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Die Historikerin und Journalistin Katja Hoyer kommt aus Guben in Brandenburg. Heute forscht sie am renommierten Kings College in London. Für ihr neues Buch hat sie sich Großes vorgenommen: In "Diesseits der Mauer" will sie eine neue Geschichte der DDR erzählen. Ohne Nostalgie und ohne den ständigen Vergleich mit dem Westen. Es geht ihr um die Sicht der Menschen, die den deutschen Sozialismus selbst erlebt haben.
Eine übertriebene Nähe zum Kommunismus war den Briten noch nie eigen. Schon gar nicht in diesen Tagen, im Krönungs-Rausch. Doch nun hat das Buch einer deutschen Historikerin ausgerechnet im Mutterland des Kapitalismus Interesse für die realsozialistische GDR geweckt. Selbst beim offiziellen Lieferanten des Königshauses und ältesten Buchladen des Landes, Hatchard’s, verkauft es sich blendend. "It‘s flying off the shelves", es wird uns aus den Regalen gerissen, sagt die Verkäuferin. Bevor sie Katja Hoyer die nächsten Stapel von "Beyond the wall", "Jenseits der Mauer", zum Signieren auf den geschichtsträchtigen Tisch legt.
Katja Hoyer, Historikerin und Journalistin
"Der Tisch ist angeblich der, auf dem auch schon Oscar Wilde seine Bücher unterschrieben hat. Oscar‘s table, as it‘s known here…"
Von Oscar Wilde in die DDR: Katja Hoyer hat den Briten den Blick über den eisernen Vorhang eröffnet. Und die schmunzeln erst über dieses exotische Reich und ihre greisen Führer, und staunen dann, wie die das da drüben gemacht haben, mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Welch gigantische Wohnungsbauprogramme das kleine Land aus dem Boden gestampft hat. Na klar, für uns Deutsche ist das ein alter Hut. Hier aber werden solche Errungenschaften nun britisch pragmatisch und erstaunlich unideologisch auf Vor- und Nachteile abgeklopft.
Katja Hoyer, Historikerin und Journalistin
"Was mich hier überrascht hat an der Art und Weise, wie das aufgenommen worden ist, ist, dass relativ wenig Wissen da ist und dass man genau wie in Westdeutschland auch die DDR zu so einer Kalten-Kriegs-Karikatur gemacht hat. Ich bin vielen Briten begegnet, die von sich aus gesagt haben, `ich hatte dieses sehr verflachte, cartoonhafte Bild sozusagen der DDR im Kopf´. Aber dass ein Interesse daran besteht und auch ein Bewusstsein besteht, dass es dieses Klischee gibt und das bewusst sozusagen anzugehen und versuchen abzubauen."
Katja Hoyer lebt seit über 10 Jahren in England. Vom renommierten King‘s College, wo sie derzeit forscht, hat sie einen prächtigen Blick über London. Und vielleicht auch den richtigen Abstand, um über die DDR zu schreiben? Dort ist Katja Hoyer geboren, kurz vor deren Ende: 1985 in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben. Sie hat in Jena studiert, dann zog es sie hinaus in die Welt. Doch das verschwundene Land ließ die Historikerin nicht los.
Katja Hoyer, Historikerin und Journalistin
"Es wird relativ wenig darüber gesprochen, wie die DDR insgesamt eigentlich in die deutsche Geschichte passt. Es wird oft darüber gesprochen, wie die Gesellschaft im Westen sagen wir mal zum Beispiel in den 70er Jahren war und dann ist dann immer noch: `Ach, und so wars im Osten´. Die DDR wird eben als diese seltsame Seitengeschichte der deutschen Nachkriegsgeschichte dargestellt, als Zone oder als deutschen Teilstaat."
Bis heute wird die DDR meist nur als "Betriebsunfall" der deutschen Geschichte gesehen, sagt Katja Hoyer. Als Anomalie neben der westdeutschen Norm. Dabei kann sie sich sogar auf die ehemalige Bundeskanzlerin berufen: Auch die musste sich sagen lassen, dass ihre DDR-Biografie doch nur "Ballast" sei. Eine unnütze Last, die man besser schnell abwirft.
Angela Merkel, ehem. Bundeskanzlerin
"Ganz gleich, welche guten und schlechten Erfahrungen man mitbrachte: Ballast. Bis heute, davon bin ich überzeugt, wird zu wenig gesehen, dass die Wiedervereinigung für die allermeisten Westdeutschen bedeutete, dass es weiter ging wie zuvor."
Katja Hoyer holt weit aus, um dieses Geschichts-Bild aufzubrechen. Beginnt ihre Geschichte der DDR weit vor deren Gründung, sucht nach Prägungen, erzählt von der vermeintlichen Stunde Null nach dem deutschen Untergang und rekonstruiert ganz nüchtern den Weg zur Teilung 1949. Denn die, so schreibt sie, war letztlich im Interesse der Mächtigen auf beiden Seiten, weil sie die Trennlinie zwischen Ost und West zementierte und beruhigte. Die DDR war ebenso wenig ein "Betriebsunfall" der Geschichte, wie die Bundesrepublik.
Katja Hoyer, Historikerin und Journalistin
"‘49 ist eigentlich ein interessanter Moment, weil die deutsche Teilung so unbeliebt war bei der Bevölkerung Ost und West, dass die jeweiligen Regierungen und auch die Supermächte jeweils versucht haben, dass der anderen Seite in die Schuhe zu schieben und man irgendwie den schwarzen Peter versucht hat, auf die andere Seite zu schieben, um zu zeigen, dass man selber nicht an der Teilung Schuld hatte."
Katja Hoyers Blick auf die DDR ist im Detail nicht neu. Anders schon. Er rückt die ins Zentrum, die nicht aufbegehrten, sondern den Staat annahmen, sich arrangierten. Ist das schon Verharmlosung? Oder eher ein realistischeres Abbild der Mehrheitsgesellschaft? Katja Hoyers Familie gehörte dazu – ihr Vater war Offizier, die Mutter Lehrerin. Auch davon schreibt sie in ihrem Buch. Wer die DDR nur an heutigen Maßstäben misst, wird ihr nicht gerecht, sagt sie: Ein Land, das Stabilität und Heimat bot und zugleich eine Diktatur war, deren Führer dem eigenen Volk vom Anfang an mit brutaler Paranoia begegneten.
Katja Hoyer, Historikerin und Journalistin
"Das sind Kontraste, die wir einfach aushalten müssen, die man nicht versuchen kann, auf einen Kompromiss oder auf eine Geschichte der DDR hinunterzubrechen, sondern es gibt eben Millionen von Geschichten und Lebensgeschichten innerhalb der DDR, die alle existiert haben und das hat für verschiedene Menschen verschiedene Konsequenzen gehabt."
Katja Hoyers Buch ist kein Schlusspunkt. Sondern vielleicht eher ein neuer Anfang, über die DDR nachzudenken? Ein bisschen britische Unvoreingenommenheit täte uns dabei ganz gut. Hier ist die DDR jedenfalls in feinster Gesellschaft.
Autor: Tim Evers