Ärztin tippt auf Touchpad (Bild: Colourbox)
Bild: Colourbox

Neuer Alltag im Krankenhaus durch E-Health - Tablet statt Papierakte

Vorbei die Zeiten als bei der Visite immer ein großer Wagen mit Patientenakten ins Zimmer geschoben wurde. Heute stehen die Ärzte mit eleganten Tablets am Bett des Patienten. Wie E-Health die Arbeit im Krankenhaus verändert - darüber sprach rbb Praxis mit zwei Experten der Charité. 

Im Interview: Hagen Hupperts (HH), leitender Mitarbeiter im Geschäftsbereich IT und Prof. Dr. Klemens Budde (KB), Leiter des Forschungsprojekts "Medical Allround-Care Solution (MACSS) und kommissarischer Direktor der Klinik für Nephrologie am Campus Mitte

Herr Hupperts, Herr Dr. Budde, wie digital organisiert ist die Charité heute schon?

HH: Was wir in fast allen Bereichen der Charité haben, ist eine elektronische Vernetzung zwischen den diagnostischen Bereichen, wie Röntgen, MRT oder Labor und den Stationen sowie den Ambulanzen. D.h. die Ärzte haben zeitnah das Röntgenbild von Patient XY und können auf dieser Basis eine Therapieentscheidung treffen.

Was noch nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist, ist ein Austausch dieser Patientendaten zwischen einzelnen Stationen. Das kann zum Beispiel wichtig sein, wenn sich der Gesundheitszustand des Patienten verschlechtert und er auf die Intensivstation kommt. Dann haben die Kollegen dort nicht automatisch Zugriff auf seine Daten. Das hat natürlich mit dem Datenschutz zu tun, der bei uns in Deutschland sehr hoch gehalten wird, was ja auch gut ist. Nur brauchen wir für alle Systeme, die auf einem Austausch von Patientendaten aufbauen, einen anderen Ansatz. Der könnte zum Beispiel darin bestehen, dass der Patient selbst entscheidet, wer seine Daten bekommen darf und wer nicht.

Darauf basiert auch ein Forschungsprojekt, das ein umfassendes digitales Konzept zur Erfassung und Verwaltung von Patientendaten entwickelt. Worum geht es da konkret?

KB: Das Medical Allround-Care Solution, kurz MACCS, wird derzeit für die bessere Versorgung der rund 1.100 nierentransplantierten Patienten der Charité entwickelt. Sie müssen sich vorstellen, dass Menschen, die eine neue Niere bekommen haben, ständig viele Medikamente einnehmen müssen, damit das Organ nicht wieder abgestoßen wird. Zur Kontrolle kommen sie etwa alle drei Monate in die Charité und sind natürlich auch bei einem niedergelassenen Arzt in Behandlung. D.h. hier ist ein Patient, der ständig medizinisch betreut werden muss und der immer wieder an das Krankenhaus angebunden ist.

Wir wollen eine App entwickeln, in die der Patient alle relevanten, seine Krankheit betreffenden Daten, eingeben kann. Und diese Daten landen nicht in der Sackgasse, sondern können von dem Klinikarzt und dem niedergelassenen Arzt eingesehen und bewertet werden. Das sind zum Beispiel Daten zu Blutdruck und Gewicht des Patienten, aber auch zu seinen Medikamenten. Wenn er zum Beispiel in der Apotheke ein neues Medikament bekommt, kann er den Barcode der Packung einscannen und fragen, ob dieser Wirkstoff sich mit seinen anderen Medikamenten verträgt.

Zurück ins Krankenhaus. Herr Hupperts, Sie haben ein Projekt begleitet, bei dem der Einsatz von Tablets am Krankenbett untersucht worden ist. Was sind die Ergebnisse?

HH: Das Ärzteteam einer neurologischen Station der Charité hat bei der Visite statt der üblichen Papierakten ein handliches Tablet mit einer eigens entwickelten App genutzt. So hatten sie während der Visite Zugriff auf alle relevanten Befunde. Natürlich arbeiten die Ärzte zum großen Teil schon mit der elektronischen Patientenakte, bisher aber nur am Schreibtisch mit einem PC. Die elektronische Akte stand ohne Tablets am Patientenbett nicht zur Verfügung. Wurde ein aktueller Befund oder ein Röntgenbild während der Visite benötigt, so musste im Arztzimmer am PC gesucht werden. Das kostet Zeit. Wir haben jetzt bei der wissenschaftlichen Begleitung dieses Projekts gefragt, ob sich der Zeitaufwand durch die Nutzung des Tablets mit der App verändert hat. Und es zeigt sich, dass die Visite selbst nicht schneller geht. Aber bei der Vor- und Nachbereitung der Visite konnten bis zu 30 Minuten gespart werden, die dann wieder für das persönliche Gespräch mit dem Patienten zur Verfügung stehen. Außerdem ist es möglich, dem Patienten zum Beispiel MRT Bilder oder Laborwerte auf dem Tablet zu zeigen und ihn damit besser in den Behandlungsprozess einzubeziehen.

Bisher sind es eher Einzelbeispiele für die Digitalisierung im Krankenhaus. Woran scheitert eine umfassende Umsetzung?

HH: Letztlich am Geld. Eine US-amerikanische Organisation hat ausgerechnet, dass wenn alle Krankenhäuser in Deutschland die vorletzte Stufe der kompletten Digitalisierung umsetzen würden, das etwa 1,3 Milliarden Euro kosten würde. Dieses Geld würde zum Beispiel für Infrastruktur gebraucht, mit der man große Datenmengen archivieren kann. Im Moment ist es so, dass die "doppelte Buchführung", also das parallele Führen einer schriftlichen und einer elektronischen Patientenakte, nur aus rechtlichen Gründen noch erforderlich ist. Ich bin überzeugt, dass diese "Buchführung" am Ende viel teurer ist, aber es müsste eben erst mal Geld in die Hand genommen werden, um hier eine Trendwende einzuleiten.

Gibt es auch Risiken von E-Health im Krankenhaus?

KB: Worin alle immer eine Gefahr sehen, nämlich dass der Datenschutz nicht gewährleistet werden kann, darin sehe ich weniger eine Gefahr. Da sind wir in Deutschland schon sehr gut aufgestellt. Für mich stellt sich vielmehr die Frage, was machen wir mit der alten Dame, die kein Smartphone hat? Alle hier genannten Systeme basieren darauf, dass die Patienten ein Smartphone haben, sich eine App herunterladen können und damit umgehen lernen. Wir müssen aufpassen, dass wir manche Patienten, die das nicht können, nicht abhängen. Dann finde ich es wichtig, dass alle Anwendungen, die derzeit entwickelt und erprobt werden, auch wissenschaftlich begleitet werden. Nicht alles ist sinnvoll und nicht alles muss weiterverfolgt werden. Außerdem ist die Ausbildung der Mediziner gefragt. Sprich, der Arzt muss lernen, die neuen Kommunikationstechnologien so zu nutzen, dass er wieder mehr Zeit für direkte Patientenkommunikation hat und nicht weniger.

Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führte Ursula Stamm