Illustration: Telemedizin - Ein Stethoskop liegt auf einer Computertastatur (Bild: imago)

Gesundheits-Apps und Medizinportale unter der Lupe - An den Computer statt zum Arzt?

Mehr als 20.000 Gesundheits-Apps, unzählige Portale im Internet, die medizinische Fachbegriffe übersetzen oder Symptome auswerten - laut einer aktuellen Umfrage nutzen drei Viertel vorwiegend das Internet auf der Suche nach Gesundheitsinformationen. Werden Ärzte dadurch immer weniger wichtig? rbb Praxis sprach mit Dr. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender des Telematik-Ausschusses der Bundesärztekammer.

Wie hat sich das Arzt-Patienten-Verhältnis durch das Internet verändert?

In meiner Wahrnehmung unterhalten sich Arzt und Patient dadurch eher auf Augenhöhe. Bislang hatte der Arzt immer einen sehr großen Wissensvorsprung, der sich durch die intensive Nutzung des Internets durch die Patienten verringert hat. Das ist für die Ärzte einerseits eine Herausforderung, weil sie teilweise mit Inhalten konfrontiert werden, die für sie selbst auch neu sind. Anderseits ist die Zusammenarbeit mit einem vorinformierten Patienten auch einfacher, weil der Arzt nicht mehr alles von Beginn an erklären muss. Wichtig ist aber auch, den Patienten Orientierung im Informationsdschungel "Internet" zu bieten. Die Gefahr, dass ein Patient auf die völlig falsche Fährte gerät und Krankheitsängste geschürt werden, die unbegründet sind, ist groß. Dann ist es Aufgabe des Arztes, die Patienten wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Ärzten, die selbst bereits mit dieser Informationswelt aufgewachsen sind, fällt dies häufig leichter, als älteren Kollegen, die eher noch eine patriarchalische Arzt-Patienten-Beziehung pflegen. 

Eine große Rolle spielen Gesundheits-Apps. Welche sind sinnvoll, welche nicht?

Es gibt zurzeit einen sehr großen Hype, was Gesundheits-Apps angeht. Man muss schon sehr genau hinschauen, mit was für einer App man es zu tun hat. Fitness-Apps zum Beispiel nehmen einem zwar nicht die Anstrengung des Trainings ab. Aber sie können durch das Dokumentieren von Trainingserfolg und Körperdaten schon die Motivation fördern. Sogar ich selbst nehme manchmal doch die Treppe statt des Aufzugs, weil mein Smartphone meine Bewegungsaktivität auswertet und ich mir gerne meine Bestätigung für körperliche Aktivität auch während der Arbeit abhole. Apps, die nicht nur Gesundheitsdaten sammeln, sondern diese auch auswerten, sollte man nicht nutzen, ohne das mit seinem Arzt besprochen zu haben. Auch wenn solche Apps im Internet sehr gut bewertet werden, so geschieht das nicht unbedingt nach medizinischen Kriterien.

Man muss grundsätzlich unterscheiden, ob eine App von einem gesunden oder einem kranken Menschen genutzt wird. Natürlich können sich auch gesunde Menschen durch übertriebenes Sammeln von Daten oder die Beschäftigung mit vermeintlichen Symptomen verrückt machen. Aber viel gefährlicher ist es, wenn kranke Menschen eine App nutzen, die über das reine Dokumentieren von Daten hinausgeht, ohne mit einem Arzt Rücksprache zu halten. Tun sie das aber und dokumentieren sie zum Beispiel ihre Blutzucker- oder ihre Blutdruckwerte mithilfe einer App, so kann das sehr sinnvoll sein. Der Arzt hat dann sehr viel leichter Zugriff auf diese Daten, die in der Regel auch umfangreicher und zuverlässiger sind, als das früher mit dem Aufschreiben in Tagebüchern möglich war. Und für Männer ist diese Art, sich mit ihrem Körper zu beschäftigen, oftmals attraktiver und führt zu einer besseren Zusammenarbeit mit dem Arzt.

Woran erkenne ich als Nutzer, ob eine App sinnvoll ist oder nicht?

Es gibt einige wenige Apps, die nach dem Medizinproduktegesetz zertifiziert sind. Dieses Verfahren ist so zeit- und kostenintensiv, dass die Vermarktung in den seltensten Fällen wirtschaftlichen Gewinn abwirft, auch wenn die Nutzer dieser App dafür bezahlen müssen. Apps, die man gratis herunterladen kann, machen den Kunden schnell zur Ware, weil meistens mit der Vermarktung der erhobenen Daten Geld verdient wird. Also, die Tatsache, ob eine App gratis oder kostenpflichtig ist, ist schon mal ein ganz wichtiges Kriterium bei der Beurteilung - auch wenn man nicht pauschal sagen kann "teuer gleich gut". Letztlich sollte man sich immer über die Hintergründe einer App informieren, zum Beispiel darüber, wer sie entwickelt hat und ob sie etwa von medizinischen Fachgesellschaften oder Selbsthilfegruppen empfohlen wird.

Was ist von Labortests im Internet zu halten, die zum Beispiel Aufschluss über bestimmte Krankheiten oder auch Krankheitsrisiken geben sollen?

Ich selbst habe mal versucht über den amerikanischen Anbieter "23andMe" eine Genanalyse machen zu lassen. Das ist aber leider daran gescheitert, dass das Untersuchungsmaterial nicht auswertbar war. Mich hätte daran interessiert, welche potenziellen Krankheitsrisiken sich mit so einer Genanalyse feststellen lassen. Wichtig ist bei solchen Analysen jedenfalls, dass man die Ergebnisse einordnen kann und nicht jedes potenzielle Risiko gleich für eine in Stein gemeißelte Diagnose hält. Labortests, die vorgeben, anhand recht einfacher Methoden, zuverlässige Diagnosen abzugeben, sind meiner Meinung nach unseriös.

Überall werden Daten gesammelt, im privaten Bereich durch viele Fitness-Apps zum Beispiel; aber auch bei Ärzten, in Krankenhäusern und bei den Krankenkassen. Wie wird das Phänomen "Big Data" in der Medizin derzeit genutzt?

In Deutschland wird "Big Data" im klassischen Sinn eigentlich noch gar nicht genutzt. Die Daten werden punktuell gesammelt und nur an bestimmten Stellen, wie zum Beispiel beim Krebsregister, gibt es einen bundesweiten Austausch. Das wird von Vielen – zumal forschenden Ärzten – bedauert. Zum anderen ist aber eine gewisse Vorsicht angebracht, solange Fragen des Datenschutzes nicht abschließend geklärt sind. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass "Big Data" für viele Patienten von Vorteil sein kann. Nehmen wir zum Beispiel die Krebstherapie. Da gibt es viele sehr belastende Therapien, die aber nicht allen Patienten gleich gut helfen. Bislang haben wir die Daten aus großen Multicenter-Studien, die uns erlauben, besser zu beurteilen, ob eine Therapie hilfreich ist oder nicht. Mit "Big Data" würde sich die empirisch gewonnene Datenmenge um ein Vielfaches vergrößern. Dadurch wäre die statistische Zuverlässigkeit einer Aussage über einen möglichen Therapieerfolg viel höher. Mehr Patienten könnten so eine auf sie zugeschnittene individualisierte Krebstherapie erhalten.

Was derzeit vom Bundesgesundheitsministerium mit dem sogenannten E-Health-Gesetz vorangetrieben wird, hat allerdings nichts mit "Big Data" zu tun. Denn die Daten, die dort in einem eigenen Telematik-System vernetzt werden sollen, dürfen nur für die unmittelbare medizinische Versorgung genutzt werden. Verschiedene Forschungsverbände versuchen diese restriktive Haltung aufzuweichen, was allerdings wegen der in Teilen der Ärzteschaft skeptischen Haltung zum E-Health-Gesetz so schnell wahrscheinlich nicht gelingen wird. Die skandinavischen Länder, aber auch Großbritannien sind viel weniger zurückhaltend, wenn es um den Austausch von Gesundheitsdaten geht. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Sorge um die Datensicherheit von manchen Akteuren im Gesundheitswesen auch instrumentalisiert wird, um die wahren Gründe ihrer Ablehnung zu verschleiern.

Welche Rolle hat der Arzt in Zeiten des Internets?

Um es vorweg zu sagen: Ich glaube überhaupt nicht, dass der Arzt durch das Internet überflüssig wird, im Gegenteil. Menschen beschäftigen sich durch das Internet eher mehr mit ihrer Gesundheit als weniger. Und dabei brauchen sie immer noch den Austausch und die Kommunikation mit dem Arzt. Um ein historisches Beispiel zu nennen: Als das Stethoskop im Jahr 1816 erfunden wurde, glaubten manche, das Arzt-Patienten-Verhältnis würde durch diese neu geschaffene Distanz nachhaltig zerstört.

Wir haben heute durch bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanz-Tomografie und die Computertomografie, aber auch durch die Molekularbiologie, Möglichkeiten, Krankheiten zu erkennen, bevor sie ausbrechen. Das heißt, die Aufgabe des Arztes wird in Zeiten zunehmender technischer Möglichkeiten eher darin bestehen, Krankheiten zu verhindern statt sie zu heilen. Das Anreizsystem im Gesundheitswesen müsste sich dann aber auch ändern. Belohnt werden müssten nicht mehr allein Therapie und Behandlung eines Menschen, sondern auch seine Gesunderhaltung. Die große Hoffnung mancher Politiker, dass dadurch das Gesundheitswesen kostengünstiger würde, teile ich nicht. Es wäre jedenfalls das erste Mal in der Medizingeschichte, dass Verbesserungen in der Diagnose und Therapie zu günstigeren Gesamtkosten zu haben wären.

Das Interview führte Ursula Stamm