2. Tag nach dem Anschlag in Berlin. Pappschild mit Aufschrift: "Warum?" (Quelle: imago/Stefan Zeitz)
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Interview | Psyche von Terror-Einzeltätern - "Eine auffallend große Gefühlskälte"

Gibt es ein erkennbares Muster in der Persönlichkeit von Attentätern? Was bewegt diese Menschen? Und wie lassen sich Risikofaktoren festmachen? Die Kriminologin Prof. Britta Bannenberg erforscht Ursachen und Prävention von Amokläufen und Gewalttaten wie etwa dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz.

Die Kriminologin und Juristin Prof. Dr. Britta Bannenberg hat im Rahmen der TARGET-Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 30 Fälle von jungen und 40 Fälle von erwachsenen Amokläufern in Deutschland analysiert. Amokläufer und terroristische Einzeltäter haben demnach die gleiche psychisch gestörte narzisstische und paranoide Persönlichkeit, wie Bannenberg im Interview erklärt.

Frau Prof. Bannenberg, der Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin macht uns fassungslos. Was treibt einen Menschen zu solch einer Tat?

Vieles spricht dafür, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Endgültig geklärt ist das noch nicht, aber die Tatsache, dass keine Gruppe aufgetreten ist sondern ein Attentäter an einem Tatort, legt das nahe. Da spielt es auch keine Rolle, ob vorher Kontakt zum IS oder einer anderen Gruppe bestanden hat, oder ob der Anschlag vielleicht sogar per Telefon angeleitet wurde: Entscheidend ist bei dieser Klassifizierung die alleinige Umsetzung der Tat. Terroristen, die so etwas alleine durchziehen, haben - das zeigen unsere Forschungen - die gleiche Persönlichkeit und Motivlage wie Amokläufer: Sie wollen maximale Aufmerksamkeit erreichen und Angst und Schrecken verbreiten. Die Gesellschaft soll sich nicht mehr sicher fühlen.

Was erhofft sich der terroristische Einzeltäter von seiner Tat?

Es ist ein Akt der Feindseligkeit und des Hasses. Die Persönlichkeit dieser Menschen zeigt narzisstische und paranoide Züge, die Täter sind extrem kränkbar, fühlen sich persönlich permanent gedemütigt und missachtet, obwohl dies objektiv gar nicht der Fall ist. Sie erhoffen sich Bewunderung und Zuspruch und weil sie dies nicht bekommen, stauen sie Wut und Hass in sich auf. Dies findet dann kein Ventil, denn es sind zurückgezogene Einzelgänger mit Kontaktproblemen, stille Menschen, die mit ihrer persönlichen Situation nicht klar kommen, aber heimlich auf den großen Tag hinarbeiten, an dem sie sich an allen "rächen" können. Im Internet stoßen sie dann auf andere Täter und identifizieren sich mit einem solchen Tätertyp. Erst dann beginnt die konkrete Tatplanung. 

Haben die Täter selbst Schweres durchgemacht und dadurch diese Persönlichkeitsstörung entwickelt?

Nein, wir haben nach solchen traumatischen Auslösern gesucht, aber die Studien zeigen etwas anderes. Genetische Faktoren spielen eine große Rolle. Einzeltäter, die Amokläufe oder terroristische Gewalttaten begehen, zeigen oft auffallend große Gefühlskälte. Das fällt manchmal schon im Kindergarten auf, zum Beispiel, wenn Kinder Tiere quälen, ohne etwas dabei zu empfinden. In der Pubertät zeigt sich die Störung dann meist massiv. Diese Menschen können Niederlagen nicht verarbeiten, reagieren aber nicht aggressiv oder impulsiv, sondern ziehen sich immer mehr zurück, werden immer stiller, brüten aber insgeheim über die "große Tat". Im Elternhaus gibt es in der Regel keinen vertrauensvollen Umgang, auch zu den Geschwistern besteht nur ein oberflächlicher Kontakt, Freunde haben sie meist keine. Sie fühlen sich meist selbst fremd, empfinden sich als sonderbar und haben das Gefühl, mit dem Leben nicht klar zu kommen. Dafür geben sie aber anderen die Schuld. Sehr oft begehen sie nach dem Anschlag Suizid.

Der Attentäter von Berlin ist aber geflüchtet. Man würde sich wünschen, er würde nun seine Tat bereuen.

Das tun die wenigsten, deren Störung nicht verfestigt ist und die sich von ihren Hassgedanken distanzieren können. Das einzige, was die meisten terroristischen Einzeltäter oder Amokläufer bereuen, ist, dass sie nicht noch mehr Menschen in den Tod gerissen haben.

Müssen wir nun damit rechnen, dass so etwas häufiger passiert?

Es gibt Nachahmungseffekte in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einem Anschlag – das haben wir im Sommer 2016 gesehen - am 18. Juli Würzburg, am 22. Juli München, am 24. Juli Ansbach. Wenn einer zur Tat schreitet, fühlen sich Tatgeneigte, die sich bisher noch nicht zur Tat entschlossen haben, sozusagen "ermuntert". Aber insgesamt gesehen sind es doch sehr wenige Menschen, die so etwas tun. Die meisten Menschen haben andere psychische Verarbeitungsmuster und leiden nicht an dieser narzisstisch-paranoiden Störung. Wir haben zwar ein wachsendes Feld von Menschen, die mit dem IS oder anderen radikalen Gruppen sympathisieren und auch verbal radikal werden, aber das heißt nicht, dass sie bereit sind, einen Anschlag zu verüben. Es gibt noch das Gruppenphänomen terroristischer Attentäter – meist junge Männer, die einen Anschlag aus der Gruppe heraus planen und durchziehen, dahinter stecken aber andere Persönlichkeiten und Dynamiken – aber auch das muss man nicht täglich erwarten. 

Wie können wir mit so einem Anschlag umgehen?

Wir müssen nicht befürchten, dass nun ständig auf Weihnachtsmärkten Anschläge passieren. Vorsichtsmaßnahmen sind sicher immer sinnvoll und auch ein Abwägen, zu welchen öffentlichen Veranstaltungen man geht oder nicht. Der Angst kann man mit Rationalität begegnen. Tatsache ist: ein Anschlag ist immer noch eine seltene Gefahr. Wir leben in einem sicheren Land.

Kann man etwas tun, um weitere Anschläge zu vermeiden?

Ganz wichtig ist die Früherkennung potenzieller Täter. Da muss noch viel mehr passieren. Alle von mir untersuchten Amokläufer haben vorher Andeutungen gegenüber Freunden, Verwandten oder Bekannten gemacht. Ich bin mir sehr sicher, dass auch der Attentäter von Berlin im Vorfeld Dinge gesagt hat, die überhört worden sind. Typisch sind Sätze wie: "Ihr werdet schon noch sehen, wozu ich fähig bin" oder: "Eines Tages werde ich es euch allen zeigen!". Wer so etwas hört und beunruhigt ist, muss unbedingt zur Polizei gehen oder sollte sich an das Beratungsnetzwerk Amokprävention wenden.

Seit die Hotline eingerichtet ist, rufen regelmäßig Menschen an, die von Auffälligkeiten berichten, die sie beobachtet haben. Das ist ein ganz entscheidender Hebel. Wir empfehlen in bedrohlichen Fällen die Einschaltung der Polizei. Diese ermittelt und führt auffällige Personen auch der Psychiatrie zu und häufig reagieren auch die Verdächtigen ganz positiv auf die Intervention. Mehrmals schon haben die Betroffenen sich freiwillig bereit erklärt, in der Psychiatrie Hilfe zu suchen. In anderen Fällen überlegen wir gemeinsam, wie ein zukünftiger Umgang die Gefahr minimieren kann. Wir müssen alle wachsamer sein, müssen genau hinhören.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bannenberg.

Das Interview führte Angelika Wörthmüller für rbb Praxis 

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