben bewusst zu empfinden. Welche Hoffnungen, welche Erwartungen hat der junge Kurt Böwe in den frühen Nachkriegsjahren, in dem, was ich die Besinnungsjahre genannt habe? Welche Erwartungen hat der junge Kurt Böwe gehegt? Das sollte es nie wieder geben?

Böwe: Eines sollte es nicht mehr geben: Krieg. Und ein weiteres sollte es nach längerem Bedenken, wozu ich Gelegenheit hatte, ebenfalls nicht mehr geben: Nie wieder Faschismus. In der DDR – ich ging ja durch ihre Schule – bin ich nach und nach ein Mann geworden, der sich antifaschistisch in der Gesinnung nennen konnte. Das war das eine. Doch plötzlich, nachdem ich den einen Führer losgeworden war, kam ein neuer Führer, der der Kommunisten in Moskau – der Stalin. An den konnte ich mich freilich nicht mehr gewöhnen. Und das prägte mein Verhalten und meine Geschichte. Das hat mich auch daran gehindert, in die Partei einzutreten. Erst als dieser Stalin starb und Chruschtschow seine bedeutende Rede hielt, die ich im „Spiegel“ gelesen habe, trat ich ein.

Gaus: Das Theater, Herr Böwe, ist Ihnen in den Kopf und ins Gemüt gesetzt worden von einem Lehrer in Kyritz an der Knatter. Zunächst einmal haben Sie an der Humboldt-Universität in Ostberlin studiert – im Hauptfach Theaterwissenschaft.

Böwe: Germanistik und Theaterwissenschaft.

Gaus: Auf diesem Gebiet haben Sie als wissenschaftlicher Assistent Seminare abgehalten, haben doziert. Aber dann kam der Schritt von der Theorie zur Praxis. Wie ist es dazu gekommen? Wie ist der Theaterwissenschaftler, der Germanist, zum Theaterpraktiker, zum inzwischen gefeierten, berühmten Schauspieler geworden?

Böwe: Bei mir ist alles vom Zufall diktiert worden. Ich hatte die Schauspielprüfung am Deutschen Theater 1950 gemacht und wurde sogar angenommen. Aber ich gelangte in einen Kreis, der mir völlig fremd war. Ich war ein Dörfler, ein Mann, der ein wenig erbärmlich aussah, und die Leute dort sahen alle ganz anders aus. Das waren wirklich gute Bürgersöhne, die gute Lehrer hatten. Ich kam wie ein Trottel daher – und die haben mich genommen. Der Mann sagte mir: „Weißt du, Kurt, wir nehmen dich, ein bissel Asthma hast du zwar. Aber weißt du, mich freut, dass du vom Land kommst – wir werden nicht verhungern.“ Hui, schoss es mir in den Kopf: Du bist hier so etwas wie ein Arbeiter- und Bauernkader, die sie hier nicht haben, und du bist der Ersatzmann. Das spürte ich sofort. Ich ging hinüber zur Humboldt-Universität und fragte, ob ich studieren könne. Die sagten: Das können Sie ohne weiteres. So bin ich dahingekommen, aus Furcht vor den völlig fremden Leuten am Theater.

Gaus: Wie kam es dann zum Theater?

Böwe: Einmal habe ich die Germanistik gewählt, weil ich Plattdeutscher war, ich musste erst richtig hochdeutsch lernen. Ich ging zur Universität. Dort traf ich Leute, die, wie ich fand, durch die DDR mit Recht dahingeordert wurden. Ich wäre ohne die DDR auch nicht diesen Weg gegangen, das will ich bekennen. Das ist nun mal so. Also studierte ich das, wurde Assistent und durch einen Zufall Leiter der Studentenbühne der Humboldt-Universität.

Gaus: Und so kam es?

Böwe: Da wollte ich natürlich nicht spielen. Ich wollte nur mal sehen – ich war Assistent am Theaterinstitut -, wie das ist, wenn man ein eigenes Theater leitet: Du musst einen Regisseur suchen, du musst ein Stück suchen, Dramaturg war ich selber. Und da sagte man zu mir, wenn du hier nicht spielst, dann gehen wir nach Hause. Da saß ich in der Falle.

Gaus: Und was folgt?

Böwe: Ein Rattenfänger kommt. Er war damals für mich ganz interessant, er kam aus Senftenberg vom Maxim-Gorki-Theater. Er war ein etwas liberalerer Kopf.

Gaus: So kam es?

Böwe: So kam es.

Gaus: Sie haben gesagt, warum Sie zu Stalins Zeiten nicht in die SED eingetreten sind. Warum sind Sie dann eingetreten?

Böwe: Nach dem Bau der Mauer bin ich wie andere auch eingetreten. Verstehen Sie: die Mauer – sie wären uns ja fast alle weggelaufen. Hätten wir sie nicht gebaut, wären wir allein übriggeblieben. Wir glaubten, mit der Mauer unsere eigene Souveränität gewinnen zu können, es würde aufwärts gehen, wir könnten miteinander besser verfahren in der Kunst und im Geiste. Das glaubte ich, und bei dieser Gelegenheit trat ich leichtsinnig in die Partei ein. Ich will gleich die Wahrheit sagen: Ich bin sicher kein Parteimann, ich befinde mich als Individualist eigentlich immer in einem merkwürdigen Verhältnis zu einer Befehlsgewalt.

Gaus: Aber Sie wollen auch nicht durch diese Bemerkung eine heute kleidsame Distanz zwischen sich und Ihrer Parteimitgliedschaft legen?

Böwe: Nein, das habe ich gar nicht nötig.
Wir gingen nach Halle, und wir machten dort den Versuch eines sozialistisch-kritischen Volkstheaters. Das ist uns einigermaßen gelungen. Unser Gewährsmann war Sindermann, damals ein liberaler Kopf, und meine erste Rolle war Trullesand.

Gaus: Die Hauptfigur in dem Roman ‚Die Aula’ von Hermann Kant. Sie hatten Ihre ersten großen Erfolge als Schauspieler Ende der 60er Jahre in Halle. Die Truppe dort wurde von anderen Theaterleuten in der DDR verstohlen-abschätzig „die roten Brüder von Halle“ genannt. Sie haben Trullesand, Hermann Kant und ‚Die Aula’ erwähnt. Das war durchaus – auch nach Ihrem Selbstverständnis, wenn ich das richtig verstanden habe bei der Vorbereitung – Theater als Agitationsinstrument, um die Idee des Sozialismus, des Anders-miteinander-leben, zu propagieren. Völlig wertfrei gefragt: Was sagt Kurt Böwe heute dazu?

Böwe: Selbstverständlich fand ich das zunächst ganz wichtig, unser Erfolg sprach auch dafür. Wir versuchten ein Kollektiv zu sein, in dem demokratische Verhältnisse bei der Erarbeitung der Stücke hergestellt wurden. Nun, wir wissen inzwischen, Demokratie im Theater geht eigentlich nicht gut. Wir haben es versucht. Wir haben mit den Leuten gesprochen, wir haben uns eingemischt in ihre Probleme. Wir haben da nicht das ‚Neue Deutschland’ vorgelesen, sondern kritische Dinge vorgeführt, denn sonst wäre keiner zu den Vorstellungen gekommen. Jedenfalls machte das Spaß. Ins Bedenken kam ich durch Konrad Wolf 1972, der mich fragte, ob das, was ich da so mit Leidenschaft tat, nicht vielleicht doch problematisch sei. Da ist Wolf schuld. Er machte einen Film ‚Der nackte Mann auf dem Sportplatz’ und suchte einen, der so aussieht wie ich, nämlich wie die DDR. In dem Film sollte dieses merkwürdige Verhältnis zwischen Kunst und Realität hinterfragt werden. Er hatte bereits einen Versuch gemacht mit ‚Goya’, der ist ihm nicht gelungen. Jetzt machte er es noch einmal, und ich war der, den er dafür vorgesehen hatte. Dabei kam ich ins Bedenken über mich, über meine Existenz, denn ich wollte ja mal zum Deutschen Theater.

Gaus: Wohin Sie dann kamen. Aber noch einmal hier gefragt: Wenn man dieses nun schon öfter erwähnte Buch von Kant liest, und wenn man unser Interview bis zu diesem Punkt bedenkt, dann sagen Sie: Nein, nein, wenn in mir die DDR daherkommt, dann will ich das auch so haben. Wenn Sie jetzt sprechen, warum Sie wann in die SED gegangen sind, und wann Sie ins Grübeln kamen, klingt es nach mehr Distanzierung, als man aus dem Buch ablesen kann. Ich frage deswegen ganz gezielt: War alles ein Irrtum, oder waren es nur viele Irrtümer? War alles falsch, oder waren es große und kleine Irrtümer über die Menschen, wie sie sind, was sie leisten können, was man tut, was man besser nicht tut, Erziehungsdiktatur ja oder besser nicht, Menschen zu ihrem Glück zwingen oder besser nicht? War alles ein Irrtum, oder was war der größte Irrtum?

Böwe: Diese Irrtümer, die gebündelt zum Verlust geführt haben, werden nicht hindern, dass der Versuch nach einem solchen Zusammenleben erneut gemacht wird.

Gaus: Das wollen Sie?

Böwe: Das möchte ich auch. Ich werde das nicht erleben. Ich habe es aber versucht.

Gaus: Warum muss es gemacht werden?

Böwe: Es muss gemacht werden, weil die Welt, so wie Sie ist, wie mir scheint, ohne Hoffnung ist. Wenn die Welt den Gegenpol nicht mehr besitzt, wie es jetzt ist, eigentlich das Andere, das andere Ich des Menschen fehlt, dann kommt es zu keiner Entwicklung mehr. Davon bin ich überzeugt. Das ist auch der Grund, warum es am Ende dieses Jahrtausends doch sehr trüb aussieht. Da thront ein einziger, hat nun alles geschluckt, ist dick geworden – und da hinten liegt die Hoffnung, gleichsam am Rande. Sie wird wieder ins Zentrum gebracht, da bin ich ganz sicher.

Gaus: Sie haben in Ihr Buch einen Text aufgenommen von dem Regisseur Schroth, der 1969 oder 1970 in Halle als Regisseur gearbeitet hat, der damals 69/70 in einem Text sie zitiert und sagt: Irgendwann, als es um die Frage Bestätigungstheater, Agitationstheater oder Theater als moralische Anstalt oder l’art pour l’art ging, sei er, der Regisseur Schroth, an Ihnen in der Kantine vorbeigegangen und habe von Ihnen zu hören bekommen: Wir – SED-Mitglied Böwe – wir machen die Politik, Ihr macht die Kunst …
Es kann sarkastisch sein, es kann ein bisschen selbstironisch sein, es kann aber auch eine Warnung sein, eine Drohung. Wenn Sie sich selbstkritisch prüfen: Hat es Zeiten gegeben, wo Kollegen ein bisschen besorgt hätten sein müssen vor dem überzeugten Kurt Böwe?

Böwe: Das ist schon möglich. Wir beide – Schroth und ich – gingen mit Überzeugungen dahin, die die nämlichen waren. Nur mit der Zeit wurde es freilich anders. Ich war kein dominierender Faktor in dem Maße, dass ich die Leute unterdrückt hätte oder so. Sicher, man hat immer Angst vor einem, der da ein bissel mächtiger ist in seinem Umfang, das er als Talent mit sich herumträgt. – dass das eine politische Angst war…? Ich glaube, da hat wohl keiner denunziert, soweit wir das gesehen haben. Da hat nur jemand etwas lauter die Wahrheit gesagt. Und jeder hatte eine. Und alle sind wir an unseren Irrtümern zugrunde gegangen. Das ist wahr, das ist auch nichts Schlimmes, wenn man einfach fehlgeht. Oder?

Gaus: Nein. In den 70er Jahren sind Sie dann ans Deutsche Theater in Ostberlin gekommen – an dieses weltberühmte Theater. Haben Sie sich als Fremdkörper gefühlt?

Böwe: Ja. Das wusste ich im Voraus. Das Deutsche Theater war das Mekka, das Medina, das Jerusalem des deutschen Theaters. Höher ging es nimmer. Nicht das BE – das Deutsche Theater war es.

Gaus: Damals lag dann 1976 eine Liste aus in diesem Theater, wo Schauspieler und andere sich eintragen konnten in die Protestlisten gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Sie haben sich nicht eingetragen. Warum nicht?

Böwe: Das, was die Regierung mit diesem Mann tat, war ein furchtbares Unrecht, das Folgen hatte. Das sah natürlich jeder Mensch. Ich spiele den Falstaff, der sagt einen sehr schönen Satz: „Der bessere Teil der Tapferkeit ist Besonnenheit.“ Und mit diesem besseren Teil habe ich mein Leben gerettet. Hätte ich unterschrieben, stände übermorgen ein Mann von jener Abwehr da und fragte mich: Warum hast du unterschrieben? Und da fackelt er gar nicht lange und Böwe ist plötzlich ein Verräter, indem er es nämlich widerruft. Ich hatte nicht diese Courage. Ich will mich hier nicht dreimal bekreuzigen. Ich durfte nicht unterschreiben, weil ich dann in eine Situation gekommen wäre, die ich persönlich nicht ausgehalten hätte.

Gaus: Haben Sie das gewusst?

Böwe: Das wusste ich.

Gaus: So gut kannten Sie sich?

Böwe: Ich kannte mich so, und ich kannte auch den Staat. Den Drangsalierungen wäre ich nicht gewachsen gewesen. Ich will mich nicht rausreden. Biermann war ein besonderer Fall, bedenken wir das. Biermann war auch in gewissen Maßen privilegiert durch seine Zeugenschaft in Hamburg usw. Ich habe auch wirklich keine große Lust, mich lang und breit drüber zu verbreiten. Wir haben es ja gesehen, das war der Riss durch die DDR, durch die Intellektuellen und durch die Künstler-Mannschaften, der der Ansatz war zum Ende. Ganz sicher.

Gaus: Einerseits nicht für Biermann unterschrieben, andererseits selbst von der Partei, zu der Sie gehörten, behindert worden. Sie haben in Filmen mitgewirkt, zum Beispiel in Konrad Wolfs Film „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ oder in „Jadup und Boel“, die entweder bald abgesetzt wurden, weil sie den Linienrichtern der SED missliebig waren, oder die acht Jahre auf die Erstaufführung warten mussten. Einerseits, andererseits. Genau besehen, Herr Böwe, ein Leben wie Ihres unter den vorgegebenen Bedingungen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts – war dieses Leben ein einziges Wirrnis, oder gab es doch eine durchgehende Orientierung?

Böwe: Es hatte zunächst eine Orientierung, weil wir daran glaubten, dass wir es schaffen könnten. Seit dem Rausschmiss von Biermann wurde es problematischer. Wir haben nach wie vor, sonderlich im Deutschen Theater, mit Alexander Langhoff Aufführungen gemacht, die den Geist der Kritik deutlich in sich trugen. Wir haben uns versucht, weil wir wussten, dass, wenn es so weitergeht, es in die Wirrnis läuft. Wir sagten, was wir vom Leben hielten. Das war immerhin ein Versuch, mit dem wir auch scheiterten.

Gaus: Wünschen Sie heute manchmal, Sie hätten sich weniger engagiert, Sie hätten sich mehr aufgehalten in einer Nische?

Böwe: Nein. Das konnte ich nicht, das kann man als Schauspieler auch schwer. Ein Schauspieler will wirken in der Zeit, muss er auch. Wenn er stirbt, hat er nichts mehr davon. Ich musste mich notwendigerweise mit Mitteln des Theaters, das ein kollektives Unternehmen ist, engagieren. Darin sahen wir den Sinn und den Zweck. Und am Ende suchten wir gar noch einen Endzweck, der nicht stattgefunden hat.

Gaus: Gab es durch all die Jahre hindurch ein Ideal, und nicht nur auf dem Theater, sondern im Leben?

Böwe: Ich befand, nachdem ich einem Engel gleichsam begegnet bin – dem ich des Öfteren begegnet bin, er hieß Konrad Wolf. Konrad Wolf war in vielem mein Erretter. Vor dem Mann hatte ich großen Respekt. Konrad Wolf, dieser einzige Internationalist im kommunistischen Raum, mit der Bedenklichkeit seiner Rede und seinem Denken, hat mich tief beeinflusst. Ich glaube, seit dem ‚Mann auf dem Sportplatz’ war ich froh, dass er Präsident der Akademie der Künste war und vieles, soweit es ihm möglich war, abgewehrt hat. In ihm hatten viele ihren Begleiter.

Gaus: Gibt es ein Sachideal?

Böwe: Mit den Sachen habe ich es etwas schwer. Die Finanzen kommen nicht in Frage. Ich bin eigentlich schon von meinen Vater, der ein sehr ernsthafter Mann war, enterbt worden, weil ich mit Geld nicht umgehen konnte. Da lag in der Wiege, dass ich was mit Sozialismus zu tun hatte.

Gaus: Nein, nicht in den Sachwerten. Sie haben Konrad Wolf als Ideal genannt. Gibt es – jetzt haben Sie Sozialismus gesagt – durch all die Jahre hindurch bis zum Ende zu, gibt es ein sachliches Ideal? Welches war es, oder ist es verblasst?

Böwe: Ich kann das nicht genau beurteilen. Es ist alles kleiner, bescheidener geworden. Es sind auch die Wunschträume weiter verblasst. Nicht, dass ich hier sitze wie einer, der völlig aufgegeben hat – dann könnte ich mich umbringen. Dazu habe ich auch keine Fähigkeit und keine Traute. Aber ich denke, der Wunsch zu leben, diese Angst vor Krieg und Tod – das ist es wohl. Als ich anfing zu denken, 1945, kam er auf. Die Sache ist noch längst nicht ausgestanden. Wenn ich daran denke, was in Russland passieren kann, wenn sich das Land in Bewegung setzt, dann zittert ganz Europa. Das heißt, diese Angst vor Krieg und Tod im eigenen Lande, in der Familie, das ist es eigentlich, was mir geblieben ist.

Gaus: Gibt es gegen Ende zu eine gewisse Bitterkeit, weil die Ratlosigkeit und die Ohnmacht das Beherrschende geworden ist?

Böwe: Das glaube ich nicht. Das ist die Einsicht. Ich bin ein großer Verehrer von Fontane. Und Fontane sagt: Ich habe immer einen Blick für Tatsächlichkeiten gehabt. Das heißt, du kannst es dir nicht besser wünschen als es ist. Diese Einsicht ist eine sehr gute Hilfe.

Gaus: Erlauben Sie mir eine letzte Frage: Wie halten Sie es mit Gott?

Böwe: Das ist eine sehr gute Frage. Also: Ich lag todkrank, krebskrank in Herzberge. Im Nachbarbett lag ein junger Mann, Pfarrer Braune. Sein Vater war Direktor der Behindertenanstalt in Lobethal. Und in seinem Kinderzimmer saß plötzlich Frau Honecker mit Herrn Honecker auf seinem Sofa. Bischof Forck hatte dafür gesorgt, dass die Meute sie nicht zerfetzte. Dieser fromme Mann lag neben mir, erzählte mir das alles und las Psalmen und Sprüche. Ich sagte: Können Sie die vielleicht etwas lauter lesen? Und er tat das und sagte: Sie können sich ja auch so ein Buch holen. So blieb ich erst mal hängen im Alten Testament, und zwar bei dem Prediger Salomo. Und langsam kam ich dahinter, und meine Frau hat es mir übrigens auch gesagt, dass ich vielleicht von Anfang an zutiefst religiös war, ohne dass ich es wusste. Der Weg des Überlegens über die Welt bringt mich nicht zu diesen Religionen, die heute praktiziert werden, sondern zum Alten Testament. Und darüber vielleicht zu jemandem, der möglicherweise Gott heißt.