3D-Grafik eines Gehirns mit Daten (Bild: Colourbox)
Bild: Colourbox

Interview | Erste Professur für Neurotechnologie - Forschung an der Schnittstelle: Hirn-Maschine

In Zukunft könnten Gehirn-Computer-Schnittstellen z.B. Patienten helfen wieder zu laufen oder Depressiven neue Denkmuster antrainieren. Der Psychiater Surjo Soekadar ist einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet - und jetzt Deutschlands erster Professor für Klinische Neurotechnologie an der Charité. rbb Praxis hat mit ihm über seine Forschung und den Patientennutzen gesprochen.

Professor Soekadar, sind Sie schon in Berlin angekommen?
 
Gerade bin ich in Tübingen, wo ich die vergangenen zwölf Jahre gearbeitet habe. Hier haben wir noch klinische Studien laufen. Gleichzeitig muss ich meinen Umzug nach Berlin organisieren. Im Moment bin ich deshalb immer am Hin- und Herfliegen und noch nicht wirklich angekommen.

Der Gesprächspartner

  • Kurzvita

Sie sind der erste Professor in Deutschland für Klinische Neurotechnologie. Wie würden Sie Ihr Fachgebiet beschreiben?
 
Neurotechnologien sind technische Werkzeuge, um Hirnaktivitäten – also sowohl elektrische als auch magnetische Signale – zu messen und zu analysieren. Dann kann man sie zum Beispiel für die Diagnostik nutzen. Man kann sie aber auch gezielt verändern und damit versuchen, neurologische und psychiatrische Krankheiten zu behandeln.

Wie hat sich das Fachgebiet entwickelt?
 
Vorgedacht wurden die Hirn-Maschine-Schnittstellen schon in den 70er Jahren. Damals war das eher Science-Fiction. Aber in den letzten zwei Jahrzehnten gab es eine exponentielle Entwicklung. Das liegt vor allem daran, dass es jetzt Computer gibt, die sehr schnell sind und enorme Speicherkapazitäten haben.
 
Dazu kamen in den letzten zehn Jahren all die Durchbrüche auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und dem maschinellen Lernen. Sie machen es möglich, eine große Menge Signale aus dem Gehirn sehr schnell zu analysieren und in Steuersignale von digitalen Systemen zu übersetzen, zum Beispiel von Robotern.

Seit wann können diese Techniken auch Patienten helfen?
 
Da gab es ein wichtiges Ereignis: 1999 hat Professor Nils Birbaumer, mein Mentor in Tübingen, gezeigt, dass komplett gelähmte Patienten, die nicht mehr in der Lage waren zu sprechen oder sich zu bewegen, nur durch die Veränderung ihrer Hirnströme einzelne Buchstaben auf einem Bildschirm auswählen und mit dieser Methode einen ganzen Brief schreiben konnten. Ihnen hat die Technik ermöglicht, sich wieder mitzuteilen. Das war seinerzeit eine Sensation und hat mich motiviert, den klinischen Nutzen weiter zu untersuchen.

An welchen Krankheiten forschen Sie?
 
Bisher habe ich vor allem mit Patienten gearbeitet, die eine Querschnittslähmung oder einen Schlaganfall erlitten haben und Teile ihres Körpers nicht mehr bewegen können. Ich habe sogenannte neural-gesteuerte Hand-Exoskelette entwickelt. Das sind elektromechanische Stützstrukturen, die gelähmten Personen erlauben, ihre Hand mittels Hirn-Maschine-Schnittstelle wieder zu bewegen.

Wir funktioniert das?
 
Die Patienten bekommen eine Kappe auf, die ihre Hirnströme ableitet und verstärkt. Diese Daten werden per WLAN oder Bluetooth an ein Handy oder einen Tablet-Computer übertragen. Das Gerät analysiert die Hirnströme mit einem speziellen Programm und sendet dann Impulse an das Exoskelett an der Hand. Das Exoskelett bewegt dann die gelähmten Finger des Patienten und ermöglicht so, Alltagsgegenstände sicher zu greifen

Ihre Methode basiert also darauf, dass es im Gehirn der Patienten trotzdem noch einen Impuls gibt, wenn sie sich vorstellen, ihre Hand zu bewegen.
 
Genau - und das nutzen wir aus. Wir konnten zeigen, dass regelmäßiges Training mit der Technik dazu führt, dass die Patienten auch ohne das Exoskelett wieder besser greifen können. Durch das Training mit der Maschine bilden sich neue Verbindungen im Gehirn und Rückenmark, und irgendwann sind diese im Optimalfall so gut, dass man die Technik nicht mehr braucht. Wir können also mit dieser Technologie die Funktion des Nervensystems gezielt verändern.

Funktioniert das nur mit Bewegungen?
 
Bisher schon. Aber in Berlin will ich mich auch kognitiven Funktionen des Gehirns widmen, wie etwa Aufmerksamkeit, Emotionskontrolle und Gedächtnis. Diese Funktionen sind zum Beispiel bei Menschen mit Depression, Sucht- und Angsterkrankungen oder auch ADHS in unterschiedlichem Maße gestört. Wir wollen Gehirn-Computer-Schnittstellen bauen, die diese Funktionen verbessern können. Die Patienten sollen lernen, die Hirnaktivität willkürlich zu steuern und dadurch ihre Hirnfunktionen verbessern.

Haben Sie ein Beispiel?
 
Jemand mit ADHS hat zum Beispiel ein Problem, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Wir wollen versuchen herauszufinden, wie sich diese Schwierigkeit in seiner Hirnaktivität zeigt und sie dann durch Stimulation so verändern, dass er sich besser konzentrieren kann. Mit dem Ziel, dass sich dadurch neue Netzwerke im Gehirn bilden und der Patient die Stimulation nach einer gewissen Zeit nicht mehr braucht, um sich zu konzentrieren.

Wie realistisch ist es, dass das funktioniert?
 
Man weiß, dass viele psychische Krankheiten mit Veränderungen der Hirnaktivität einhergehen. Wenn man es schafft, diese gestörte Aktivitätsmuster gezielt zu verändern, lassen sich wahrscheinlich auch die Krankheiten lindern. Es gibt schon einige klinische Beispiele, die zeigen, dass sich das Gehirn durch Neurofeedback anpassen kann und sich dadurch etwa die Konzentration verbessert.
 
Bisher ist man allerdings auf recht grobe Marker angewiesen, dabei ist die Störung im Gehirn bei jedem Einzelnen etwas anders gelagert. Das versuchen wir jetzt erstmals individuell für jeden Patienten herauszufinden, damit wir es im zweiten Schritt beheben können.

Wie weit sind Sie mit der Forschung?
 
Im Moment entwickeln wir erst einmal die Technik dafür, also die Hardware, die Geräte. Sie müssen die Hirnströme richtig erkennen und einordnen. Dafür arbeiten wir mit gesunden Probanden. Ich hoffe, dass wir in zwei Jahren diese neuen Techniken auch an Menschen mit psychischen Erkrankungen anwenden können. Parallel dazu führe ich noch die klinische Forschung mit den Querschnitts- und Schlaganfallpatienten weiter, mit denen ich schon in Tübingen gearbeitet habe.

Bleibt bei so viel Arbeit überhaupt Zeit für die Lehre?
 
Klar, die ist mir sehr wichtig! Und letztendlich lerne ich darüber auch Studenten kennen, die sich für meine Forschung interessieren. Da die Professur aber ganz neu ist, müssen die Inhalte erst erarbeitet werden. Ich gehe davon aus, dass die Veranstaltungen im nächsten Sommersemester starten. Zusätzlich werde ich ja noch von der Einstein-Stiftung gefördert und möchte in diesem Zusammenhang auch Veranstaltungen organisieren, bei denen die Öffentlichkeit mehr über unsere Forschung erfahren kann.

Neben der Forschung engagieren Sie sich auch in der Entwicklungszusammenarbeit.
 
Leider viel zu wenig. Ich komme durch die viele Arbeit nicht mehr so oft dazu. Ich setze mich besonders für Gesundheitszentren in weniger entwickelten Ländern ein, in Südamerika, Afrika und Asien. Das treibt mich sehr um, wo ich helfen kann, mache ich das.

Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
 
Mein Vater kam in den 60er Jahren aus Indonesien nach Deutschland. Mein Name ist auch indonesischen Ursprungs, javanisch. Ich bin dann mit neun Jahren zum ersten Mal nach Indonesien und Indien gefahren. Dieser Kontrast in den Lebensbedingungen hat mich sehr beeindruckt und motiviert, mich zu engagieren.

Haben Sie schon einmal in Berlin gelebt? Und haben Sie schon eine Wohnung?
 
Nein, noch nie, aber ich freue mich darauf! Ja, eine Wohnung habe ich schon und raten Sie mal, wo ein Schwabe hinzieht? Nach Prenzlauer Berg. Aber das ist nur eine Übergangslösung. Langfristig möchte ich eher ins Grüne.
 
Herr Professor Soekadar, vielen Dank für das Gespräch und Willkommen in Berlin.

Beitrag von Florian Schumann

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