Feiernde junge Leute mit großen Bierkrügen in der Hand (Quelle: imago/Ralph Peters)
Bild: imago/Ralph Peters

Interview | Mit Onlineprogramm gegen riskanten Alkoholkonsum - "Wir haben eine gestörte Trinkkultur"

Das Glas Wein zum Essen oder das Feierabendbier: Alkohol gehört für viele zum Alltag. Doch schnell werden unbedenkliche Mengen überschritten. Ein Programm im Internet soll helfen das Trinken zu reduzieren – denn die Entwicklung vom unbedenklichen zum riskanten Konsum vollzieht sich oft schleichend, erklärt Suchtexperte Prof. Lindenmeyer.

rbb Praxis: Herr Professor Lindenmeyer, wie funktioniert der Alkoholtest im Internet?

Der Selbsttest kann unter selbsthilfealkohol.de im Internet aufgerufen werden. Der Test besteht aus zehn Fragen, die man innerhalb von zwei bis drei Minuten beantworten kann. Dabei geht es unter anderem um die Häufigkeit des Alkoholkonsums, um die Menge und auch darum, ob man sein Trinkverhalten noch kontrollieren kann. Dieser sogenannte AUDIT Test wurde von der Weltgesundheitsorganisation entwickelt und wird weltweit als Screening-Instrument eingesetzt, um zu sehen, ob der Alkoholkonsum eines Menschen risikoarm, risikohaft oder bereits schädlich ist und sich Zeichen für eine Abhängigkeit zeigen.
 
Dann gibt es die Möglichkeit im Internet an einem sechswöchigen Programm teilzunehmen. Das ist in den Niederlanden entwickelt worden und wird dort seit drei bis vier Jahren angewendet. Wir von der Salus Klinik haben dieses Programm ins Deutsche übertragen und bieten es mit Unterstützung der AOK Nord kostenlos im Internet an.

Was kann der Betroffene tun, wenn sein Konsum als "riskant" eingestuft wird?

Zunächst entscheiden die Teilnehmer, ob sie ihren Alkoholkonsum ganz einstellen oder ihn nur verringern wollen. Dann läuft es über sechs Wochen so, dass die Teilnehmer sich möglichst zwei- oder dreimal täglich in das Programm einloggen. Dabei gibt man zum Beispiel an, wie viel man getrunken hat, ob es schwer gefallen ist, die Menge zu reduzieren und wie stark und wie häufig das Verlangen nach Alkohol war. Diese Angaben, die man da macht, bewertet das Programm zum Beispiel durch Lob oder durch Grafiken, die zeigen, dass es vielleicht noch nicht so gut funktioniert hat.

Zusätzlich gibt es kleine Aufgaben, die man in wenigen Minuten beantworten kann, etwa nach den Zielen, für die man den Alkoholkonsum reduzieren will. Nicht zuletzt gibt es kurze Texte, die über Alkohol informieren, ein persönliches Tagebuch, das man führen kann und auch einen Chat, wo man sich anonym mit anderen Teilnehmern aus dem Programm austauschen kann. Man hat auch die Möglichkeit eine Emailadresse – auch anonymisiert – anzuggeben, worüber man zu einem Mitarbeiter der Klinik Kontakt aufnehmen kann. So kann zum Beispiel auch festgestellt werden, ob das Programm allein ausreicht oder ob es sinnvoller wäre, eine Suchtberatungsstelle auszusuchen. Trotz dieses direkten Kontaktes können die Teilnehmer aber anonym bleiben; wir erheben keine persönlichen Daten und geben auch keinerlei Daten weiter.

Wie erfolgreich ist das Programm in Internet?

Das Programm gibt es jetzt seit gut einem Jahr und bislang haben etwa 40.000 Menschen die Internetseite besucht. Rund 6.000 haben den Selbsttest gemacht, wobei sich bei 82 Prozent derjenigen, die an dem Selbsttest teilgenommen haben, ein riskanter oder sogar schädlicher Alkoholkonsum herausgestellt hat. Von diesen rund 5.000 Menschen haben wiederum 1.300 an dem sechswöchigen Onlineprogramm teilgenommen. Diese Zahlen haben uns selbst überrascht. Es ist aber so, dass natürlich vor allem Menschen auf diese Webseite gehen, die sich kritische Gedanken zu ihrem Alkoholkonsum machen. Und die Anonymität des Internets erlaubt offensichtlich eine größere Offenheit. Anders als bei anderen Suchtprogrammen haben wir statt 20 über 40 Prozent weibliche Teilnehmer an dem sechswöchigen Onlineprogramm. Das zeigt, dass bei Frauen, die Scham anscheinend noch größer ist als bei Männern.

Wir haben in Deutschland ein sehr gut ausgebautes Suchthilfesystem für Alkoholiker. Das Problem ist, dass nur maximal 15 Prozent der Betroffenen aktiv Hilfe in Beratungsstellen suchen. Deshalb ist ein solches Angebot im Internet sehr sinnvoll. In den Niederlanden, wo dieses Programm ja schon länger existiert, gab es zwei große Studien zum dauerhaften Erfolg dieses Programms. Und die haben gezeigt, dass der Erfolg auch über den Abschluss des Programms hinaus noch anhält.

Wie viel Alkohol gilt als unbedenklich und wo fängt der riskante Alkoholkonsum an?

Frauen sollten nicht häufiger als an fünf Tagen in der Woche ein Glas Wein oder Bier trinken. Bei Männern liegt die Grenze bei zwei Gläsern. Diese Mengen sind geringer als viele das denken. Es ist auch nicht so, dass man bei einer höheren Trinkmenge sofort abhängig oder krank wird. Aber die Studien zeigen, dass diese Grenzen durchaus sinnvoll sind und es bei dauerhaft höherem Konsum zu gesundheitlichen Schäden und irgendwann auch zu einer Abhängigkeit kommen kann.

Wie viele Deutsche haben ein Alkoholproblem? Nimmt das eher zu oder ab?

Generell nimmt der Alkoholkonsum in Deutschland seit 1979 langsam ab. Insbesondere Jugendliche trinken weniger, allerdings gibt es in dieser Altersgruppe auch gefährliche Trinkmuster, etwa das Koma-Trinken. Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch ist etwas, was durch alle Schichten geht. Insbesondere bei Frauen und Menschen aus gebildeten Schichten verringert sich der Alkoholkonsum eher langsamer als im Durchschnitt der Bevölkerung. Frauen insgesamt gleichen sich eher dem Trinkstil von Männern an. Sie trinken zwar nicht mehr als die Männer, aber sie reduzieren die Mengen deutlich weniger als die Männer. Insgesamt muss man sagen, dass wir in Deutschland eine gestörte Trinkkultur haben. Das bedeutet, dass wir keine klaren Regeln haben und keiner "lernt" wie man richtig trinkt. Das ist in Italien zum Beispiel anders, wo es gesellschaftlich verpönt ist, wenn ein junger Mensch einen Rausch hat. Hinzu kommt, dass Alkohol in Deutschland billiger ist als im europäischen Durchschnitt, auch das verleitet natürlich eher zum Konsum.

Mit dem Programm wollen wir Alkohol nicht verteufeln. Aber wir wollen einer Gruppe von Menschen, die sich möglicherweise in einer kritischen Phase befindet, ein niederschwelliges Angebot machen. Ein Angebot, das frühzeitig greift, bevor Alkohol zu einem massiven Suchtproblem wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lindenmeyer.

Das Interview führte Ursula Stamm

Weitere Beiträge

So genannte Legal High Produkte liegen im Landeskriminalamt aus (Quelle: dpa/Pauline Willrodt)
dpa/Pauline Willrodt

Legal Highs und die Folgen - Ein lebensgefährlicher Drogenersatz

Sie sehen so harmlos aus, werden als Badesalze, Kräutermischungen oder Lufterfrischer deklariert. Menschen kaufen die Legal Highs, weil sie "drauf sein wollen", weil sie einen "gesunden" Ersatz suchen zu Cannabis, Kokain oder LSD. Bis sie dann während ihres Trips den Betrug bemerken und es zu spät ist.