Junger Mann mit seinem Organspendeausweis in der Hosentasche (Quelle: imago/suedraumfoto)
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Interview - Nur Mut zur Organspende

Tausende Menschen hierzulande warten auf ein Spenderorgan. Die Spenderzahl liegt seit Jahren unter 1.000 / Jahr. Welche Ängste hemmen & was ist dran?

Herr Dr. Rahmel, welche Aufgaben übernimmt die DSO bei der Organspende?

Die DSO nimmt die Meldungen möglicher Organspender entgegen und sorgt dafür, dass alle notwendigen medizinischen und organisatorischen Schritte vollzogen werden, damit Organe entnommen, an geeignete Patienten vermittelt und transplantiert werden können. Die Vermittlung der Organe selbst übernimmt Eurotransplant, ein Zusammenschluss aus acht europäischen Ländern. Die Zuteilung von Organen basiert dabei auf medizinischen Gesichtspunkten.

Obwohl viele Deutsche positiv über die Organspende denken, hat nur jeder dritte einen Organspendeausweis. Wie kommt das?

Die große Mehrheit der Deutschen steht hinter der Organtransplantation: Fast Dreiviertel der Bevölkerung ist laut Umfragen zu einer Organspende nach ihrem Tod bereit. Die Zustimmung auf konkrete Nachfrage hin ist also nicht das Problem. Es geht viel mehr darum, sich vorher aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Doch wer möchte schon als junger Mensch über den Tod nachdenken und sich überlegen, was danach mit seinem Körper passiert?

Viele befürchten, die Ärzte würden nicht alles tun, um das Leben des Patienten zu retten, nur um an die Organe zu kommen. Können Sie den Leuten diese Angst nehmen?

Ziel aller medizinischen Maßnahmen im Falle eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung ist es, das Leben des Patienten zu retten. Nur wenn alle Maßnahmen versagt haben und der unwiderrufliche Ausfall der Hirnfunktionen eingetreten ist, kommt eine Organspende überhaupt in Frage. Sie ist jedoch nur dann möglich, wenn der Patient vorher optimal intensivmedizinisch betreut wurde. Nur geschulten Intensivmedizinern gelingt es beispielsweise, den Kreislauf trotz des Ausfalls der regulierenden Hirnfunktion aufrechtzuerhalten. Die Betreuung bis zum Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ist also ein Qualitätsmerkmal für die Intensivstation und kann auch als Zeichen gedeutet werden, dass die Ärzte alles in ihrer Macht stehende getan haben, um das Leben des Verstorbenen zu retten. Die Intensivmediziner haben übrigens mit Organentnahme und Transplantation nichts zu tun. 

Können Patienten vorschnell hirntot erklärt werden?

Die Feststellung des Todes durch den Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls erfolgt durch zwei unabhängige, speziell qualifizierte Ärzte nach ganz genau festgelegten Regeln. Damit ist dies eine der sichersten Diagnosen, die es in der Medizin überhaupt gibt. 

Bedeutet hirntot gleich tot?

Wenn der irreversible Hirnfunktionsausfall nachgewiesen ist, ist ein Punkt erreicht, an dem es kein Zurück gibt. Durch den kompletten Verlust der Hirnfunktion, also des Bewusstseins sowie aller anderen Funktionen des Gehirns, ist auch das, was uns als Persönlichkeit ausmacht, unser "Ich", für immer verloren – auch wenn wichtige Körperfunktionen des Hirntoten durch die Intensivmedizin noch aufrechterhalten werden. Deswegen besteht unter den meisten Experten, Medizinern und Ethikern Einigkeit, dass der Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ein sicheres Todeszeichen ist.

Spüren Hirntote bei der Organentnahme Schmerzen?

Nein, das ist ausgeschlossen, da die Schmerzempfindung an das Bewusstsein gekoppelt ist und da die gesamte Hirnfunktion unumkehrbar erloschen ist, kann der Verstorbene keinen Schmerz mehr empfinden. Nach Eintreten des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ist die Blutzufuhr zum Gehirn fast immer komplett unterbrochen. Narkosemittel erreichen das Gehirn also auch gar nicht mehr, da kein stofflicher Austausch zwischen Gehirn und Kreislauf mehr möglich ist. Auf Rückenmarksebene kann es allerdings zu durch Reflexe bedingte vermittelte Kreislaufreaktionen kommen. Daher werden üblicherweise Medikamente verabreicht, die diese unbewussten reflektorischen Reaktionen unterbinden.  

Nach welchen Kriterien werden Organe vergeben?

Im Transplantationsgesetz sind als wesentliche Kriterien für die Organvergabe die Dringlichkeit und die Erfolgsaussicht der Organtransplantation vorgegeben. Bei Patienten, die auf eine Nierentransplantation warten, kann die Wartezeit in der Regel mit der Dialyse ganz gut überbrückt werden. Daher steht bei diesen Patienten die Erfolgsaussicht der Transplantation im Vordergrund. Eine wesentliche Rolle für ein lang anhaltendes Funktionieren der transplantierten Niere spielt die Übereinstimmung der Gewebeeigenschaften zwischen Spender und Empfänger. Bei der Leber-, Herz- und Lungentransplantation sind die Patienten, bei denen die Organfunktion auf das schwerste geschädigt ist, unmittelbar vom Tod bedroht. Daher bekommen hier die Patienten ein neues Organ, die es besonders dringlich brauchen.  

Wie viele Menschen, die versterben, kämen für eine Organspende in Betracht?

Nur bei einer kleinen Gruppe von Patienten stellt sich die Frage einer Organspende: Die Durchblutung und die Funktionen ihres Gehirns sind aus verschiedenen Ursachen vollständig ausgefallen; Kreislauf und Atmung werden künstlich durch Beatmung und Medikamente aufrechterhalten.

Auf welche Patienten trifft das zu?

Der Großteil sind Menschen mit einem Schlaganfall oder mit Durchblutungsstörungen des Gehirns. Diese meist älteren Menschen machen etwa 75 Prozent der potentiellen Organspender aus. Ein wesentlich kleinerer Teil, rund 20 Prozent, sind verunfallte Personen. Der Rest sind Patienten, die vergeblich wieder belebt wurden und deren Gehirn zu lange ohne Sauerstoff war, so dass bei ihnen der irreversible Hirnfunktionsausfall eingetreten ist.

Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Axel Rahmel.
Das Interview führte Constanze Löffler

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