Ambulante Dialyse (Quelle: imago/Oliver Ring)
Bild: imago/Oliver Ring

Interview l Mit kranken Nieren durch die Krise - Berliner Dialysepatient*innen im Pandemiemodus

Schutz vor COVID-19 durch (sozialen) Abstand - für ca. 80.000 Menschen in Deutschland ist das nicht möglich. Sie sind chronisch nierenkrank und auf Blutwäschen angewiesen. Weil sie ein hohes Sterberisiko bei COVID-19 haben, wurden Dialysepatient*innen gerade in einer Neufassung der Priorisierungsverordnung von STIKO-Empfehlungsgruppe 3 in Gruppe 2 "hochgestuft". Aber wie erleben z.B. Berliner Dialysepatient*innen gerade die Krise?

Für die sogenannte Hämodialyse, die Blutwäsche, müssen Betroffene meist dreimal in der Woche in ein Dialysezentrum. Ihr Blut wird dann von einer Maschine entgiftet, denn andernfalls würden sie sterben. In Berlin sind davon etwa 3.500 Patienten betroffen.

Frau Prof. Dr. Erley, welchen Gefahren sind Dialysepatient*innen derzeit ausgesetzt?
 
Unsere Dialyse-Patienten*innen kommen dreimal in der Woche in die 35 ambulanten Dialysezentren der Stadt. In den meisten Fällen werden die Patienten*innen mit einem Krankentransport oder einem Taxi in die Zentren gebracht und wieder nach Hause.
 
Sie sitzen/liegen dann für vier bis sechs Stunden mit anderen Nierenkranken in einem Raum. Und sie haben dabei Kontakte mit den Ärzten*innen und dem medizinischen Personal (Essen und Getränke gibt es in Pandemiezeiten leider nicht mehr). Diese Kontakte lassen sich nicht vermeiden, da eine Reduktion der Dialyseplätze aus räumlichen und vor allem personellen Gründen - es stehen ja nun nicht plötzlich mehr Ärzte oder Pflegepersonal zur Verfügung - nicht möglich ist.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie für Dialysepatienten? Gibt es unter Ihnen besonders viel Infizierte und was bedeutet eine Infektion mit COVID-19 für sie? Ist die Mortalitätsrate überdurchschnittlich?
 
Diesbezüglich versuchen wir gerade eine Umfrage in den Berliner Dialysezentren durchzuführen. Die ersten Ergebnisse, Antworten von zehn Dialysen und kumuliert von allen KfH Zentren, zeigten folgende Lage: Insgesamt haben wir ca. 1.580 Patienten in Berlin erfasst, die mit der Hämodialyse in unseren Zentren behandelt werden. Das ist gut die Hälfte der Patienten in unserer Region, dementsprechend repräsentativ.
 
Davon sind bis heute 225 Patienten an COVID-19 erkrankt. Das sind 14 % aller Hämodialyse-Patienten. Verstorben sind davon 33 Patienten, 15 % aller Erkrankten. Genesen sind 149 Patienten.
Verglichen mit der Normalbevölkerung ist das Infektionsrisiko bei Dialysepatienten ca. 5-6 Mal höher: Also 2-3 % in der Normalbevölkerung gegenüber 14 % bei den Dialysepatienten. In anderen Erhebungen ist das sogar noch höher.
 
Man sieht auch, dass die Sterberate dieser Patienten sehr hoch ist - fast sogar höher als bei den Heimbewohnern - und deutlich höher, als bei den Organtransplantierten, die auf der Impfprioritätsliste oben stehen.
 
Hier im St. Joseph Krankenhaus haben wir als Schwerpunktklinik sehr viele Dialysepatienten*innen mit COVID-19 betreut und mussten leider feststellen, dass die sie, wenn sie erst einmal beatmet werden müssen, eine sehr schlechte Prognose haben - viel schlechter als gleichaltrige, nierengesunde Menschen. Fast alle beatmungspflichtigen Patienten*innen sind verstorben.

Nicht nur alte Menschen müssen an die Dialyse. Wieviele Patient*innen unter 70 werden derzeit in Berlin mit der Dialyse behandelt und haben sie im Prinzip das gleiche Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken oder gar zu versterben wie Dialysepatient*innen höheren Alters?
 
Der Altersdurchschnitt bei den KfH-Dialysepatienten in Deutschland liegt bei 66 Jahren. In Berlin liegt der Median der Altersverteilung bei gesetzlich krankenversicherten Dialysepatienten bei ca. 71 Jahren. Das heißt: ca. 49 % der Patienten sind unter 70 Jahre alt. Schon durch die höhere Ansteckungsrate sind bei den unter 70-jährigen mehr Todesfälle und schwere Verläufe zu sehen, als in der Normalbevölkerung.
 
Etwa 50 % aller Erkrankten haben einen schweren Verlauf mit stationärem Aufenthalt und dauerhaften Schäden. Das Alter der Toten zeigt eine ähnliche Verteilung, wie in anderen Gruppen. Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Das liegt vielmehr in der hohen Zahl der Infizierten und damit der gegenüber anderen Gruppen deutlich höheren Chance, einen schweren Verlauf zu erleiden.
 
Auch das Überleben der COVID-Erkrankung bedeutet ja nicht "alles wird gut". Es kostet unsere Dialysepatienten Lebenszeit, die sowieso durch den Ausfall der eigenen Nierenfunktion schon stark verkürzt ist.
In Deutschland waren bisher ca. 2,5 % der Bevölkerung infiziert, es gab ca. 53.000 assoziierte Todesfälle. Wären, wie in der Dialyse, 14-15 % infiziert gewesen, hätten wir wahrscheinlich 300.000 Todesfälle.

Welche besondere Infektionsgefahr besteht für das Personal in Dialysezentren? Gibt es da belastbare Zahlen? Und wie regeln Sie die daraus resultierende Personalnot?
 
Durch die face-to-face Kontaktierung der Patienten*innen (Anm. d. Red.: z.B. Punktion des Dialysezugangs) ist es unmöglich, den Abstand von 1,5m einzuhalten. Zudem sind die Patienten oft auch mobil eingeschränkt und brauchen vor allem auch an der Dialyse Hilfe - ein Arm muss ruhig gehalten werden.
 
In einigen Zentren haben sich daher überproportional viele Mitarbeiter angesteckt. Da die Mitarbeiter währende der Dialyse überwiegend im Behandlungsraum sind, ist eine Ansteckung in beide Richtungen möglich.

Kommt es in einem Dialysezentrum zu einem Ausbruch, wie gehen Sie dann vor?
 
Das Problem ist es, den möglichen Ausbruch rechtzeitig zu erkennen. Schnelltests sind für Screeninguntersuchungen kaum besser, als ein Münzwurf, da das Aufspüren von asymptomatischen Infizierten schlecht gelingt.
Derzeit führen viele Dialysezentren regelmäßige Tests mit PCR durch. Was an sich auch eine Belastung ist - jede Woche Test und dann banges Warten auf das Ergebnis.
 
Infizierte Patienten werden in gesonderten Bereichen isoliert und dort mit extra Personal - sofern möglich - behandelt. Im Bereich der KfH Zentren gibt es auch spezielle COVID-Isolierzentren, um die Patienten räumlich und personell getrennt behandeln zu können. Patienten, die in Räumen mit positiv getesteten Patienten behandelt wurden, werden im Zentrum als Kontaktfall behandelt und ebenfalls für 10-14 Tage isoliert. Das potenziert aber rasch den Aufwand, da so pro einem positiven Fall etwa sechs Kontakte entstehen. Letztendlich arbeiten wir seit Beginn in einem ständigen Alarmmodus, da jeder potenziell infiziert sein kann.

Sie plädieren wegen der besonderen Gefahren dafür, Dialysepatient*innen und Mitarbeiter*innen in den Zentren auf die Prioritätenliste der Impfbedürftigen an erste Stelle zu setzen, wie etwa Transplantierte oder onkologische Patient*innen.

Wir können zeigen, dass unsere Patienten eine deutlich höhere Gefahr für eine Ansteckung haben (ca. sechsfach) und mit einer höheren Mortalität in allen Altersgruppen belastet sind. Der Eintrag von Erkrankungen geschieht bei Dialysen auch über Patienten - und nicht wie in Pflegeeinrichtung vorrangig durch Mitarbeiter*innen und Gäste.
Deshalb ist es notwendig für diese am Ende überschaubare Gruppe (ca. 0,1% der Bevölkerung) rasch eine Impfung zu organisieren, um dieses Drama zu beenden. Durch die zuständigen Behörden muss laut Corona-Impfverordnung eine besondere epidemiologische Situation mit hoher Morbidität nach §1 Abs. 2 festgestellt werden, wie es z.B. in Sachsen der Fall ist, auch Brandenburg impft Dialysepatienten.
 
Die meisten Dialysepatient*innen sind multimorbide. Heißt: Sie haben eine Vielzahl von schwerwiegenden Begleiterkrankungen, die an sich schon ein erhöhtes Risiko darstellen, wie z.B. Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Herzschwäche, Schlaganfall, chronische Lungenerkrankungen, Krebserkrankungen udn Anderes. Diese Patientengruppe würde man daher von der Impfstrategie einordnen wie Menschen in Pflegeheimen.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Anliegen seitens offizieller Stellen bisher bekommen?
 
Auf unsere Anfrage von Seiten der Berliner Kommission der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) und von Seiten des KfH wurden wir immer wieder auf die Impfverordnung und die aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) verwiesen.
 
Auf eine Anfrage eines Patientenverbandes (Bundesverband der Organtransplantierten e.V., Regionalgruppenleitung Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern) kam folgende Antwort der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung:

"(…) die KV versorgt das Personal in Dialyseeinrichtungen mit Impfeinladungen. So ist es in der Impfverordnung und der aktuellen STIKO-Empfehlung vorgesehen, damit soll zum verstärkten Schutz der Dialysepatienten beigetragen werden.
Patienten in Dialyseeinrichtungen sind - soweit sie nicht in die Ü80-Priorität fallen- erst nachrangig berücksichtigt. Siehe Impfverordnung und STIKO-Empfehlung.

 
Wir sind an diese Regularien gebunden.
Leider kann in Zeiten von mangelndem Impfstoff nicht jeder - so sehr er es auch benötigt oder wünscht - gleich am Anfang geimpft werden. Wie würden Sie eine Impfung organisieren wollen, in denen '…alle Risikogruppen gleichauf…' priorisiert werden?"


Letztlich ziehen sich die Verantwortlichen des Senats auf den Wortlaut der Rechtsverordnung zurück und sind nicht in der Lage, unsere Einwände und Hinweise fachlich zu bewerten. Eine fundierte Begründung, weshalb unsere Argumentation nicht verfängt, ist bisher nicht erfolgt.
Mittlerweile versuchen einige Patienten gegen diese Untätigkeit auf Grund ihrer hohen persönlichen Gefährdung rechtlich vorzugehen.

Welche weiteren Schritte werden Sie unternehmen, um die Gefahr der Ansteckung für Dialysepatienten und das Personal in den Einrichtungen zu reduzieren?

Erst einmal FFP2-Masken für alle! Patienten*innen und Mitarbeiter*innen. Desinfektionsmittel überall. Verstärkte Reinigung der Plätze. Zusätzlich versuchen wir die Distanz zwischen den Dialyseplätzen zu vergrößern. Und es wird regelmäßig gelüftet. Deswegen müssen die Patienten*innen warm angezogen zur Dialyse kommen. Die Dialysezeit wird auf ein medizinisch vertretbares unteres Niveau gekürzt, um Kontakte in Umkleiden, bei An- und Abtransport und im Raum zwischen Patient*innen soweit es geht zu vermeiden.
 
Das ist aber medizinisch nur für eine relativ kurz Zeit vertretbar, da sonst Langzeitschäden drohen können. Dienstbesprechungen im Freien, Pausen alleine, sehr viel wichtige soziale Interaktion mit oft allein lebenden Patienten ist gestrichen. Das freundliche Gespräch, Getränke und Essen gibt es schon lange nicht mehr an der Dialyse. Aus medizinischer Sicht ist es derzeit nicht gut, eine Umarmung oder mal die Hand zu halten. Es wird regelmäßig getestet und wir machen strenge Eingangskontrollen.

Frau Prof. Dr. Erley, vielen Dank für dieses Gespräch!
Das Interview führte Cornelia Fischer-Börold