3D Darstellung: Mann und Frau auf Abstand, in der Mitte riesiges Coronavirus (Bild: imago images/Panthermedia)
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Interview l Wie sich SARS-CoV-2 verbreitet - Aerosole - das Risiko in der Raumluft

Aerosole - inzwischen wissen viele, dass über diese winzigen Partikel in der Atemluft SARS-CoV-2 übertragen werden kann. Am Hermann-Rietschel-Institut der Technischen Universität Berlin untersuchen Wissenschaftler*innen, wie sich Aerosole in Räumen ausbreiten und wie das Infektionsrisiko verringert werden kann. rbb Praxis sprach mit Institutsleiter Prof. Dr. Martin Kriegel darüber.

SARS-CoV-2 hat unser Leben verändert - überall auf der Welt. Zwei Faktoren machen uns in diesen Tagen zur Gefahr füreinander: 1. COVID-19, die Erkrankung, die das Virus hervorruft, verläuft einerseits bei vielen Infizierten fast symptomfrei. 2. Kann unter diesen Umständen die Verbreitung dieses Virus durch die Atemluft besonders schnell gehen.

Gerade in geschlossenen Räumen mit wenig oder gar nicht bewegter Luft kann laut vielen Experten besondere Ansteckungsgefahr bestehen. Aber warum genau?

Herr Prof. Kriegel, was sind Aerosole überhaupt und um welche Größenordnungen handelt es sich dabei?
 
Aerosole sind winzig kleine, flüssige oder feste Partikel, die von der Luft getragen werden. Das heißt, sie schweben als kleine Teilchen in der Luft und werden zum Teil über recht weite Distanzen durch die Luft transportiert.
 
Tröpfchen sind im Gegensatz dazu größer und fallen daher schneller zu Boden; allerdings ist auch das abhängig von der Luftbewegung im Raum. Je stärker diese Luftbewegung ist, desto länger halten sich auch Tröpfchen in der Luft.
Die Einteilung, dass Partikel bis fünf Mikrometer ein Aerosol sind und diejenigen über fünf Mikrometer ein Tröpfchen, die schnell zu Boden fallen, stimmt demnach nicht. So gut wie alle Partikel, die wir beim Atmen und Sprechen ausstoßen, sind kleiner als fünf Mikrometer. SARS-CoV-2-Viren wiederum sind 100 bis 200 Nanometer groß, das sind 0,1 bis 0,2 Mikrometer. Sie haften an den Aerosolen; das wurde inzwischen auch wissenschaftlich nachgewiesen.

Wie lange können SARS-Co-2-Viren auf diesen Aerosolen überleben?
 
Diese Fragestellung untersuchen nicht wir Ingenieure, sondern Mediziner. Ich und meine MitarbeiterInnen vom Hermann-Rietschel Institut arbeiten eng mit Medizinern der Charité, dem Robert-Koch-Institut und anderen Instituten bundesweit zusammen.
 
Der Virologe Christian Drosten hat einmal gesagt, dass es etwa drei Stunden sind - was ja schon eine lange Zeit ist. Denn die Aerosole verteilen sich innerhalb von wenigen Minuten im gesamten Raum und wir Menschen atmen sie dann ein. Nachdem das Wasser aus der Aerosolwolke größtenteils verdunstet ist, bleibt ein Aerosol-Kern übrig, auf dem die Viren weiter transportiert werden. Und wie lange der sich in der Raumluft halten kann, ist von verschiedenen Faktoren, wie Luftbewegung, Lufttemperatur und natürlich Lüftungskonzepten abhängig.

Sie forschen zur Ausbreitung von Aerosolen in der Raumluft. Welche neuen Erkenntnisse gibt es dazu?
 
Für uns als Ingenieure ist diese Forschung eigentlich ein "alter Hut". Wir beschäftigen uns in anderen Zusammenhängen, zum Beispiel bei der Lebensmittelverarbeitung, der Medikamentenproduktion oder der Planung von Operationsräumen, schon lange mit diesem Thema.
Das sind alles Bereiche, in denen es wichtig ist, dass in der Raumluft möglichst wenig vom Menschen ausgestoßene Partikel vorhanden sind. Jetzt ist die Forschung über das Verhalten der Aerosole in der Raumluft für die breite Öffentlichkeit interessant geworden, weil man weiß, dass das SARS-CoV-2-Virus sich an diese Aerosole anheftet.
 
Generell ist die Ausbreitung von Aerosolen in der Luft abhängig von vier Faktoren: das sind die Raumgröße, die Menge an Aerosolen, die ein Mensch ausstößt - was abhängig davon ist, ob wir zum Beispiel atmen, sprechen, husten schreien oder singen. Diese beiden Faktoren kann man nicht immer beeinflussen. Was man leichter beeinflussen kann, sind die beiden anderen Faktoren: Und das sind das Lüftungskonzept und die Dauer des Aufenthaltes in einem Raum.
 
Was wir noch gar nicht wissen ist: Wie viele Viren muss ein Mensch über die Luft einatmen, so dass er oder sie an COVID-19 erkrankt? Das lässt sich nur schwer untersuchen, weil man dafür eigentlich Menschen gezielt mit dem SARS-Co-2-Virus infizieren müsste, was ethisch nicht verantwortbar ist. Klar ist, je länger ich mich in einem Raum mit einer hohen Aerosolkonzentration aufhalte, desto größer ist das Risiko, eine krank machende Mengen an Viren einzuatmen.

Wie kann man die Aerosol-Last im Raum verringern und dadurch das Risiko für eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 minimieren?
 
Das gelingt nur, wenn man die Luft filtert oder für einen Luftaustausch im Raum sorgt. Je mehr Raumluft mit Frischluft, also Außenluft, ausgetauscht wird, desto geringer ist die Belastung mit Aerosolen. Das Problem ist nur, dass es schwer zu beurteilen ist, wie erfolgreich Lüftungskonzepte tatsächlich sind. Reicht es regelmäßig ein Fenster zu öffnen? Muss es einen Durchzug geben? Wie lange dauert es, bis die Luft in einem Raum komplett ausgetauscht ist?
 
Wir Ingenieure können das in unseren Versuchsanordnungen messen. Aber der Laie kann das in der Regel nicht beurteilen. Deshalb haben wir die CO-2 Messgeräte ins Spiel gebracht. Mit ihnen kann der CO-2 Gehalt der Raumluft bestimmt werden. CO-2 wird mit der Atemluft ausgestoßen und ist letztendlich ein giftiges Gas, welches aus der Luft abgeführt werden muss. Eine hohe Konzentration von CO-2 im Raum führt generell zu Konzentrationsschwierigkeiten und Müdigkeit, das ist schon sehr lange bekannt.
Was die Belastung der Raumluft mit Aerosolen und Viren angeht, ist der Gehalt an CO-2 ein wichtiger Indikator. Denn, die Aerosole verhalten sich, was ihre Ausbreitung angeht, fast genauso wie CO-2. Das heißt, wenn ich die Konzentration von CO-2 in der Raumluft kenne, kenne ich auch die Konzentration der Aerosole im Raum. Und damit auch das Risiko, dass über die Aerosole Sars-CoV-2-Viren verbreitet werden.
 
So ein CO-2 Messgerät ist insofern ein guter Indikator, weil unser subjektives Empfinden eines "gut gelüfteten Raumes" sehr unzuverlässig ist. Gerade mit den kühleren Temperaturen im kommenden Herbst und Winter, stellt sich dieses Problem. Denn wenn es draußen kalt ist, sagt man oft schon nach wenigen Minuten, "jetzt ist es frisch im Raum, jetzt mache ich das Fenster lieber wieder zu". Doch, ob mit dieser Lüftung auch tatsächlich ausreichend Aerosolpartikel aus dem Raum entfernt wurden, darüber sagt dieses subjektive Gefühl gar nichts aus.

Sie sollen als Wissenschaftler Ratschläge geben, zum Beispiel, was die Nutzung von Kinos oder Theatern im Vergleich mit einem Großraumbüro angeht. Können und wollen Sie das?
 
Da ist mir wichtig, vorauszuschicken, dass das Maskentragen und Abstandhalten nichts an Bedeutung verloren haben. Masken helfen, größere Tröpfchen aufzufangen und auch wenn das für die Aerosole nicht gilt, helfen Masken doch, den direkten Atemluftstrom umzulenken. Was wichtig ist, weil dieser Atemluftstrom hoch konzentriert Aerosole enthält.
Im Nahfeld einer Person, die mit SARS-CoV-2 infiziert ist, sind alle Regeln zum Thema Lüften und Zeitdauer nicht aussagekräftig. Erst dann, wenn sich die Aerosolwolke im Raum verteilt – was ja sehr schnell innerhalb von Minuten geschieht - kommen diese Faktoren wieder ins Spiel.
 
In Kinos und Theatern gibt es in aller Regel Lüftungsanlagen, die so konzipiert sind, dass sie Räume dieser Größe gut belüften. Das ist allein schon wegen des anfallenden CO-2-Ausstoßes wichtig.

Im Vergleich etwa zu einem Großraumbüro, spielt es dann eine wesentliche Rolle, wieviel Frischluft pro Person durch die Lüftungsanlage verteilt wird. Diese Menge ist in der Regel in einem Großraumbüro, in welchem sich zum Beispiel zehn Personen aufhalten, kleiner als in einem Kinosaal, in den 100 Personen hineinpassen. Das kann man mit einem Getränk vergleichen, das einmal mit einem halben Liter Wasser verdünnt wird und einmal mit drei Litern. In letzterem Fall ist die "Virensuppe" einfach dünner. Wenn man dann davon ausgeht, dass die Zahl der Infizierten sowohl im Großraumbüro als auch im Kino gleich ist - zum Beispiel bei den aktuellen Infektionszahlen statistisch eins - dann ist die Wahrscheinlichkeit, sich im Großraumbüro anzustecken größer als im Kino.

In einer guten Woche soll der Schulbetrieb in Berlin wieder aufgenommen werden. Werden dort Ihre Erkenntnisse über die Ausbreitung von Aerosolen in der Raumluft ausreichend berücksichtigt?
 
Nein. Einer der ganz wesentlichen Übertragungswege von SARS-CoV-2 sind laut Robert-Koch-Institut und mittlerweile auch der Weltgesundheitsorganisation, die Aerosole. Leider ist diese Erkenntnis überhaupt nicht in die Hygienekonzepte der Schulen eingeflossen.
 
Ich muss mich doch fragen, warum ich im Kino den Mindestabstand einhalten muss und in der Schule nicht. Ich weiß, dass die Schulöffnung wichtig ist, aber es gab meiner Meinung nach ausreichend Zeit, um bessere Konzepte zu entwickeln, die auch die Verbreitung über Aerosole im Blick hat. Zwar heißt es in den Anweisungen, es soll ausreichend gelüftet werden, aber was heißt das denn? Manche Schulräume können gar nicht ausreichend gelüftet werden. Die Schulen werden im Grunde genommen allein gelassen und müssen sich überlegen, wie sie diese Vorschriften praktisch umsetzen.
 
Ich bekomme gerade viele Mails, nicht nur von Berliner Schulen, in denen ich um Rat gefragt werde, weil die Verantwortlichen nicht wissen, was sie machen sollen. Ich kann im Moment nur jeder Schule raten, ihr eigenes Hygienekonzept zu entwickeln, das über diese grundlegenden Regeln hinausgeht.

Prof. Kriegel, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm

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