Valerie Schönian © Johanna Wittig
Bild: Johanna Wittig

Ein Beitrag zur Debatte von Valerie Schönian - Vereinbarkeit von Beruf und Familie - eine westdeutsche Debatte?

In der DDR arbeiteten Frauen selbstverständlich in Vollzeit, auch mit Kind. Diese Selbstverständlichkeit wirkt bis heute nach und kann vor allem für uns junge ostdeutsche Frauen ein Privileg sein. Wir sind mit dem Besten aus zwei Welten aufgewachsen.

Seite 2 von 3

Eine westdeutsche Debatte?

Vielleicht ist die ganze Debatte darum, ob Beruf und Familie überhaupt vereinbar sind, eigentlich eine eher westdeutsche Debatte. Ich habe sie immer sehr interessiert verfolgt. Und ich halte sie, um das zu betonen, auch für absolut notwendig, vor allem aus feministischer Perspektive.

Aber emotional berührt hat sie mich bislang eigentlich kaum. Und das scheint nicht an mir zu liegen, sondern an den ostdeutschen Strukturen, in denen ich aufgewachsen bin: In einer repräsentativen Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2015 gaben 65 Prozent der befragten ostdeutschen Frauen an, dass sie keinen Rechtfertigungsdruck empfinden, wenn sie mit Kind Vollzeit arbeiten wollen. Fast der gleiche Anteil der westdeutschen Frauen - 69 Prozent - sagten das genaue Gegenteil. Dass sie genau diesen Druck empfinden. Das sind fast andere Welten.

Kinder stehen in meinem Kopf keinem Karriereziel im Weg

Im Westen ist es, anders als im Osten, oft noch immer eine Entweder-Oder-Entscheidung. Arbeit oder Kind. Dafür spricht auch, dass es in Westdeutschland häufiger Kinderlose gibt als in Ostdeutschland. Aber auch häufiger Mütter mit zwei oder mehr Kindern. Wenn man eine Entscheidung treffen muss, so scheint es, dann entscheidet man sich eben richtig. Ein einziges Kind, wie es in Ostdeutschland häufiger vorkommt, verträgt sich noch besser mit einem Job.

Wenn ich westdeutsche Debatte sage, meine ich nicht die Frage, wie man politisch umsetzt, dass beides möglich ist. Das betrifft uns alle. Ich meine, sich überhaupt die Frage zu stellen, ob das geht, Beruf und Familie. Ich habe nicht das Gefühl mich entscheiden zu müssen. Ich weiß, dass es schwer werden könnte Vollzeit zu arbeiten mit einem Kind und ich verlange, dass Politik und Arbeitgeber die Umsetzung dessen so leicht wie möglich machen. Aber aufgrund von dem einen auf das andere zu verzichten, ist eben keine Frage, die sich mir tatsächlich stellt. Kinder stehen in meinem Kopf keinem Karriereziel im Weg. 

Junge ostdeutsche Frauen haben das Beste aus beiden Welten

In Ostdeutschland wirkten die Normen und Strukturen DDR natürlich auch nach 1990 weiter. Und in der DDR wurden Kind und Beruf - bei allen Schwierigkeiten - selbstverständlich gemeinsam gelebt, auch von der Politik befördert. Zum Beispiel hatten schon 1950 Frauen das Recht, ihren Arbeitsplatz ohne Einwilligung des Mannes frei zu wählen -  was in der alten Bundesrepublik erst 1977 passierte.

Jahrelang habe ich Leuten entrüstet erzählt, weil ich es so in der Uni gelernt hatte: "In Deutschland mussten Frauen bis 1977 den Mann um Erlaubnis zum Arbeiten bitten!" Dabei stimmt das nicht. Es war nur in Westdeutschland so. Ich habe diesen feinen Unterschied selbst oft nicht präsent, ich ahne, dass es meinen Altersgenossen ähnlich geht. Die Situation im Osten ist im gesamtgesellschaftlichen Diskurs nur selten Thema, außer es geht um Probleme, weil der Diskurs - auch über den Osten - immer noch westdeutsch geprägt ist. Das ist es, was Ostdeutsche meinen, wenn sie sagen, sie werden nicht wahrgenommen.