3D-Grafik: Neuronen in Gehirn (Bild: imago images/Panthermedia)
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Interview | Schwerhörigkeit und Tinnitus fördern Demenz - Wer schlecht hört, baut geistig ab

Etwa jeder 15. Mensch in Deutschland ist schwerhörig. Das fängt bei leichter Schwerhörigkeit an, bei der man das Ticken einer Uhr nicht mehr hört, bis hin zu deutlichen Problemen beim Verstehen von Sprache. Fehlendes Sprachverstehen behindert nicht nur die zwischenmenschliche Kommunikation, sondern kann auch die Entstehung einer Demenz befördern. Aber warum?

rbb Praxis sprach über die Zusammenhänge von Schwerhörigkeit und Demenz mit Dr. Petra Brüggemann. Sie ist leitende Psychologin am Tinnituszentrum der Charité in Berlin-Mitte. 

Frau Dr. Brüggemann, wie hängen Schwerhörigkeit und Demenz zusammen?

Zunächst möchte ich dem Thema etwas den Schrecken nehmen. Es gibt ja viele Menschen, die schon viele Jahre mit einer Schwerhörigkeit leben und die müssen jetzt keine Angst haben, dass die Demenz wie ein "Damoklesschwert" über ihnen hängt. Es gibt aber aus Tierversuchen und auch aus Studien mit Menschen immer mehr Hinweise darauf, wie Hören in unserem Hirn funktioniert. Der akustische Cortex, der im Gehirn für die Verarbeitung von Höreindrücken zuständig ist, ist unmittelbar vernetzt mit Gebieten, die für Lernen und Gedächtnis zuständig sind.

Und wir wissen auch: Wenn ein Mensch nicht gut hört, resultieren Veränderungen im Lernen und im Abspeichern von Informationen daraus. Das heißt das schlechtere Hören kann dazu führen, dass Lernprozesse verlangsamt sind und Informationen nicht so gut abgespeichert werden. Das ist ein altersunabhängiger Prozess; das passiert auch schon bei Kindern, die nicht gut hören. Ich würde daher eher von einem Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und kognitiver Leistungsfähigkeit sprechen. Ob die Schwerhörigkeit auch einen Einfluss auf Demenzerkrankungen, wie etwa Alzheimer hat, kann meines Wissens nach durch Studien bislang noch nicht ausreichend gut belegt werden.

Sind alle Menschen, die schwerhörig sind, gleichermaßen gefährdet?

Es gibt unterschiedliche Grade von Schwerhörigkeit, die bei einer Hörminderung von zehn bis 15 Dezibel beginnen und bei einer annähernden Ertaubung enden. Sicher ist, dass die Prozesse der kognitiven Leistungseinschränkung umso schneller ablaufen, je stärker ausgeprägt die Schwerhörigkeit ist. Aber es gibt da keine Dezibel-Grenze, ab der ein solcher Prozess automatisch abläuft.

Umgekehrt gilt vielmehr: Wenn Sie im alltäglichen Leben Einschränkungen durch Ihre Hörfähigkeit spüren, besonders, wenn Sie anfangen, sich aus Gesprächen zurückzuziehen, wenn mehrere gleichzeitig sprechen, wenn es Ihnen unangenehm ist, immer nachzufragen, dann scheint eine Grenze erreicht zu sein, wo man in jedem Fall etwas tun sollte. Hier kommt auch noch ein weiterer Aspekt hinzu: Schlechtes Hören führt häufig zu sozialem Rückzug und das befördert den Prozess des kognitiven Abbaus noch zusätzlich.

Wie kann die Schwerhörigkeit behandelt werden?

Eine Schwerhörigkeit kann ja sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Im Alter entwickeln viele Menschen eine Hochton-Schwerhörigkeit. Ausschlaggebend ist aber immer das Sprachverstehen, wenn sie dort Einschränkungen haben, dann sollte das mit einem Hörgerät behandelt werden. Diese Schwelle ist aber nicht unbedingt am Audiogramm, also dem Ergebnis des Hörtests abzulesen. Es gibt zwar Richtlinien, dass ab 25 Dezibel Hörminderung in bestimmten Frequenzen versorgt werden sollte, aber da spielt das subjektive Empfinden der Menschen immer eine große Rolle. Ab einer schweren Schwerhörigkeit, die bei 60 Dezibel unter der normalen Hörleistung liegt, werden dann auch Innenohr-Hörgeräte oder Cochlea-Implantate eingesetzt. 

Welche Rolle spielt dabei das Ohrgeräusch, der Tinnitus? Macht er alles noch schlimmer?

Ungefähr vierzig Prozent aller Menschen mit einer Hörminderung entwickeln auch einen Tinnitus. Meistens kommen sie dann auch wegen des störenden Ohrgeräusches zum HNO-Arzt und nicht nur wegen der Hörminderung, die oft lange verdrängt wird. Ein Tinnitus kann die ganze Situation dadurch verschlechtern, dass er bei vielen Betroffenen zu begleitenden Belastungen wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Stress und unter Umständen auch zu Depressionen führt. Dadurch ziehen sich manche Betroffene zusätzlich aus sozialen Zusammenhängen zurück, was weder für die kognitive Leistungsfähigkeit noch für den Tinnitus gut ist. Denn wir wissen inzwischen, dass es besser ist, sich mit einem Tinnitus Hörreizen auszusetzen, statt aus Angst vor einer Verschlimmerung des Tinnitus, Hörreize zu meiden. 

Wie kann der Tinnitus behandelt werden?

Wenn man sich als Schwerhöriger für ein Hörgerät entscheidet, dann hat man oftmals auch etwas gegen den Tinnitus getan. Denn: bekommt das Hörsystem wieder Stimulation, weil ein Hörgerät getragen wird, tritt der Tinnitus bei rund 80 Prozent auch wieder in den Hintergrund. Falls das nicht erfolgt oder ausreicht, kann bei einem chronischen Tinnitus eine sogenannte multimodale Therapie helfen. Dabei wird individuell über Beratungsgespräche diagnostiziert, was zur Auslösung oder Verstärkung des Tinnitus beigetragen hat. Es werden Techniken unter anderem zur körperlichen Entspannung und zur Stressregulation vermittelt. Zudem wird den Betroffenen erklärt, dass sie selbst etwas gegen das Ohrgeräusch tun müssen und es keine "Pille" gibt, die man einfach einnehmen kann. Da spielen verändertes Verhalten und veränderte kognitive Strategien eine wichtige Rolle, bei denen es unter anderem darum geht, das Ohrgeräusch anders zu bewerten und zu "überhören".

Bessert sich die kognitive Einschränkung wieder, wenn besser gehört wird?

Ja, wir wissen wenn Kinder oder ältere Menschen durch ein Hörgerät oder andere Möglichkeiten wie ein Cochlea-Implantat wieder gut hören, dann kehren sich die negativen Veränderungen im Gehirn wieder um. Das Gehirn besitzt die Fähigkeit, sich durch Anregungen und Reize von außen, wieder neu zu organisieren. Diese so genannte Neuroplastizität des Gehirns besteht auch im fortgeschrittenen Alter noch. 

Beitrag von Ursula Stamm

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