Augenuntersuchung eines älteren Mannes (Bild: Colourbox)
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Interview l Ophthalmologische Versorgung im Alter - OVIS-Studie: Augenlicht in Gefahr?

Der Sehsinn ist einer unserer wichtigsten Möglichkeiten mit der Welt in Kontakt zu bleiben. Und er trägt als Fenster zur Welt dazu bei, dass unser Gehirn aktiv bleibt. Aber gerade die Sehfähigkeit älterer Menschen gerät in unserem Pflegesystem immer wieder in Gefahr. Das hat auch deutschlands bisher größte Versorgungsstudie "OVIS" festgestellt. Über neue Erkenntnisse und mögliche Maßnahmen hat die rbb Praxis mit Prof. Dr. Frank Holz, Vorsitzender der Stiftung Auge und Direktor der Uni-Augenklinik Bonn gesprochen.

Mit der OVIS-Studie hat die Stiftung Auge 2016 die augenmedizinische Versorgung älterer Menschen in Seniorenheimen untersucht. Über 600 Bewohner in 32 Seniorenheimen überall in Deutschland wurden dafür von Teams aus Augenfachärzten besucht. Ergebnis: Über 60 Prozent der Untersuchten brauchten eigentlich augenärztliche Hilfe. Im Schnitt hatten sie seit vier Jahren keinen Augenarzt mehr gesehen und teilweise war ihr Augenlicht in Gefahr.

Prof. Holz, was sind Ihre aktuellen Erkenntnisse und was leiten Sie daraus ab?
 
Es war eine Querschnittstudie, die größte Versorgungsstudie dieser Art in Seniorenheimen, was speziell den Aspekt der Augengesundheit bzw. der Augenerkrankungen anbelangt. Basierend auf der OVIS-Studie gehen wir heute an die Öffentlichkeit mit einem konkreten Maßnahmenkatalog, weil die Studie doch erhebliche Defizite in der augenheilkundlichen Versorgung in Seniorenheimen festgestellt hat. Es ist ein ganzes Bündel von Faktoren, dass die hochmoderne Augenmedizin oft nicht in Seniorenheimen ankommt, weil da die fachärztliche Versorgung teilweise nicht stattfindet. Aber die OVIS-Ergebnisse haben auch gezeigt, dass beispielsweise so etwas Triviales wie Transport in Arztpraxen nicht organisiert wird, nicht stattfindet, aber auch nicht finanziert wird von den Kassen – das macht es schwierig. Oder auch, wenn man in Gruppentransporten dächte, fehlt es an Begleitpersonen, die mitkommen. Und es kann nicht sein, dass jemand blind wird, weil es am Transport fehlt.
 
Aber es gibt natürlich auch einen Anteil immobiler Patienten, die auch nicht in Kliniken oder Praxen gehen könnten und dann müsste das eben vor Ort tatsächlich gemacht werden – und diese Struktur besteht größtenteils nicht. Wir haben in der OVIS-Studie auch gelernt, dass ein Großteil der Patienten innerhalb der letzten vier Jahre nie einen Augenarzt gesehen hat – und die Augenerkrankungen im Alter können zu Erblindung führen und müssen behandelt werden, um Erblindung zu verhindern. Wenn da nicht mal eine Untersuchung stattfindet, entdeckt niemand die Erkrankung und findet natürlich auch keine Behandlung statt.

Welche Erkrankungen sind es denn Ihrer Erfahrung nach, die deshalb besonders häufig gefährlich werden für das Augenlicht der Patienten?
 
In der OVIS-Studie wurden auch die Senioren in den Heimen untersucht, so dass wir relativ gute Daten haben, wie dort die Verteilung der Erkrankungen ist und es sind vor allem drei Erkrankungen, die da zahlenmäßig eine große Rolle spielen: Das ist die Altersbedingte Makula-Degeneration (AMD), der Graue Star und der Grüne Star – das Glaukom.

Auf welche Zeichen können Angehörige achten, um zu erkennen: Das sollte dringend mal ein Augenarzt untersuchen?
 
Natürlich ist es hilfreich, wenn auch Angehörige mit drauf achten und es gibt ganz klare Zeichen – wenn jemand, der früher viel gelesen hat das plötzlich nicht mehr tut oder kein Fernsehen mehr schaut oder sich sozial stärker isoliert oder auch öfter stolpert. Also es gibt verschiedene Indizien, dass Sehprobleme vorliegen können. Aber es ist etwas unfair da nun die Angehörigen in die Pflicht zu nehmen – die werden das auch sicher fürsorglich tun. Aber es ist im Maßnahmenkatalog, den wir nun vorstellen, auch ein Bestandteil, dass wir in die Ausbildung der Altenpflegerinnen und –pfleger gehen wollen, damit da ein Bewusstsein für die Symptome – sodass, wenn dort etwas beobachtet wird, von da eine augenfachärztliche Untersuchung ausgelöst wird. Das wäre der Schritt.
 
Und manchmal sind es auch so schlichte Dinge, haben wir in der OVIS-Studie gelernt, dass einfach die richtige Brille gar nicht da oder angepasst ist, was dazu führt, dass jemand nicht mehr lesen kann.

Können Sie uns ein paar der zentralen Maßnahmen nennen, die die Stiftung Auge von Politik und Kassenvertretern einfordern für eine Versorgungsverbesserung?
 
Ja, einen hatte ich ja eben schon genannt: In der Ausbildung der Pflegeberufe das Thema besser zu verankern. Augenerkrankungen, potentiell zur Erblindung führende Erkrankungen im Alter: Was sind die Symptome? Wie fällt das auf? Und nicht nur für die Ausbildung, auch für die Weiterbildung für diese Berufe Programme zu machen, damit eben das Bewusstsein steigt.
 
Dann auch: Transport organisieren für mobile Patienten, damit die augenärztlich untersucht werden können. Da muss die Finanzierung der Kassen natürlich endlich gewährleistet sein.
Und dann ist ein Ansatz, dass Screening-Untersuchungen etabliert werden müssen in den Heimen durch Fachpersonal. Es müssen nicht immer Augenärzte sein – ein Teil wäre aus unserer Sicht auch deligierbar an speziell ausgebildete medizinische Fachangestellte oder Orthoptisten sind da geeignet. Damit jedenfalls in den Heimen gerade bei den immobilen Patienten auch Augenerkrankungen rechtzeitig und früh diagnostiziert werden.
 
Und ganz wichtig ist uns: Wenn jemand in ein Heim, in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung kommt, dass schon mit dem Eintritt über den Hausarzt oder den behandelnden Augenarzt kommuniziert wird: Was liegt an Augenerkrankungen vor? Und welche Behandlung sind während der Zeit im Seniorenheim unbedingt notwendig? Und wie oft und wann muss er oder sie wieder untersucht werden? Da fehlt es oft an Informationen und das kann schon mal dazu beitragen, dass Dinge, die passieren müssten, unterlassen bleiben.

Wie ist das denn bei den Menschen, die im Alter noch zuhause leben. Könnte da die Digitalisierung zu einer besseren Versorgung beitragen?
 
Auch da sind entsprechende Studien geplant, aber es wird wahrscheinlich keine Überraschung sein, dass Versorgungsdefizite dort vorliegen. Sie fragen nach elektronischen Medien und Telemedizin, aber dass dort irgendwann ein Apparat steht, der das ganze Auge untersuchen könne und Alarm ruft, wenn etwas geschehen muss – das ist im Moment noch gar nicht darstellbar. Die Rolle dieser digitalen Medien würde ich eher sehen, wenn eine chronische Augenerkrankung  vorliegt, dass man dann ein paar Arztuntersuchungen einspart, indem die Diagnostik dann im häuslichen Umfeld stattfindet. Und da gibt es schon Entwicklungen, die das machen können.

Ihre Kollegin Prof. Dr. Ursula Lehr nannte auch Zahlen, nach denen 20 – 25 Prozent der von Hausärzten diagnostizierten Demenzen sogenannte Pseudodemenzen sind – auch das kann verschlechtertes Sehvermögen bewirken - eine Fehldiagnose in Richtung Demenz. Umgekehrt kann ein Verlust der Sehkraft auch Demenz verstärken, weil das Hirn weniger Anregung bekommt, nicht wahr?
 
Ja, auch dazu gab es jetzt eine umfängliche Studie, wie die Sehbeeinträchtigung im Zusammenspiel mit der Demenzerkrankung wirkt und es ist ganz klar: Wenn die Sehbeeinträchtigung dazu kommt, dann gibt es Folgeeffekte und die Demenz kommt quasi noch mehr zum Tragen. Auch gerade für Demenzpatienten ist das gute Sehen von elementarer Bedeutung – die Teilhabe am Leben, an gesellschaftlichen Ereignissen – wenn das nicht da ist, nehmen auch die kognitiven Fähigkeiten schneller ab.

Herr Prof. Holz, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Lucia Hennerici

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