Eine Petrischale mit MRSA-Keimen (Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus) (Bild: dpa)
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Interview - Mit neuen Strategien gegen Krankenhaus-Keime

Mehr als 350.000 künstliche Gelenke werden jedes Jahr in Deutschland eingesetzt. Bei etwa einem von 100 Patienten entzündet sich die Endoprothese nach dem Einsatz in den Körper. Wie Krankenhausinfektionen vermieden werden können, darüber sprach rbb Praxis mit Prof. Dr. Carsten Perka, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik und Ärztlicher Direktor des Centrums für Muskuloskeletare Chirurgie an der Charité in Berlin. 

Herr Professor Perka, wie kommt es überhaupt zu einer Infektion nach dem Einsetzen eines künstlichen Gelenks?

Es gibt zwei Wege, über die eine solche Infektion stattfinden kann. Zum einen, indem Bakterien während der Operation von außen in den Körper gelangen; zum anderen, indem Bakterien aus einer anderen Stelle im Körper des Patienten zum künstlichen Gelenk "wandern". Es ist bei einer Operation trotz aller hygienischer Vorsichtsmaßnahmen niemals möglich, eine Wunde völlig keimfrei, also steril, zu halten. Normalerweise werden die Bakterien durch die körpereigene Abwehr abgetötet. Geschieht dies nicht, kann es zu einer Infektion kommen. Bei der sogenannten hämatogenen Infektion kommt es zur Ausbreitung einer Infektion, die bereits im Körper des Patienten vorhanden ist, zum Beispiel eine Blasenentzündung, eine Lungenentzündung oder auch eine Zahnwurzelentzündung. Das führt dann dazu, dass über die Blutbahn Erreger in die Nähe des künstlichen Gelenks gespült werden und sich dort absetzen. Dort können sie sich sehr gut vermehren, da das künstliche Gelenk ja nicht durchblutet wird und somit auch keine Abwehrzellen gegen die Bakterien vorhanden sind. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Körper in der Regel in der Lage ist, mit den wenigen Bakterien, die während der Operation eingeschleppt werden, umzugehen. Es gibt allerdings Patienten, die eher gefährdet sind, eine Infektion zu entwickeln. Das sind ältere Menschen mit multiplen Erkrankungen wie Diabetes oder einer Durchblutungsstörung, aber auch Raucher. 

Was kann schon vor der OP getan werden, um eine Infektion im Krankenhaus zu vermeiden?

Man muss sich vorstellen, dass unser ganzer Körper mit Bakterien besiedelt ist. Allein auf einer Fingerkuppe befinden sich bis zu hundert verschiedene Keime. Aber das ist auch gut so, denn sonst würde etwa der Säureschutzfilm unserer Haut nicht funktionieren. Und auch die Verdauung wäre ohne die Billionen von Darmbakterien nicht möglich. Das Problem ist nur, wenn solche Bakterien an Orte gelangen, wo sie nicht hingehören, etwa ein frisch implantiertes künstliches Gelenk. Deshalb sorgen wir bei unseren Patienten dafür, dass die Keimzahl auf der Haut vor der Operation möglichst reduziert wird. Das geschieht ganz einfach, indem die Patienten fünf Tage lang vor der Operation jeden Tag ihren gesamten Körper mit einer antiseptischen Lösung waschen. Zudem wird die Nase, auf deren Schleimhaut sich besonders viele Bakterien befinden, mit einem antiseptischen Nasen-Gel sowie Jod behandelt. Dieses Verfahren der sogenannten Dekolonisation hat in großen Studien dazu geführt, dass es bis zu 30 Prozent weniger Infektionen gab. Wir werden das in der Charité ab dem 1. Juli 2015 bei allen unseren Patienten durchführen und die Ergebnisse mit einer Studie begleiten. Diese Maßnahme wird rund 30.000 Euro kosten, welche vom Krankenhaus bezahlt werden. Wir denken aber, dass es sich sowohl für die Patienten als auch für die Charité am Ende auszahlt; denn allein ein Fall einer Wundinfektion nach Implantation eines künstlichen Gelenks kann schon eine solche Summe an Folgekosten verursachen.

Was kann während der OP vorbeugend getan werden?

Es ist inzwischen Standard, bzw. sollte Standard sein, dass mindestens 30 Minuten vor Beginn der Operation ein sogenanntes Breitband-Antibiotikum verabreicht wird. Dieses soll dann, wenn der Hautschnitt gesetzt wird, eine höchstmögliche Dosis im Körper des Patienten erreicht haben. Ich erlebe bei meiner Tätigkeit als Gutachter immer wieder, dass die Antibiotika-Prophylaxe erst zum Zeitpunkt der Schnittsetzung gegeben wurde und es dann zu Infektionen gekommen ist. Neben der Schutzkleidung der Mitarbeiter im OP und allen Hygienevorschriften, die wir inzwischen haben, spielt auch das künstliche Gelenk selbst eine Rolle. Um eine Bakterienbesiedelung auf der Oberfläche des Implantats zu verhindern, wurden diese Oberflächen in der Vergangenheit mit antibiotika- oder silberhaltigen Beschichtungen versehen. Diese Beschichtungen haben allerdings ein Problem: Die künstlichen Gelenke werden meistens ohne Zement eingesetzt und sollen in den Knochen einwachsen. Die keimabweisenden Oberflächenbeschichtungen behindern jedoch dieses Einwachsen. Es gibt jetzt allerdings eine neue Beschichtung von Kunstgelenken, die sowohl die Keimbesiedelung minimiert als auch das Einwachsen der Prothese in den Knochen ermöglicht. Wir wissen im Moment noch nicht, wie gut diese Prothesen wirklich sind. Aber sollten sich die Versprechungen einlösen, hätten wir noch ein Instrument mehr in der Hand, welches Infektionen nach Gelenkimplantationen verhindert. 

Es gibt auch eine Impfung gegen Staphylokokken. Was hat es damit auf sich?

Staphylococcus aureus ist einer der häufigsten Keime, die zu Infektionen in der Nähe von künstlichen Gelenken führen. Gefährlich wird der Keim vor allem dann, wenn er gegen Antibiotika resistent geworden ist. Man spricht dann von "Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus – MRSA Keimen. Staphylokokken sind sehr widerstandsfähig, können auf Gegenständen haften und werden meist über die Hände übertragen. Sie siedeln sich bevorzugt im Nasen- und Rachenraum an und können bei immunschwachen Patienten zu schweren Infektionen führen. An einer Impfung gegen diesen Keim wird schon länger geforscht. Jetzt gibt es einen neuen Impfstoff, welchen wir im Rahmen einer multizentrischen Studie mit 120 Patienten testen werden. Es gibt Patientengruppen, die besonders gefährdet sind, sich mit Staphylococcus aureus anzustecken. Das sind neben Diabetikern auch Raucher und Übergewichtige.

Sollten alle Risikopatienten bei der Aufnahme ins Krankenhaus auf die fünf wichtigsten Problemkeime untersucht werden, wie in den Niederlanden?

Ein solches Screening ist sicher sinnvoll und wird in Holland ja auch erfolgreich durchgeführt. Das Problem ist nur: Was mache ich mit einem Patienten, der akut mit einem Oberschenkelhalsbruch eingeliefert wird und sofort operiert werden muss? Den kann ich nicht erst tagelang isoliert in einem Zimmer auf seine OP warten lassen, bis ich die Auswertung des Keim-Screenings habe. Als "frei von Keimen" gilt jemand nämlich erst, wenn sein Abstrich dreimal hintereinander negativ war. In Deutschland fehlt eine Strategie, wie in solchen Fällen zu verfahren ist. In Holland hat man mehr Erfahrung im Umgang mit solchen Patienten und dort wird auch mehr Geld in Vorbeugung von Infektionen investiert. Wir haben dieses Screening zum Teil versucht durchzusetzen und mussten dabei feststellen, dass es für Patienten auch sehr irritierend ist, wenn plötzlich ein Mitpatient isoliert wird, weil wir bei ihm Problemkeime irgendwo im Rachen oder der Nase gefunden haben. Man muss sehr viel Aufklärungsarbeit leisten und stößt dennoch oft auf Unverständnis und auch Hysterie. Hinzu kommt, dass man auch das Klinikpersonal auf Problemkeime untersuchen müsste. Und da existieren Schätzungen aus den Erfahrungen anderer Länder, dass etwa 30 Prozent des Klinikpersonals Keimträger sind, d.h. sie müssten mit einem Mal ein Drittel des Personals nach Hause schicken. Dies wäre organisatorisch ein großes Problem, für das man erst mal Lösungen finden müsste. Deshalb haben wir uns in unserer Klinik gegen ein komplettes Screening aller Patienten auf Problemkeime entschieden und setzen jetzt auf die Dekolonisation, also die Hautwaschung vor der OP. Eine Ausnahme gibt es allerdings bei uns: Patienten, die aus dem Ausland kommen oder deutsche Patienten, die im Ausland behandelt worden sind, werden nach wie vor auf Problemkeime untersucht.

Infektionen nach Einsatz eines künstlichen Gelenks sind mit einem Prozent gegenüber drei bis fünf Prozent aller Krankenhausinfektionen deutlich seltener. Dennoch haben viele Patienten, die ein künstliches Gelenk bekommen sollen, große Angst davor. Wie erklären Sie sich das?

Dass unsere Infektionszahlen geringer sind, hat natürlich auch damit zu tun, dass wir meistens geplante und keine akuten Operationen durchführen. Bei älteren Menschen mit Oberschenkelhalsbruch sind die Zahlen zum Beispiel schon etwas höher. Warum Patienten so große Angst vor einer Infektion haben, hat natürlich auch damit zu tun, dass im Fall einer Infektion die Konsequenzen so groß sind: Die Prothese muss wieder entfernt werden, es schließt sich ein sechs- bis achtwöchiges Leben ohne Prothese an, in dem man die Infektion bekämpft. Dann kann zwar wieder ein neues künstliches Gelenk eingesetzt werden, aber in der Regel ist das in seiner Funktionalität nicht so gut wie das zuerst implantierte Gelenk und bereitet auch häufiger Beschwerden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Perka.

Das Interview führte Ursula Stamm