Hände tippt auf Laptop, der in Medizinnetzwerk surft (Bild: Colourbox)
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Interview | Big Data in der Medizin - Viele Daten helfen viel !?

Wie können große Datenmengen, also Big Data, helfen, die medizinische Versorgung von Patienten zu verbessern? Sie müssen gebündelt, verknüpft und zugänglich gemacht werden - dann können unterschiedlichste Krankheiten bekämpft werden, wie Dr. Matthieu-P. Schapranow vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam erklärt.

Herr Dr. Schapranow, gerade hat es am Hasso-Plattner-Institut eine Tagung zum Thema "Big Data in der Medizin" gegeben. Wie können große Datenmengen in der Medizin weiterhelfen?

Der Grundgedanke von Big Data ist, dass die Menge an Daten genutzt werden kann, um Zusammenhänge zwischen ähnlich gearteten Krankheitsfällen zu finden und daraus Rückschlüsse für die Behandlung des Einzelnen zu ziehen. Wo der Arzt früher nur sein eigenes Patientenklientel als Grundlage hatte, hat er nun potentiell Zugriff zu globalen Patientendaten, die er nur in die richtige Verbindung zu seinem Patienten bringen muss. Und da kommt das Hasso-Plattner-Institut ins Spiel, das darauf spezialisiert ist, große Datenmengen mit Hilfe der In-Memory-Technologie interaktiv auszuwerten. Wir liefern den Ärzten quasi das IT-Handwerkszeug, um die riesigen medizinischen Daten adäquat nutzen zu können. Das geschieht in enger Zusammenarbeit mit Ärzten und medizinischen Experten. Am Ende arbeiten wir also gemeinsam an einer globalen medizinischen Wissensdatenbank, die das jeweils aktuellste, weltweit verfügbare medizinische Wissen verknüpft.

Woher kommen überhaupt die vielen Daten, mit denen Sie am HPI arbeiten?

Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen Daten, die personalisiert sind, also zum Beispiel im Rahmen einer ärztlichen Behandlung dokumentiert wurden, und Daten, die ohne Personenbezug erhoben werden. Letzteres sind etwa Daten, die im Zusammenhang mit der Verabreichung eines bestimmten Medikamentes dokumentiert werden und nur eine Aussage darüber enthalten, ob das Medikament gewirkt hat oder nicht. Dabei werden nur bestimmte Daten wie Alter und Geschlecht erhoben, aber Name oder Wohnort bleiben anonym. Solche anonymen Daten sind schon heute vielfältig im Internet verfügbar, gerade was Krebstherapien angeht, da dort die Forschung sehr aktiv ist. Darüber hinaus sind viele Krebspatienten selbst bereit, ihre persönlichen Daten preiszugeben, um anderen Erkrankten damit zu helfen. Es gibt auch Internet-Plattformen, ähnlich wie Facebook, auf denen Patienten ihre Daten in einer Art "virtuellen Selbsthilfegruppe" austauschen. "PatientsLikeMe" ist solch eine Plattform. Auch helfen intelligente Algorithmen, um wissenschaftliche Publikationen im Netz "querzulesen" und die Erkenntnisse zusammenzustellen.

Wie kann die Arbeit des HPI helfen, Infektionskrankheiten wie etwa Ebola einzudämmen?

Bei Infektionskrankheiten wie Ebola ist es vor allem wichtig, die Erkrankten und ihre Kontaktpersonen schnell zu isolieren. Wir haben gerade erst mit Kollegen vor Ort erfolgreich erprobt, wie Daten über infizierte Personen und mögliche Kontakte systematisch dokumentiert und in Echtzeit ausgewertet werden können. Dazu werden Kontaktpersonen regelmäßig während der Inkubationszeit von 21 Tagen auf mögliche Symptome überprüft. Das hat man bisher teilweise auch schon in Papierform gemacht. Neu ist, dass diese Daten ohne Zeitverzögerung allen beteiligten Akteuren in digitaler Form zur Verfügung stehen. So kann sehr schnell entschieden werden, wer isoliert werden muss und wer nicht. Das Sammeln der Daten geschieht mit Hilfe von Smartphones, die von geschulten Mitarbeitern bedient werden. Das HPI hat eine App entwickelt, mit der diese Daten erfasst und verarbeitet werden können. Gleichzeitig ist es auch möglich, über das Smartphone direkten Kontakt zu den Mitarbeitern im Außendienst zu halten und sie kurzfristig an andere Orte zu schicken, wo ihre Hilfe dringender gebraucht wird. Der große Vorteil ist: Man braucht für diese Anwendung keine aufwändigen IT-Systeme vor Ort, das funktioniert alles Cloud-basiert im Internet.

Wie kann Big Data helfen, Krebspatienten besser zu behandeln?

Man muss sich vorstellen, dass ein Onkologe heute je nach Krebsart zwischen bis zu zehn verschiedenen Chemotherapien plus deren Kombination wählen kann. Drei von vier eingeleiteten Therapien wirken jedoch nicht wie erhofft. Das hat unter anderem damit zu tun, dass wir heute Krebserkrankungen immer noch nach ihrem ersten Auftreten in einem bestimmten Organ behandeln. Dabei kann es aber durchaus sein, dass ein Krebs, der zuerst in der Lunge diagnostiziert wurde, ursprünglich im Darm entstanden ist. Lungenkrebs wird aber anders behandelt als Darmkrebs. Beide Formen können möglicherweise zusammenhängen, etwa durch eine gemeinsame genetische Ursache. Durch die Auswertung großer Datenmengen ist die so genannte "Precision Medicine" entstanden. Hierbei fließen alle über einen Patienten bekannten Informationen bei der Wahl der Behandlungsentscheidung mit ein. Grundlage dafür ist eine Software, die wir gemeinsam mit der Charité entwickelt haben. Sie basiert auf den anonymisierten Daten vieler Patienten mit derselben Erkrankung, deren Therapieerfolg und Tumorgenetik.

Welche Hürden sind auf dem Weg zu Big Data in der Medizin noch zu überwinden?

Die Herausforderung ist, die vielen verteilten Datenquellen zu kombinieren, um wertvolle Rückschlüsse zu erlauben. Dabei liegen die Daten womöglich noch in unterschiedlichen Formaten vor, was es schwierig macht, sie zu verarbeiten. Sobald man das gelöst hat – und das ist technisch möglich – hat man auch Zugang zu einem sehr großen Pool von Wissen und dieses Wissen kann u.a. Ärzten dabei helfen, Therapieentscheidungen zielgerichteter zu treffen.

Das setzt natürlich auch voraus, dass diese Daten über die individuelle Behandlung des Einzelnen hinaus zugänglich sind. Heute stehen wir vor der Herausforderung, dass die Daten verteilt von unterschiedlichen Akteuren erhoben und gespeichert werden. Für den Patienten ist dies keinesfalls transparent. Es stellt sich die Frage: Wem gehören die Daten und wer sollte über sie wachen? Hier besteht die Pflicht für uns als Patienten, sie als unser Eigentum zu begreifen. Ich plädiere dafür, dass Patienten, ähnlich wie bei der Organspende, selbst bestimmen, was mit ihren persönlichen Daten passieren darf und was eben nicht, z.B. auch nach dem Tode. Dafür sind keine Festlegungen für die Ewigkeit nötig, denn technisch ist es möglich, persönliche Daten nur für ausgewählte Kreise freizugeben.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schapranow.

Das Interview führte Ursula Stamm