Sendung vom 14.01.2004 - Menge, Wolfgang

Günter Gaus im Gespräch mit Wolfgang Menge

Gaus:
Mein heutiger Interviewpartner, Wolfgang Menge, geboren 1924 in Berlin, ist einer der bedeutendsten Autoren, Stückeschreiber im deutschen Fernsehen. Er hat das ‚Ekel Alfred’ ins Programm gebracht. Er hat ‚Motzki’ geschrieben, die Serie über Ost-Westdeutsche. Seine Fernsehspiele, das ‚Millionenspiel’ – hat beklemmend in Szene gesetzt, wie mörderisch Unterhaltung um jeden Preis in ihrem innersten Wesen beschaffen ist. Menge ist verheiratet, er hat drei Söhne. Sehen Sie Zur Person Wolfgang Menge.
Henri Nannen, der legendäre Chefredakteur des Stern, hat einmal gesagt, ‚all das sei Schiet’. Also, Nannen hat Schiet auf Hochdeutsch gesagt, aber ich will das Fernsehen nicht in Verlegenheit bringen. Sie werden demnächst 80 Jahre alt, Herr Menge. Wie kommen Sie mit dem Altsein zurecht?

Menge:
Besser als ich erwartet habe. Weil das, was eigentlich das Unangenehmste ist beim Altern – für mich, was ich so empfinde - ist das Äußere. Das heißt, die Falten die Flecken, dieser ganze furchtbare - also ich meine jetzt nicht medizinische Teil, sondern wirklich das Aussehen, das ist ziemlich unerträglich, finde ich. Und deshalb scheue ich eigentlich auch so Film - mir das anzugucken, wenn ich gefilmt werde oder fotografiert werde. In Spiegel gucke ich ohnehin sehr selten. Kämmen muss ich mich nicht häufig.

Gaus:
Und das ist ja mit dem Alter nicht in Verbindung.

Menge:
Doch das ist natürlich mit dem Alter. Das ist das, was mich am meisten belastet. Denn das andere, das Körperliche, da habe ich überhaupt keine Probleme. Das heißt, man wird natürlich, was störend ist - ich denke manchmal, dass ich etwas weniger neugierig werde und mich manche Sachen nicht mehr so interessieren, wie sie mich früher interessiert haben. Aber grundsätzlich ist die Teilnahme am Alltag noch da. Das Essen wird ein bisschen wichtiger. Aber ich finde auch wieder eine außerordentlich angenehme Gelassenheit, die so mit der Zeit sich entwickelt und wo einen nichts mehr wirklich umhauen kann. Nun hat man auch schon einiges hinter sich gebracht...

Gaus:
Ich habe festgestellt, bei der Vorbereitung auf dieses Interview, dass Sie und ich unabhängig voneinander auf den einstmals berühmten Fragebogen im FAZ-Magazin auf die Frage „Wie möchten Sie sterben?“ dasselbe geantwortet haben. Sie haben genau wie ich gesagt: „Gesund“.

Menge:
Ja, das ist es auch, im Grunde. Davor hat man beim... Sterben ist irgendwie etwas anderes als Altwerden. Ich meine, irgendwann endet das Altsein damit, dass man stirbt.

Gaus:
Haben Sie Angst?

Menge:
Bitte?

Gaus:
Haben Sie Angst?

Menge:
Nein, eigentlich. Ich meine, ich denke nicht so viel darüber nach. Also, ich bin da so wie Woody Allen, mir ist egal, wenn der Tod kommt, an meine Tür klopft. Hauptsache, ich bin nicht zu Hause. Also nein, ich denke nicht viel darüber nach. Ich denke mir auch, dass es nicht so schlimm sein wird. Ich hätte viel mehr Angst vor Krankheiten, also die schweren, die belastenden Krankheiten. Da bin ich ja Gott sei Dank verschont geblieben bis heute.

Gaus:
Zum ersten Mal habe ich den Namen Wolfgang Menge in den 50er Jahren gehört. Ein Redaktionskollege hat mir aus einem Bericht, den Sie ihm gegeben hatten über eine Fahrt mit einem gebraucht gekauften Vorkriegswagen, vorgelesen. Sie hatten diesen Gebrauchtwagen aus der Vorkriegszeit in Bonn gekauft und...

Menge:
...von ihm.

Gaus:
Das wusste ich nicht – von ihm. Und Sie schrieben dann und die Formulierung hat mir gefallen, die habe ich mir notiert, Wolfgang Menge schreibt: „Ich schüttelte den Staub Bonns von den Reifen meines Autos, und das war auch schon alles, was auf den Reifen noch drauf war.“ (Ende des Zitats) Ich habe Sie sehr bewundert für diese Formulierung. Wissen Sie noch, was das für ein Auto war?

Menge:
Ich bin nicht ganz sicher, ich habe die Autos häufig gewechselt. Dieses hatte ich
wirklich für die Fahrt von Bonn nach Hamburg von Klaus Jacobi, nehme ich an...

Gaus:
Ja.

Menge:
...das ist der Redaktionskollege.

Gaus:
Ja.

Menge:
Ich glaube, es war ein Fiat Balilla, aber ich bin nicht sicher.

Gaus:
Ich hätte gedacht, es sei dieses zweisitzige Vorkriegs – BMW - Cabriolet gewesen, das über der Kühlerhaube so einen breiten Lederstreifen gespannt hatte, und wovon ich, der ich bedeutend jünger bin als Sie, nur träumen konnte. Ich dachte, Sie hätten so eins gehabt. Hatten Sie nicht?

Menge:
Ich glaube nicht. Also, ich glaube, ich habe die ganzen Autos nicht – am Anfang hat man ja so... Die hielten ja auch nicht so lange, die Autos.

Gaus:
Das waren die, die wir dann später in die befreite DDR verkauft haben.

Menge:
Also ich nicht, wenn Sie das meinen. Ich glaube aber nicht, dass die so lange gehalten haben. Die hatten ja auch ihre Autos.

Gaus:
Sie waren 21 Jahre alt, Herr Menge, als der Krieg in Europa zu Ende ging im Frühjahr ’45.

Menge:
20.

Gaus:
Im April ’45, da wurden Sie 21. Korrekt?

Menge:
Also, Rechenkunst dürfen Sie von mir nicht erwarten...

Gaus:
...Nein, aber auch dann nicht – Sie sagen 20, wenn es 21 sind.

Menge:
...aber ich nehme an, dass 21 richtig ist. Ja, ja, das müsste hinkommen. Fünf weniger vier ist eins.

Gaus:
Sie waren 21 Jahre alt, als der Krieg in Europa im Frühjahr 1945 zu Ende ging. Wo waren Sie und welche Erinnerungen haben Sie an die erste Nachkriegszeit?

Menge:
Oh Gott, da habe ich natürlich oft drüber nachgedacht. Ich habe... irgendwo habe ich an meine Jugend bis dahin und auch an die Kriegszeit ganz, ganz wenige Erinnerungen. Ich weiß nicht mal, wo ich mich am Tage – ich weiß, dass ich vorher, ich war ja bei der deutschen Wehrmacht tätig ein paar Jahre lang, ohne großen Erfolg bedauerlicherweise. Denn ich bin ja nicht mal Gefreiter geworden, was glaube ich keinem Menschen gelungen ist - so lange dabei zu sein, ohne zumindest Obersoldat zu werden, oder was. Also...

Gaus:
Sie waren gar nix?

Menge:
Ich war gar nix. Und ich war etwas früher nach Hause gefahren. Mir schien die Sache so unheimlich zu werden, weil - da näherten sich die Russen vom Osten, die Amerikaner vom Westen und ich war irgendwo in der Gegend von Wien...

Gaus:
Nach Hause heißt:..

Menge:
Bitte?

Gaus:
In der Gegend von Wien waren Sie.

Menge:
Ja. Und da bin ich nach Hause gefahren.

Gaus:
Nach Hause heißt in dem Falle Berlin.

Menge:
Das war damals Hamburg.

Gaus:
Natürlich.

Menge:
Ich bin in Hamburg groß geworden.

Gaus:
Ja.

Menge:
Lege auch großen Wert darauf, bitte. Künftige Einwände...

Gaus:
Und was war nun – jetzt ist der Krieg zu Ende...

Menge:
Ich weiß nicht mal, wo ich war. Ich kann mich nicht dran erinnern. Ich habe es versucht, ich habe mir Mühe gegeben. Ich weiß, meine Eltern waren nicht in Hamburg, die waren an der Ostsee. Und ich war irgendwo bei irgendwelchen Freunden. Ich war – eine Weile war ich in dem Keller vom Schwedischen Generalkonsulat, weil die nach... - das war leer. Aber wie? Ich kann mich an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Ich weiß auch nicht, das ist sicher irgendeine...

Gaus:
Haben Sie eine Erinnerung an Gemütszustände, haben Sie ... War es so ein Gefühl von Durchatmen können, von...

Menge:
Ja, das mit Sicherheit.

Gaus:
Bitte erzählen Sie.

Menge:
Ja, ich erinnere mich daran, als aus dem Radio, was damals ein Volksempfänger war, nehme ich an, als da plötzlich Andrew Sisters raus kamen, wo früher die anderen Programme gelaufen waren. Das ist eine Kleinigkeit, an die ich mich erinnere. Und dann habe ich mir überlegt – nein, eigentlich - ich habe mir noch keine Berufsgedanken gemacht, ich habe mir... das Durchatmen ist vielleicht - beschreibt es am deutlichsten.

Gaus:
Und hatten Sie Illusionen, hatten Sie Erwartungen, dass alles ganz anders und neu werden würde?

Menge:
Nee, so weit war ich – ich bin etwas zurückgeblieben, geistig. Und ich habe mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht, glaube ich. Ich habe so Freunde gehabt, die das gemacht haben und ich habe die immer bewundert.

Gaus:
Jetzt komme ich doch auf die Berufsfrage: Wann ungefähr hatten Sie den Vorsatz, ich will Journalist werden?

Menge:
Ich glaube erst, als ich angefangen habe. Ich wollte eigentlich immer Kabarett machen, früher. Da gab es ja - in Hamburg kam dann bei mir... im Kino an der Ecke in dem Eppendorfer Baum trat Heinz Ehrhardt auf, dann war Käutner, machte Kabarett noch nebenher, war ja ein Theater... Da gab es einen Haufen Kabaretts, da bin ich immer hingelaufen. Aber ich habe auch, da ich so in der Schule schon mal eine Weile Zeitung machen durfte, das habe ich auch immer gemacht und habe dann auch eine eigene Lizenz beantragt mit einem damaligen Freund von mir - mit Richard Gruner. Wir haben aber keine...

Gaus:
Richard Gruner hat es weit gebracht...

Menge:
Der hat es. Ja er hat ein bisschen was geerbt, was mir nichts leider... Also ich meine, ich finde es auch wichtig, dass meine Kinder was erben. Ich habe nichts geerbt, also Materielles.

Gaus:
Sie und Richard Gruner – später der Partner von Jahr, bei Gruner & Jahr, und jemand, der mir einmal in einer Bar die Knöpfe seines Blazers zeigte und sagte: ‚Wollen Sie mal anfassen, das ist pures Gold?’ Das war in der Insel in Hamburg. Sie und Richard Gruner haben eine Lizenz beantragt?

Menge:
Ja.

Gaus:
Aus Ihnen hätte Axel Springer werden können?

Menge:
Das weiß ich nicht. Aber, ein bisschen... Ich weiß auch nicht, warum wir die Lizenz nicht bekommen haben. Wir hatten einen ganz guten Titel und die war natürlich... Aber die habe ich fast alleine vollgeschrieben.

Gaus:
Was sollte das werden?

Menge:
Ich nehme an, eine Jugendzeitung. Sie hieß ‚Ja’. Also aus dem Titel mögen Sie entnehmen, dass wir schon optimistisch waren.

Gaus:
Ja.

Menge:
Es hat sogar Richard Gruner drin geschrieben. Ich glaube das Einzige, was er je in seinem Leben geschrieben hat, abgesehen von...

Gaus:
...von Schecks...

Menge:
...irgendwelchen Schecks...

Gaus:
Bismarck hat abschätzig von den Journalisten gesagt, das seien Leute, die ihren Beruf verfehlt hätten. Das heißt, sie hätten gar keinen richtigen Beruf. Nun sind Sie jemand, der Bismarck hoch schätzt und verehrt. Was halten Sie von diesem Urteil Bismarcks über die Journalisten? Sie sind ja dann Journalist geworden.

Menge:
Ja. Also, ich würde mich da einem Satz von Ihnen anschließen, den ich aus Ihrem Munde mal gehört habe, ist schon ein paar Jahre her. Sie haben gesagt: ‚Journalism is a boy’s job – das ist nichts für Erwachsene’.

Gaus:
Das ist wahr.

Menge:
Und insofern, ich bin ja seit ich – ich meine, jeder wird unterschiedlich spät erwachsen, bei mir war es sehr spät, wie ich schon angedeutet habe. Und bis dahin ist es für mich der aufregendste Beruf und ich bin eigentlich immer noch journalistisch tätig geblieben. Also das, was ein Journalist zu tun hat, wenn er nicht selbst etwas sieht, ist doch so, dass er etwas erzählt bekommt und er macht es verständlich für andere.

Gaus:
Journalism is for boys.

Menge:
Ja.

Gaus:
Warum hat es bei Ihnen so lange gedauert - wenn Sie jetzt mal Koketterie weglassen – bis Sie sagten, da war ich erwachsen?

Menge:
Ja, weil ich das... Ich habe das ja als Prozess nicht wahrgenommen. Ich habe das ja nur gemerkt – um Himmels Willen, da warst du schon dreißig, oder schon zwanzig und wieso hast du das nicht mitgekriegt. Ich weiß es wirklich nicht.

Gaus:
Zur Person Wolfgang Menge. Geboren am 10. April 1924, also im Frühjahr ’45 einundzwanzig Jahre alt, geboren am 10. April 1924 in Berlin. Der Vater arbeitet eine Zeit lang als Lehrer und wird dann Kaufmann. Die Mutter war eine rumänische Jüdin, gebürtig aus dem selben Ort, aus dem auch Elias Canetti stammt und dieser Ort gehörte damals zu Bulgarien. Rustschuk, wenn ich es richtig ausspreche. Trotz dieser Belastung nach damals herrschender Rechtsauffassung, durch die Mutter, kann Wolfgang Menge die Oberschule besuchen und wird auch – Sie haben es erwähnt, nicht als wehrunwürdig zurückgewiesen, sondern die Wehmacht bedient sich seiner, er wird Soldat. Wie ist das möglich gewesen, dass man mit dieser familiären Belastung, mit dieser Existenzform des Mischlings – entsetzlich zu sagen – zurecht kam?

Menge:
Also ich habe das natürlich nicht so entschieden. Das sind ja alles Sachen, die andere für mich entschieden haben und ... Die Begründung weiß ich nicht, ich weiß nur, dass es tausend anderen ebenso gegangen ist, oder ähnlich gegangen ist. Und die Nazis sind ja - anders, als es im Judentum üblich war, waren sie ja der Meinung, dass die Väter die entscheidenden waren. Und die Mischlinge, wo nur die Mutter jüdisch war, das waren privilegierte Mischlinge ersten Grades bei den Nazis. Aber warum das alles passierte – ich weiß es wirklich nicht.

Gaus:
Haben Sie sich dafür nie interessiert, haben Sie sich zu spät interessiert, als es keiner mehr sagen konnte? Haben Sie Ihre Mutter mal gefragt...?

Menge:
Ich habe meine Mutter häufig gefragt, aber sie hat mir ganz wenig erzählt, sie wollte zu dem Thema überhaupt nichts erzählen. Und ich habe mir dann gedacht, das muss ja nicht an den historischen Gegebenheiten liegen oder allein an denen, dass sie nicht darüber reden will, das kann ja auch mit ihrer Ehe zusammenhängen, ich weiß es nicht, ich habe keinen Anlass dafür gefunden. Aber sie hat über das Thema nicht geredet und ich wollte immer. Ich erinnere mich daran, dass ich beispielsweise, da war ich in Berlin und die waren auch wieder in Berlin - oder die waren eher wieder in Berlin als ich, denn Sie haben gesagt, ich bin in Berlin geboren. Ich bin ja im Alter, im hohen Alter von zwei Jahren habe ich ja Berlin verlassen. Und da fing die Serie an, ‚Holocaust’, und da habe ich gesagt: ‚Komm, wollen wir uns das nicht mal zusammen ansehen?’ Und da bin ich zu ihr gefahren, da haben wir den Fernseher angemacht und sie hat nach fünf Minuten abgeschaltet und gesagt: ‚Ich will das nicht sehen’. Und so ist es eigentlich immer gewesen.

Gaus:
Ich habe bei der Vorbereitung auf dieses Interview gehört, dass vielleicht es so gewesen sein könnte, dass Ihre Mutter Jüdin, rumänischer Herkunft, aber in einem bulgarischen Ort geboren, ihre Papiere sich besorgen musste beim bulgarischen Konsulat oder in der Konsularabteilung der bulgarischen Botschaft und dass der Konsularbeamte die Urkunde Ihrer Mutter angeguckt habe und gesagt hat: ‚Ach, das wollen wir lieber vernichten’. Ist das möglich?

Menge:
Also meine Mutter hat mir erzählt, dass sie ihren Geburtsschein brauchte für irgendwas und den hat sie dann beantragt und holte sich den ab. Und da hat der Beamte gesagt: ‚Das wollen wir lieber lassen’.

Gaus:
Es heißt, der Knabe...

Menge:
Also, das kann natürlich - impliziert auch, dass man immer gehofft hat, man weiß es gar nicht, dass sie Jüdin ist, nicht? Ich weiß nicht, wie berechtigt diese Zweifel sind.

Gaus:
Waren Sie bei der Hitlerjugend?

Menge:
Nein, das durfte ich nicht. ... Da wollte ich immer hin.

Gaus:
Das hat ihre Mutter... Ich habe gehört, Sie würden ganz gerne mitmarschiert sein.

Menge:
Aber an das Marschieren habe ich am wenigsten gedacht, denke ich mir. Alle waren da. Ich habe nur gemerkt, dass plötzlich - ich habe immer mit so ein paar Klassenkameraden, wir haben also immer gemeinsam Schularbeiten gemacht und das hörte irgendwann auf. Irgendwann saß ich da alleine. Die gingen in die Hitlerjugend und kamen auch nicht mehr zum Schularbeiten. Ich wurde nicht mehr gebeten, bei denen Schularbeiten gemeinsam zu machen. Ich durfte einmal Monopoly spielen, das weiß ich noch. Das kam neu auf das Spiel, da durfte ich mitmachen und bin auch gleich bis zum Schulbeginn am nächsten Tag da geblieben. Aber das habe ich ja alles erst... Hinterher ist mir das klargeworden, was da passiert sein muss.

Gaus:
Das Bewusstsein einer Außenseiterrolle und das Fragen warum, das war nicht Ihre Sache.

Menge:
Also, Außenseiter in gewisser Weise habe ich realisiert, aber ich bin nie auf die Idee gekommen, dass es nicht allein mit mir was zu tun hat, sondern dass, wenn Sie so wollen, mit eine höhere Gewalt zuständig war dafür. Ich habe das immer ganz persönlich genommen.

Gaus:
Nach dem Krieg ein Volontariat bei einer Nachrichtenagentur – ‚German News Service’, Vorgänger von DPA in der britischen Besatzungszone. Dann eine Zeit lang in London als Assistent eines Korrespondenten. Von 1949 an Reporter des ‚Hamburger Abendblatts’ in Hamburg. Bevor wir jetzt zum ‚Hamburger Abendblatt’ kommen – mich interessiert sehr, wie ein junger Mensch wie Wolfgang Menge nach dem Krieg von 1945 nach London gelangt und eine Zeit lang dort sein kann. Wie ging das?

Menge:
Na ja, ich war ja als Journalist tätig bei ‚German News Service’.

Gaus:
Das heißt die Verbindung zu England war da.

Menge:
Die Verbindung zu England war insofern da, als wir, also einige Journalisten, junge Nachwuchsjournalisten wurden ausgesucht für drei Monate Wilton Park, das war so ein Umerziehungslager oder was weiß ich. Eine hervorragende Einrichtung, wie ich fand. Das war so eine Art Seminar mit Demokratie... Da bin ich drei Monate gewesen und dann habe ich da gefragt. Und die wollten mich da haben. Ich habe mich ja zunächst für die – wenn man nach London durfte mal, einmal in der Woche glaube ich, habe ich mich für diese Immigranten interessiert, die alle ums Swiss Cottage herum wohnten, fast alle. Und da bin ich immer hingegangen, wenn ich Zeit hatte. Und so habe ich die noch kennen gelernt. Und der sagte: Können Sie nicht...

Gaus:
... dieser Korrespondent.

Menge:
...ein bisschen bei mir aushelfen und das habe ich dann gemacht. Aber wie im Einzelnen, materiell, das weiß ich nicht mehr genau.

Gaus:
Gut, jetzt sind wir beim ‚Hamburger Abendblatt’. Neu gegründet von Axel Springer im Jahr 1949, in dem auch die Bundesrepublik gegründet wird. Was waren, hatten Sie politische Vorstellungen von diesem westdeutschen Nachkriegsstaat? Oder war es Ihnen eigentlich egal?

Menge:
Also ich bin ja... Nein, nein. Also das ist, glaube ich, was mich im Laufe – also ich meine, ich weiß nicht, was mich damals interessierte und was mich also Jahre später interessiert hat. Ich möchte auch noch sagen, dass diese... Ich weiß nicht, ob es richtig ist, zu sagen das ist Gründung Axel Springer. Es gehörte noch jemand dazu, dessen Name so gut wie nie mehr erwähnt wird. Der war dann auch der erste Chefredakteur vom ‚Hamburger Abendblatt’. Das war – er hieß Wilhelm Schulze. Und er hat mir mal erzählt, dass er eigentlich die Lizenz zugeteilt bekommen und dann sich mit Axel Springer geeinigt hat. Also wie gesagt, das ist eine - es ist nur so nicht ganz korrekt, denke ich mir. Aber ich habe mich nie intensiv darum bemüht, herauszufinden, wer nun was gekriegt hat. Also das, was mich politisch interessiert hat überhaupt – aber das war sicher noch nicht zu der Zeit – innenpolitisch, ich habe natürlich da auch... Dadurch, dass ich Hörfunk nebenbei gemacht habe, habe ich mich natürlich ständig amüsiert, also im Sender über den Bundeskanzler, damalig Adenauer. Und ich wurde ja auch... ein paar mal wurde man ja auch angemahnt und einmal wurde sogar - die Sendung hieß ‚Adrian und Alexander’ und fing an mit: Hallo Nachbarn und dann...

Gaus:
Das war ‚Adrian und Alexander’ im Hörfunk und dann ‚Hallo Nachbarn’.

Menge:
Ja, aber die erste Sendung ‚Adrian und Alexander’ fing an mit den Worten: Hallo Nachbarn.

Gaus:
Ja.

Menge:
Die Begrüßung war vom ersten Tage an so. Und ich weiß - und das würde ich auch, finde ich auch, ein vergessener oder nie mehr genannter... Denn da passierte auch, dass ich da... Da kriegte der Redakteur Albin Stübs - auch ein Emigrant aus London, ich glaube auch Kommunist gewesen früher - der kriegte den Auftrag, von nun an sich die Sendung – wir haben die immer Freitag abends gemacht und Samstag wurde die ausgestrahlt, also in einem Tag – sich die gefälligst vorher anzusehen. Der hat vorher immer da gesessen, hat sich tot gelacht über die Sendung und von dem Moment an, wo er sie offiziell angucken sollte, um Böses zu verhindern, hat er sich überhaupt nicht mehr geregt, hat mit stummem Gesicht dagesessen. Und er hat aber nie irgendwie eingegriffen oder so was und das finde ich schon ganz erstaunlich, wie das früher gemacht wurde. Und da habe ich viel gelernt. Auch durch Hugh Carlton Green natürlich ...

Gaus:
Sind Sie von Hause aus... Den habe ich mal in dieser Reihe interviewt, vor vielen Jahrzehnten. Sind Sie von Hause aus ein Konservativer?

Menge:
Ich weiß nicht, ob man das so grundsätzlich, dass man komplett konservativ, komplett...

Gaus:
Aber in der Neigung.

Menge:
Eigentlich nicht, glaube ich. Eigentlich – ich weiß es nicht, also das müsste ich vorher definieren, was in welchen Bereichen, wie ich eben gesagt habe. Ich glaube nicht, dass man das... Ich glaube, das ist auch politisch ganz schwer, dass man... Man kann in der Wirtschaft ganz konservativ sein, in der Kunst außerordentlich revolutionär. Das lässt sich kombinieren.

Gaus:
War Wolfgang Menge ein Wechselwähler?

Menge:
Also ich habe bis zur vorigen Wahl, da habe ich immer die gleiche Partei gewählt.

Gaus:
Ich habe von meinem Vater gelernt, dass man nicht fragen soll – ich vermute, Sie haben SPD gewählt. Ich frage nicht, weil mein Vater gesagt hat: Eine der großen Errungenschaften des parlamentarischen Systems ist das Wahlgeheimnis. Sie wollen sich nicht dazu äußern, ob Sie SPD gewählt haben? Ich habe nicht gefragt...

Menge:
Ja, ich meine, ich habe ja bei der letzten Wahl überhaupt nicht gewählt.

Gaus:
Das ist wieder eine andere Geschichte. Warum nicht?

Menge:
Ja, na...

Gaus:
Sind Sie fertig damit?

Menge:
Bitte?

Gaus:
Sind Sie damit durch, mit dem Wählen, gehört das zum Alltag?

Menge:
Nein, ich denke mir nur, dass ganz etwas anderes in diesem Land passieren müsste, als passiert ist. Und ich sehe bei dem, was damals angeboten wurde, habe ich weder dem einen noch dem anderen zugetraut, dass er auch nur in die Nähe dessen gerät, was zu machen ist in diesem Land.

Gaus:
Was ist zu machen in dem Land?

Menge:
Na also, ich glaube, dass also grundsätzlich, was Hellmuth Schmidt eigentlich immer schreibt, jetzt – also ich lese das nicht immer – aber es muss das ganze, das Arbeitsrecht muss renoviert werden, die ganzen Vorschriften und Gesetze und so was. Wenn ich lese, welche Gesetze jetzt - oder Verordnungen, Bestimmungen - inzwischen oder in den letzten Wochen gestrichen werden, da kann ich nur lachen. Ich meine, dass es so was überhaupt gegeben hat, ist so unvorstellbar, dass ich gar nicht wüsste, wo man anfangen soll. Aber das ist es, diese ganzen Kompliziertheiten in unserer Gesetzgebung und unsere Verordnungen, das ist hirnrissig.

Gaus:
Mehr und mehr gerät Wolfgang Menge vom herkömmlichen Journalismus in das Fach Drehbuchautor. Für einige Kinofilme, viele bedeutende Fernsehspiele und berühmte Fernsehserien verfassen Sie die Texte. Ihre Spiele, ihre Stücke haben wesentliche gesellschaftliche Themen zum Inhalt, so das Gesamtdeutsche, die gesamtdeutsche Problematik, die deutsch-deutsche Problematik, Umweltkatastrophen, die Entwicklung der Fernsehunterhaltung zur sensationsgierigen Killerjagd auf einen Kandidaten im ‚Millionenspiel’. Sie haben ein einziges Mal fürs Theater geschrieben – warum nur dieses eine Mal?

Menge:
Ja, das eine Mal, das habe ich geschrieben, als ich noch Journalist war. Da hatte ich einen guten Freund, einen Schauspieler, der nach Berlin engagiert wurde zu Barlock, als ich gerade nach Tokio ging und der meine Wohnung übernommen hatte. Klaus Kammer.

Gaus:
Das war in der zweiten Hälfte der 50er.

Menge:
Nein, in der ersten Hälfte.

Gaus:
In der ersten Hälfte der 50er. ’54.

Menge:
Ja. Und der – als ich wieder da war dann, hat immer: ‚Kinder, du musst ein Theaterstück schreiben, du kannst es, mach es bitte’. Und irgendwann habe ich mal angefangen, das Stück zu schreiben und natürlich ihn - er kam auch jeden Tag zu mir rausgefahren und las mir vor, was ich geschrieben hatte - und da habe ich gemerkt, dass man immer viel zu viel schreibt. Also manchmal ist von einer Seite ein Satz übrig geblieben, weil ich merkte, das können die so. Ein Schauspieler – da muss man nicht alles aufschreiben. Aber das ist nicht so wichtig. Und als es dann ernst wurde, das Stück war fertig und ging nun zur Dramaturgie, hat er sich bedauerlicherweise das Leben genommen.

Gaus:
Lag nicht am Stück.

Menge:
Ich glaube nicht. Obwohl es natürlich, das ist immer drin, dass... Dann habe ich viele... In dem Bereich habe ich viel erlebt.

Gaus:
Das Stück hieß ‚Zeitvertreib’.

Menge:
Bitte?

Gaus:
Es hieß ‚Zeitvertreib’, das Stück.

Menge:
Ja, na ja. Also, das hieß ‚Zeitvertreib’. Aber das ist ja dann – wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten, dann hätte ich das auch kontinuierlich weiter erzählt. Weil nämlich noch ein... Es ging dann - im Theater wurde es dann gespielt, aber es wurde auch ans Fernsehen verschickt. Und dann sagte der Süddeutsche Rundfunk: ‚Dann machen wir ein Fernsehspiel draus’. Und da hat sich die Hauptdarstellerin dann nach dem – nein, ich weiß nicht – nach den Dreharbeiten, ich glaube noch vor der Sendung hat sich dann die das Leben genommen. Da bin ich in der Tat etwas misstrauisch geworden.

Gaus:
Wir lassen dieses Thema jetzt auf sich beruhen.

Menge:
Ja.

Gaus:
Sie haben Ostasien erwähnt. Sie sind 1954 für die Tageszeitung ‚Die Welt’ Ostasienkorrespondent mit Sitz in Tokio und Hongkong geworden. Haben Sie dort Ihre Leidenschaft fürs Kochen entwickelt? Sie haben ein Chinesisch-Kochbuch herausgegeben.

Menge:
Nein, das habe ich – also das sind zwei verschiedene Sachen jetzt. Also, die Leidenschaft fürs Kochen habe ich als Junge schon gehabt. Weil - erstaunlicherweise meine Mutter konnte überhaupt nicht gut Kochen. Ich habe eine Tante gehabt, eine ferne, die hervorragend kochen konnte. Aber die kam nur sehr selten nach Deutschland. Und irgendwann, da muss ich zwölf, dreizehn gewesen sein – bei uns gab es freitags immer Fisch, wie bei Katholiken - eine Woche Kochfisch, nächste... Und da habe zu meiner Mutter gesagt: Gib mir doch mal das roh, was wir heute essen, ich mache mir selbst was. So hat das, glaube ich, angefangen. Das wurde dann nicht weiter zelebriert, aber es hat damit angefangen. Da bin ich ganz sicher. Und dass später - dann kommen auch Damen, die gern kochen. Ich habe immer ganz gerne gegessen und habe... Und man darf ja auch nicht vergessen, dass unsere Generation... Ich weiß nicht, weil - Sie sind ja nun wesentlich jünger...

Gaus:
Ich hatte darauf hingewiesen, ja.

Menge:
Ich glaube mindestens sechs Jahre und...

Gaus:
Es sind immerhin doch fünf Jahre.

Menge:
Ja, na bitte.

Gaus:
Fünfeinhalb.

Menge:
Und ich habe, glaube ich, doch zehn Jahre meines Lebens mich nicht an einem einzigen Tag satt essen können. Das heißt, das darf man auch nicht vergessen, dass das Essen eine ganz andere Bedeutung hatte, irgendwann mal. Und als – das war eine andere Zeit.

Gaus:
Und jetzt kocht Wolfgang Menge gern und ist berühmt dafür.

Menge:
Zu Recht.

Gaus:
Und bei den vielen Ehrungen, die Sie erhalten haben, mehrere Adolph Grimme Preise, Deutscher Fernsehpreis für das Lebenswerk, Prix Italia, dazu gehört auch der Schiller - Preis der Stadt Mannheim. In Ihrer Dankrede sagen Sie, dass Friedrich Schiller heute fürs Fernsehen schreiben würde, denn das Theater erfülle nicht länger die Aufgabe einer moralischen Anstalt für die Gesellschaft. Schiller als Kollege – sind Sie ein Aufklärer, Herr Menge, der unterhalten will? Sind Sie – wollen Sie Volksbildung mit Spaß an der Freud?

Menge:
Ganz sicher, ja. Ich meine, ich weiß nicht, ob es mir – es ist nicht das erste Ziel, was zu bewirken, aber wenn ich was mache, möchte ich schon was bewirken. Also es geht nicht... Das didaktische ist nicht im Vordergrund, aber wenn ich arbeite, ist das didaktische immer dabei. Da bin ich ganz sicher.

Gaus:
Sind Sie im Grunde ein Idealist?

Menge:
Ach, na vielleicht ein bisschen. Wenn ich mich mit anderen vergleiche schon, nicht. Also Theater und Fernsehen ist natürlich auch etwas, dass ich beim Fernsehen – was auch immer ich mache - wesentlich mehr Leute erreiche, als beim Theater. Und ich habe den großen Vorteil, dass ich das Publikum nicht sehen muss, das ist natürlich auch ganz schön.

Gaus:
Die berühmteste Fernsehserie, die Sie ins deutsche Fernsehen gebracht haben, war ‚Ein Herz und eine Seele’ mit der der Theaterschauspieler Heinz Schubert als Alfred Tetzlaff - das Ekel Alfred - zum unsterblichen Volksschauspieler wurde. Dem Volk aufs Maul schauen im lutherischen Sinne, das sogenannte politisch Inkorrekte auszusprechen nicht scheuen – würden Sie dem Ekel Alfred heute antisemitische Zungenschläge in den Text legen?

Menge:
Das ist eine Frage, wo ich eigentlich nicht spontan antworten möchte. Zunächst würde ich sofort sagen: auf keinen Fall. Aber ich bin nicht ganz sicher, ob es nicht sinnvoll wäre, das zu tun. Also ich bin da... Rufen Sie mich in einer Woche an, dann sage ich Ihnen, was ich davon halte.

Gaus:
Sie haben, bevor es allgemein ein Thema wurde, dass der Antisemitismus ins Kraut schießt, Sie haben erste Bücher geschrieben für eine jüdische - von einem Juden in Deutschland, mit einem Juden in Deutschland spielende - Sitcom-Serie. Das ist nicht produziert worden.

Menge:
Ist bislang nicht produziert worden, nein, nein.

Gaus:
Was ist die pädagogische Absicht dieser Serie gewesen – die es noch nicht gibt?

Menge:
Die pädagogische Absicht ist einfach, dass man dieses Geheimnisvolle, was das Judentum umgibt – im Grunde ist es doch schon so, dass normalen Bewohnern dieses Landes ja die Zunge anschwillt, wenn er das Wort Jude ausspricht nur. Und ich – durch ein ständiges ‚steter Tropfen höhlt den Stein’, das heißt, ständig darauf hinwirken, dass das genauso, dass es überhaupt nichts, dass das ganz normale Menschen sind. Und wenn Sie in Deutschland sind, als Juden in Deutschland, auch normale Deutsche sind und auch deutsche Juden und so weiter. Dass auch eine Synagoge ein Gotteshaus ist, wenn man die betritt, man muss ja nicht rein.

Gaus:
Was glauben Sie, warum das Fernsehen bisher nicht angefangen hat, zu produzieren?

Menge:
Also, es ist ja noch nicht so lange... Das ist, glaube ich, das Problem, was ich grundsätzlich eben vermindern möchte. Aber das hatten wir ja schon – denken Sie an die letzte große Erregung mit Friedmann, das war an einem Sonntagmorgen, da kam die Geschichte raus mit diesem genialen Namen Paolo Pinkel, der ja auch leider selten noch erwähnt wird. Sonntagmorgen in den Zeitungen. Abends weder in ‚heute’ noch in der ‚Tagesschau’ wurde der Name Friedmann überhaupt erwähnt. Und das ist genau derselbe Grund: Warum ist es nicht erwähnt worden? Bei jedem anderen wäre es erwähnt, bei ähnlicher Prominenz wäre es erwähnt worden. Nur haben die...: Um Gottes Willen, schon wieder ein Jude. Oder: Der ist ja Jude, da dürfen wir das nicht.

Gaus:
Dies genau sagen Sie, ist ein Teil des Antisemitismus.

Menge:
Ob es Antisemitismus ist, weiß ich nicht, aber ich meine, das ist natürlich...

Gaus:
Nein, natürlich kein bewusster, bedachter - aber es hat diese Richtung.

Menge:
Gehört in die Gruppe. Ja, ja, mit Sicherheit. Wie gesagt, die Befangenheit, die überall herrscht, die ist das Gefühl: der ist ja nicht wie wir, das ist was anderes. Nicht?

Gaus:
Zur Ausbreitung der Talkshows – ich kann es nicht verhindern, ich muss es ansprechen – im deutschen Fernsehen hat Wolfgang Menge auch noch beigetragen. Sie sind Mitbegründer von ‚Drei nach Neun’ und als einer ihrer Moderatoren von 1974 bis 1982 tätig gewesen. Wie hat das Fernsehen vor allem in dieser Art von Programm, also der Sabine-Christiansen-Parlamentarismus, wie ich das mal nennen möchte – wie hat das Fernsehen unser politisches System verändert?

Menge:
Also ich würde Ihrer Definition nicht folgen, dass das, was Sabine Christiansen macht, Talkshow ist in dem Sinne, wie wir es gemacht haben. Ich würde das – ich glaube, wir haben das lange vorher schon gehabt, da hieß es bloß politische Diskussion oder irgend so was. Wir haben andere Namen gehabt.

Gaus:
Das, was ich den Sabine-Christiansen-Parlamentarismus nenne?

Menge:
Ja, das hat es glaube ich, schon immer gegeben. Anders - vielleicht formal geringfügig anders. Aber das hat...

Gaus:
Und weniger Sehbeteiligung.

Menge:
Bitte?

Gaus:
Weniger Sehbeteiligung.

Menge:
Na ja, das kommt natürlich auch auf die Platzierung an. Ich meine, wenn ich eine Sendung mache, bewerbe und sie unmittelbar nach dem Tatort bei der ARD platziere, dann – ich glaube, da kann man platzieren, was immer man will...

Gaus:
Die Frage war, ist unser System politisch, das politische System durch den Einfluss der Medien - wozu dann auch Sendungen, wie die verschiedenen politischen Talkshows gehören - durch den Einfluss der Medien verändert worden?

Menge:
Also ich glaube, es muss verändert worden sein, weil sich die Politiker anders vorstellen, nicht? Das heißt, sie müssen in den Medien wirken, damit sie gewählt werden. Das war früher – ich weiß nicht wie das George Washington, oder wie Ebert oder wer auch immer...

Gaus:
...oder Adenauer.

Menge:
...oder Adenauer, war ja nun hin und wieder im Fernsehen, aber er war nie als Gast – wie das funktioniert hätte. Das heißt, es kommen Äußerlichkeiten, die Bewertung von – wir sehen es ja, ich meine im Moment, wenn Sie nehmen Schwarzenegger – was verspricht man sich davon?

Gaus:
Einen gut aussehenden Gouverneur.

Menge:
Na ja, aber das ist doch absolut schwachsinnig, nicht? Ich meine, ich finde auch nicht, dass – mir wäre er ein bisschen zu üppig bemuskelt oder... Muss ich auch kaum... Ich bin ja nun im Gegensatz zu vielen anderen heutzutage, bin ich nicht schwul...

Gaus:
Sie wollen sich hier nicht outen.

Menge:
Nein, ich wollte mich also – ja, oder das ist vielleicht schon outen...

Gaus:
Ja, also alles, was man von Ihnen weiß, läuft auf den Beweis des Gegenteils hinaus. Das will ich dann damit doch einmal angemerkt haben.

Menge:
Ja.

Gaus:
Über Wolfgang Menge wird gesagt, er sei grob, geizig und genial. An anderer Stelle findet man, er sei eitel, aber nicht selbstgefällig. Wie weit erkennen Sie sich in solchen Einschätzungen? Ich wiederhole sie: grob...

Menge:
Ja, na ich habe sie schon behalten. Also genial habe ich natürlich vorbehalten, klar. Geizig - kenne ich natürlich den Vorwurf. Ich weiß auch, wie er entstanden ist.

Gaus:
Bitte, wie ist er entstanden?

Menge:
Er ist auf eine ganz seltsame Weise entstanden. Aber ich muss ein bisschen ausholen, leider. Also ich weiß nicht, ob ich es wirklich erzählen soll.

Gaus:
Sie sollen es erzählen.

Menge:
Das hängt mit Wolfgang Harig zusammen.

Gaus:
Wolfgang Harig, der in der DDR ein Wunderkind war, ein schnell startendes, Philosoph dann...

Menge:
Und er schrieb über irgendwas und ich schrieb damals auch – bei mir ist das etwas verkorkst - ich musste ein Buch schreiben über Wirtschaft, was ich nie wollte. Ich wollte eigentlich, seit ich beim ‚Hamburger Abendblatt’ war, wollte ich immer ein Buch, wollte ich immer jemand finden, der ein Buch schreibt. Weil - im Verlag von Vater Springer gab es ein Buch. Ich glaube, es war das einzige, was die im Verlag hatten, das hieß: ‚Die rechte Hand des Kaufmannes’. Und dann bin ich zu unserem Wirtschaftsredakteur irgendwann mal gegangen und gesagt: Kinder schreibt doch mal ‚Die linke Hand des Kaufmannes’, ist doch viel interessanter. Und damit bin ich hausieren gegangen immer und habe irgendwelche Leute dazu bringen wollen, die was von Wirtschaft verstehen, die linke Hand des Kaufmannes zu schreiben. Bis irgendwann habe ich mal einen gefunden, der saß in Bonn beim Spiegel und der sagte: Das ist eine gute Idee, machen wir zusammen. Einer der Volkswirt war. Und dann habe ich einen Verlag gehabt und war Molden damals, berühmt. Und habe den Vertrag unterzeichnet. Und der war kaum aus der Tür – der war hier nach Berlin gekommen, der Molden, da klingelt das Telefon und mein Kompagnon aus Bonn ruft an...

Gaus:
Er kann nicht.

Menge:
...und sagt: ‚Unterschreib nicht’. Ja, Werner Funk war das. Ruft an und sagt: Schreib – ja der hat verlangt, dass ich mit ihm mitschreibe das Buch, also das habe ich vergessen zu erzählen. Er wollte es nicht alleine schreiben. Ich sag gut, mitschreiben kann ich schon. Und da rief er an: ‚Unterschreib nicht’. Und da hatte ich schon unterschrieben. Und jetzt hat er gesagt, er muss nach Hamburg, muss D1 übernehmen, weil irgendjemand gefeuert wurde von Rudolph Augstein. Und so saß ich da mit einem Thema, von dem ich keine Ahnung hatte. Und zu der Zeit schrieb Wiebke Bruhns für irgendein Porträt über mich und hat das nun so gemacht, um nicht selbst zu schreiben, ist sie bei Freunden von mir rumgegangen und hat deren Äußerungen... Und kam zu Wolfgang Harig und fragte ihn dann, wieso schreibt denn der Menge so ein Buch über Wirtschaft? Na wahrscheinlich wird er geizig sein oder so was – um das ein bisschen so...

Gaus:
Sie sind gar nicht geizig?

Menge:
Ach na ja, in manchen Sachen bin ich schon – ich würde es nicht als Geiz bezeichnen, Geiz ist so eine – ich habe mich natürlich damit befasst, was Geiz ist und also grundsätzlich für mich schon mal gar nicht. Also, was Sie vorhin zu meinem Sakko gesagt haben, das ist natürlich Unsinn, weil ich mir Brioni - Sakkos gekauft habe, lange vor dem Bundeskanzler, Jahrzehnte...

Gaus:
Der hat Brioni getragen?

Menge:
Ich?

Gaus:
Nein, der Bundeskanzler.

Menge:
Es wurde doch – zumindest habe ich – ich habe es nie kontrolliert, ich habe es in der Zeitung gelesen. Und ich traue ja meinen Kollegen – oder habe vor zwei Jahren... Das war doch Riesentheater. Wegen der... Haben Sie gar nicht mitgekriegt?

Gaus:
Ich trage nicht Brioni.

Menge:
Nee, das weiß ich.

Gaus:
Ich trage Loden.

Menge:
Ja, ja.

Gaus:
Im Sachsenwald, wissen Sie? Wildschweine im Garten...

Menge:
Ja. Die treffen auch auf... Also, es ist für mich kein Thema. Ich bin, ich gucke nach, ich lasse mich ungern bescheißen. Ich gucke nach, was was kostet und weiß auch, was was kostet. Ich weiß, wenn meine Frau Tomaten kauft und ich frage: ‚Was haben die gekostet?’, sagt sie: ‚1,99’. Ich sage: ‚Das Kilo?’ - ‚Nein, die Tüte hier’. Also...

Gaus:
Und dann sagen Sie: ‚Trag es zurück, es ist zu teuer’.

Menge:
Nein, das sage ich nicht. Da holt sie nie wieder Tomaten, wenn ich das sagen würde.

Gaus:
Sie sind seit über 40 Jahren mit der sensiblen Journalistin Marlies Menge verheiratet. Wie schwer war es, mit Ihnen verheiratet zu sein?

Menge:
Das ist eine Frage, die ich natürlich ganz leicht beantworten kann. Ich halte das für ein – Ich finde, sie ist gut davon gekommen. Aber da müssten Sie Marlies fragen.

Gaus:
Sie haben drei erwachsene Söhne. Der älteste Sohn Moritz ist Spastiker und hat in der einen oder anderen Form jene Behinderungen, die damit verbunden sind.

Menge:
Rollstuhlfahrer.

Gaus:
Ja, und auch Schwierigkeiten, zu artikulieren.

Menge:
Ja.

Gaus:
Wie sind Sie damit zurecht gekommen im Leben?

Menge:
Am Anfang war es schwer. Heute ist das ganz prima. Er fühlt sich... Also ich habe manchmal das Gefühl, was mich auch außerordentlich überrascht hat, dass er sich eigentlich immer, wenn ich – wir telefonieren mindestens jede Woche einmal. Er ist immer glücklich. Der ist immer glücklich und zufrieden. Mit anderen Kindern gibt es mal diesen Ärger und jenen Ärger. Aber mit dem nie. Ich meine, keinen wirklichen Ärger. Der ist in so einer Camphill - Organisation, in einem Dorf, was die Anthroposophen machen. Und was auch immer sie machen, weiß ich nicht, das ist ein bisschen schwer zu verstehen. Aber wie die mit Behinderten umgehen, wie die denen Selbstbewusstsein und ein Lebensgefühl beibringen, das ist erstaunlich.

Gaus:
Viele Jahrzehnte ihres Lebens, Herr Menge, war ganz erkennbar die Insel Sylt für Sie – Sie haben dort auf der Insel in Praderup ein Haus – war für Sie die Insel der Seligkeit. Können Sie sagen, warum das so war und ist das so geblieben oder lässt das mit dem Alter nach?

Menge:
Es lässt mit dem Alter nach. Es ist natürlich, auch zu unterschiedlichen Generationen, in unterschiedlichem Alter macht es unterschiedlich viel Spaß, nicht? Also...

Gaus:
Warum war es die Insel der Seligkeit?

Menge:
Ach es war – also ich meine, als ich das erste Mal auf Sylt war und ich sehe schon, dass Sie hin und wieder nach der Uhr gucken, deshalb kann ich Ihnen das gar nicht erzählen, aber es war - ursprünglich war es...

Gaus:
Damals waren Sie sehr verhungert und ein britischer Kontrolloffizier hat gesagt: ‚Fahr doch da mal hin und iss dich durch’.

Menge:
Er hat mir eine Adresse gegeben. Er sagte, er war – ein Kriegsgefangenlager hätte er in Schleswig Holstein geleitet und wäre da auf einen Bauern gestoßen. Und zu dem Bauern bin ich hin gefahren mit der Bahn und bin da zehn Tage gewesen, habe gefressen für ich glaube fünf Mark am Tag, Vollpension...


Gaus:
Und hinterher haben Sie gemerkt, Sie waren auf Sylt.

Menge:
Als ich zurückgefahren bin, habe ich gemerkt, dass ich auf einer Insel bin. Also ich habe das gar nicht gemerkt. Und dann bin ich hingefahren und habe gesagt, jetzt gucke ich mir das mal an. Und damals war die Insel ja noch leer. Also am Strand war ich und dann zweihundert Meter war... - oder so und dann fuhren ein paar Leute hin. Es war mal vorher schon etwas, aber ich finde, ich habe das Rätsel Sylt nie gelöst, aber ich glaube, das Klima ist eine ganz wichtige Sache. Das merke ich noch heute.

Gaus:
Erlauben Sie mir eine letzte Frage. Wären Sie gern der erste Harald Schmidt im deutschen Fernsehen geworden, Herr Menge?

Menge:
Also, die Frage hätte sich für mich nie gestellt, weil, zu dessen Tätigkeit und das sieht man ja an der Werbung heute besonders, gehört eine schauspielerische Fähigkeit, über die ich überhaupt nicht verfüge. Ich würde soweit gehen, dass Leute mit schauspielerischen Fähigkeiten mir eigentlich auch verdächtig sind. Oder sagen wir: Männer.