Smartwatch-Display zeigt Pulsmessung an (Bild: imago images/Panthermedia)
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Herzgesundheit für ein langes Leben - Ruhepulsdaten: Hype oder Hilfe für die Gesundheit?

Neue Studien weisen darauf hin, dass der dauerhaft hohe Ruhepuls ein Indiz für (künftige) Krankheiten und so ein verkürztes Leben sein könnte. Doch der Ruhepuls ist auch eine sehr individuelle Angelegenheit. Was kann er über die Gesundheit wirklich aussagen - und was nicht?

Was früher vor allem Ärzte, Sportler und Herzpatienten interessierte ist mittlerweile längst auch Teil der Standarddaten von Selbstoptimierern und wurde auch in der Coronaforschung immer wieder unter die Lupe genommen: der Ruhepuls. Hintergrund: Ein gut trainiertes Herz kann auch mit wenigen Schlägen viel Blut durch den Körper zirkulieren - schwache Herzen brauchen mehr Schläge. Und: Neue Studien weisen darauf hin, dass der dauerhaft hohe Ruhepuls ein Indiz für (künftige) Krankheiten und so ein verkürztes Leben sein könnte. Doch der Ruhepuls ist auch eine sehr individuelle Angelegenheit, wie große Forschungserhebungen zeigen. Was kann er über die Gesundheit wirklich aussagen - und was nicht?

Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute ist unser Herz mit Kontraktionen dafür im Einsatz sauerstoffreiches Blut durch den Körper zu pumpen - ein Leben lang. Wie gut oder schlecht es diese Aufgabe erfüllen kann, dafür gibt es verschiedene Indizien - Werte, die teilweise sehr einfach zu messen sind, zum Beispiel Blutdruck oder eben der Pulsschlag pro Minute. Lange stand ersterer, vor allem wenn es um den Bluthochdruck und davon Betroffene ging, im Fokus - vor allem, weil dieser Druckwert auch Rückschluss auf Risiken in den Gefäßen gibt (z.B. Arteriosklerose). Dauerhaft erhöhter Blutdruck ist ein starker Risikofaktor für Herzinfarkt und/oder Schlaganfall - und die rangieren unrühmlicherweise seit Jahrzehnten in den Top 5 der Todesursachen in Deutschland, wie auch in anderen modernen Industriestaaten.

Verkannt - erkannt?

Hinter diesem großen Wert - Blutdruck - der auch nicht immer so leicht zu spüren ist, wie der Puls, stand eben diese Herzschlagfrequenz zumindest in der öffentlichen Aufmerksamkeit lange zurück. Doch viele Studien konnten über die vergangenen rund zehn Jahre zeigen, dass Daten zum Ruhepuls auch langfristig eine starke Aussagekraft über die Gesundheit liefern können, insbesondere zum Risiko für einen (späteren) Herzinfarkt, aber auch zum Risiko eines vorzeitigen Todes. Experten weltweit gehen inzwischen davon aus, dass die Anzahl der Herzschläge pro Minute im Ruhezustand z.B. auch bei Menschen ohne bekannte Herz-Kreislauf-Krankheit tatsächlich ein unabhängiger Risikomarker für Gesamtsterblichkeit und Herzinfarkt-Risiko ist.

Risikofaktor hoher Ruhepuls

So konnten Studien mit langer Nachverfolgung der Untersuchten und großen Probandenzahlen Verbindungen zum Risiko der vorzeitigen Sterblichkeit und für den Herzinfarkt nachweisen - auch unabhängig von anderen Risiken, wie z.B. von schon bekannten Herzerkrankungen. Eine Studie am Uniklinikum des Saarlandes zeigte das beispielsweise bei der Untersuchung von gut 4.300 Personen mittleren Alters (Durchschnittsalter 59), die im Schnitt über gut neun Jahre nachbeobachtet wurden. Die Studie wurde 2015 auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) Fachpublikum präsentiert.
 
Die zwei zentralen Ergebnisse: Zum einen bestand eine kontinuierliche Beziehung zwischen dem Ruhepuls und der Gesamtsterblichkeit sowie dem Ruhepuls und Herzinfarkt - und zwar auch nach statistischer Bereinigung von klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren, dem Umstand der Erkrankung an der Schaufensterkrankheit (periphere Arterielle Verschlusskrankheit), der Einnahme von Lipid-senkenden und die Herzfrequenz senkenden Medikamenten und Artherosklerose begünstigendem Koronarkalk.
 
Zum anderen wiesen Probanden (ohne pulssenkende Medikamente) mit einem Ruhepuls von mehr als 70 Schlägen pro Minute eine um rund 60 Prozent erhöhte Gesamtsterblichkeit und ein fast um 90 Prozent höheres Risiko für Herzinfarkt auf, als Probanden mit einem Ruhepuls unter 70.
 
Auch eine schwedische Studie, die knapp 800 im Jahr 1943 geborene Männer über 21 Jahre mehrfach untersuchten und befragten, stellten fest, dass Probanden mit einem Ruhepuls von 75 bpm oder mehr doppelt so häufig binnen zwei Jahrzehnten verstarben wie solche, die einen Ruhepuls von 55 bpm oder niedriger hatten.

Ruhepulsdaten sind mehr als Fitnessdaten

Zu Beginn der 2000er beförderten Studien wie diese den Erkenntnisprozess vom unabhängigen Faktor Ruhepuls - nicht nur von z.B. anderen Erkrankungen, sondern auch von der Frage, ob der Puls am Ende nicht nur ein Hinweis auf körperliche Fitness sei:
 
Eine dänische Untersuchung, die "Copenhagen Male Study", untersuchte knapp 2.800 gesunde, berufstätige Männer (normaler Herzschlag, kein Diabetes, keine kardiovaskulären Erkrankungen zu Beginn) im mittleren Alter über gut 30 Jahre hinweg seit 1970/71. Die körperliche Fitness der Probanden wurde zu Beginn u.a. mit einem Fahrradergometer ermittelt. Nach 16 Jahren durchliefen die Probanden einen umfassenden Check-Up, knapp 30 Jahre nach Beginn wurde wiederum der Vitalstatus der Probanden aufgenommen. Die Forscher fanden heraus, dass ein hoher Ruhepuls signifikant mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden war: bei 81-90 bpm (beats per Minute/Schläge pro Minute) verdoppelte sich das Sterberisiko, bei über 90 bpm verdreifachte es sich - verglichen mit der Gruppe von Probanden mit Ruhepuls unter 50 bpm.
 
Obwohl der Ruhepuls nachweislich in starker Verbindung zur körperlichen Fitness steht (die wirkt sich sehr positiv auf den Ruhepuls aus), kommen die Forscher - vor allem durch den echten Test der Fitness in der Studie - zu dem Schluss: Probanden mit höherem Ruhepuls schneiden beim Sterberisiko schlechter ab - ungeachtet ihres physischen Fitnesslevels.

Welche Pulsfrequenz ist normal?

Bleibt die Frage: Welcher Ruhepuls ist eigentlich normal - und gesund? Generell haben Kinder und Senioren einen höheren Ruhepuls, als Erwachsene. Für einen gesunden Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren gilt ein Bereich von 60-90 bpm als normal. Optimalerweise liegt er aber bei einer gesunden erwachsenen Frau zwischen 60 und 74 bpm und bei einem entsprechenden Mann zwischen 50 und 69 bpm. Zum Vergleich: Ein 40 bpm-Ruhepuls beim Mann wäre am wahrscheinlichsten in einem gut trainierten Sportler zu messen.
 
Faktoren wie Fitness, Körpergewicht, Körpergröße, Vorerkrankungen (Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen oder hohe Cholesterinwerte), Medikamenteneinnahme, Lufttemperatur, natürlich auch Emotionen und die psychische Situation - sie alle können den Ruhepuls beeinflussen. Auch unter diesen Faktoren: das Geschlecht. Fun Fact: Zwar sind Frauen in der Regel kleiner und wiegen weniger als Männer, haben aber trotzdem im Schnitt einen leicht höheren Puls. Grund: Auch ihr Herz ist im Schnitt kleiner als das von Männern.

Wie individuell ist der Ruhepuls?

Allerdings sind diese Kategorien für den "normalen Ruhepuls" tatsächlich sehr grobe Instrumente der Einordnung, denn der Ruhepuls ist eine sehr individuelle Angelegenheit, wie die bisher größte Untersuchung von Herzfrequenzdaten durch ein US-amerikanisches Forscherteam 2020 noch einmal herausstellte: Die Wissenschaftler des Scripps Research Translational Institute in Kalifornien untersuchten mittels Smartwatches und Fitnesstrackern Ruhepulsdaten von über 92.000 Probanden über zwei Jahre. Die Studienteilnehmer trugen die Messeinheiten mindestens 20 Stunden am Stück an mindestens zwei Tagen in der Woche. Was bei einer Messung im Quartal durch den Arzt kaum zu sehen ist, wurde so mehr als deutlich - die Individualität des Ruhepulses. Die Forscher kamen zu zwei wesentlichen Ergebnissen:
 
1. Der Durchschnittsruhepuls lag zwar bei 65 bpm - aber die tatsächliche Bandbreite unter den Probanden zwischen 40 und 109 bpm. Dabei untersuchten die Forscher auch den Zusammenhang zu Faktoren wie Geschlecht, Gewicht, tägliche Schlafdauer oder Alter und stellten überraschenderweise fest: Für die Höhe des individuellen Ruhepulses hatten diese Faktoren zusammen nur 10 Prozent Aussagekraft.
 
2. Trotz der großen Unterschiede im Ruhepulswert bei den Individuen fand sich eine andere Gemeinsamkeit: die Stabilität des eigenen Pulsbereiches. Denn tatsächlich schwankte der persönliche Ruhepuls der Probanden nur selten um mehr als rund 10 bpm über ein Jahr oder länger.
 
Die kalifornischen Wissenschaftler gehen davon aus, dass für die frühe Erkennung von Krankheiten und Risiken am Ende wichtiger sein könnte zu erkennen, wann starke Abweichungen vom "eigenen Ruhepuls" auftreten und für wie lange, als "nur" eine Abweichung von einem Normbereich zu überprüfen. Dazu sind aber natürlich noch weitere Studien - auch unter Nutzung großer und langfristig erhobener Daten - nötig.

Corona & Co.: Puls als Krakheitsindikator

In jedem Fall kann ein erhöhter Ruhepuls Anzeichen für Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Übergewicht sein - und entsteht quasi nebenbei, als Nebeneffekt der körpereigenen Versuche die Versorgung mit Sauerstoff oder z.B. auch Insulin über das Blut zu optimieren. Dafür pumpt das Herz schneller. Das geschieht ebenso bei Infektionen, um sozusagen das Immunsystem bestens zu versorgen - ein Grund dafür, warum in der Coronapandemie auch das Robert-Koch-Institut (RKI) über die Datenspende-App Pulsdaten sammelte und analysierte.
 
Eine erhöhte Pulsfrequenz kann ein gutes Indiz für Fieber, also eine Infektionsreaktion, sein. So sollten über eine Fieberkarte des RKI Hot Spots schneller erkannt werden können. Interessanter Nebeneffekt der RKI-Fieberkarte: Aus den gespendeten Pulsdaten ergab sich ein deutlicher Unterschied in Sachen Ruhepuls zwischen Nord und Süd, vor allem aber West und Ost auf der Deutschlandkarte. So lag der Ruhepuls im Norden höher als im Süden (besonders positiv schnitten Bayern und Baden-Württemberg ab) und im Osten Deutschlands tendenziell höher (64 bpm oder mehr) als im Westen (59 bpm). Der Durchschnittsruhepuls in Deutschland lag im Mai 2020 bei 60,98 bpm. Auch wenn die Analyse spannend ist, bleibt aber zu bedenken: Die Datenspende war und ist freiwillig und damit bleibt die Gruppe der Spender keine statistisch nach Zufallsprinzipien ausgesuchte, sondern birgt wahrscheinlich tendenziell z.B. eine große Zahl von an Gesundheitsthemen und Gesundheitsapps interessierten Menschen.

Hightech kann helfen - muss aber nicht

Grundsätzlich ist es sehr leicht den eigenen Puls zu messen und man braucht dazu auch keine Hightech-Armbänder, sondern lediglich zwei seiner Finger, die Fähigkeit zum Zählen und eine Uhr: Zwei Finger (nicht den Daumen, der hat einen "eigenen Puls") auf die Gefäße an der Innenseite des Handgelenkes legen und die Zahl der Pulsschläge binnen 30 Sekunden messen. Dieser Wert x2 ergibt den Pulsschlag pro Minute.
 
Damit aus der Pulsmessung auch eine valide Ruhepulsmessung wird, sollte man sich dabei in einer ruhigen Situation befinden, möglichst keine pulsbeschleunigenden Mittel zu sich genommen (dazu zählen auch Kaffee oder starker Tee) und sich über eine längere Zeit nicht viel bewegt oder körperlich angestrengt haben. Kurz: Morgens direkt nach dem Aufstehen wäre eine gute Zeit.
 
Smarte Helfer können solche Messungen natürlich nicht nur automatisiert und damit praktisch erfassen - viele geben auch Alarm, wenn der Puls außer Kontrolle gerät. Und was digitale Helfer natürlich besonders gut können ist: Daten aufzeichnen. Das bedeutet für den Träger und - so sie oder er die Daten weitergeben möchte - auch für behandelndes medizinisches Personal einen besonders guten Überblick, ohne Ablenkung verlässlich aufgezeichnet, auch über lange Zeiträume. Am Ende heißt das: Es braucht keine digitalen Helfer zum Pulsmessen, aber sie können einem einen sehr guten und vor allem langfristigen Überblick liefern und ermöglichen, die Erkenntnisse mit den Menschen zu teilen, die sie unter medizinischer Fachkenntnis analysieren können.

Beitrag von Lucia Hennerici