Lunge-Röntgenbild (Quelle: rbb)
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Interview l Gefahr im Gefäß - Thrombosen bei COVID-19 - wie gefährdet sind Patienten?

Zahlreiche Studien haben gezeigt: COVID-19-Patient*innen entwickeln häufiger Blutgerinnsel. Diese können Lungengefäße verstopfen und so zu einer lebensgefährlichen Embolie führen. Wer ist besonders gefährdet und wie lassen sich Thrombosen und Embolien in Corona-Zeiten verhindern?

Diese und andere Fragen hat die rbb Praxis Prof. Dr. Markus Steinbauer gestellt, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Regensburg.

Herr Prof. Steinbauer, COVID-19 ist mehr als eine Lungenentzündung. Wie schnell war Anfang des Jahres klar, dass Erkrankte eine erhöhte Neigung zu Blutgerinnseln haben?
 
Ende Februar, Anfang März erschienen die ersten kleinen Studien. Bei obduzierten Patienten fielen Thrombosen in den Beinvenen auf sowie zahlreiche kleine Lungenembolien. Spätestens im April war eindeutig klar, dass SARS-CoV-2 unser Gefäßsystem in Mitleidenschaft zieht.

Damals berichtete eine niederländische Studie, dass fast ein Drittel der untersuchten, schwerkranken COVID-19-Patienten Thrombosen hatten – und das, obwohl sie vorbeugend Gerinnungshemmer bekommen hatten. Es folgten zahlreiche Studien, unter anderem auch vom Hamburger Universitätsklinikum, mit dem Fazit, dass 30 bis 40 Prozent der COVID-19-Patienten schwere Thrombosen und Embolien erleiden, die für sie teilweise tödlich waren.

Haben Sie das auch so erlebt?
 
Ja, in der Klinik und in meinem privaten Umfeld. Ein guter Freund von mir hatte eine schwere Lungenembolie, nachdem er nach seiner COVID-19-Erkrankung bereits wieder aus der Klinik als geheilt entlassen war.
Er ist bis heute deutlich eingeschränkt und hat sich nicht wieder komplett erholt, obwohl der Vorfall viele Monate zurückliegt.
 
Thrombose, Embolie – wie unterscheiden sie sich?
 
Wir sprechen von einer Thrombose beispielsweise in den Beinvenen, wenn das Blut spontan gerinnt. Ursachen sind mangelnde Bewegung durch langes Sitzen oder nach einer Operation, eine lädierte Gefäßwand infolge von Verletzungen oder eine gesteigerte Neigung des Blutes zu Gerinnen, ausgelöst durch Medikamente oder Hormone.
Durch das Blutgerinnsel verengt sich das Gefäß, der Blutfluss ist behindert. Solche Gerinnsel können sich loslösen. Diese löslichen Gebilde bezeichnet man als Embolus.

Beinvenen-Thrombose: Das sind die Warnzeichen

· Das Blut kann nicht mehr abfließen: Knöchel, Unterschenkel oder das ganze Bein schwellen an.

· Die Schwellung spannt die Haut, was sehr weh tun kann.

· Das betroffene Bein ist überwärmt, weil das Blut nicht mehr abfließt.

· Die Beschwerden verschlimmern sich meist im Stehen und Sitzen und lassen im Liegen nach.

· Das Blut sucht sich Umwege. Dabei kann ein deutlich tastbarer Strang am Schienenbein sichtbar werden, auch Warnvene genannt.

· Das Bein verfärbt sich bläulich, wenn es herabhängt.

Was ist das Problem mit den losgelösten Gerinnseln?
 
Sie werden mit der Blutbahn Richtung Herz fortgetragen und gelangen in die Lunge, wo sie sich im verzweigten Gefäßsystem festsetzen. Je nachdem, wie groß das Blutgefäß ist, dass sie in der Lunge blockieren, kann eine Embolie innerhalb kurzer Zeit tödlich verlaufen.

Wie erklärt man sich, dass bei COVID-19 die Gerinnungsneigung zunimmt?
 
Infolge der Infektion scheint das Virus die Blutgerinnung direkt zu aktivieren, indem es bestimmte Botenstoffe freisetzt. Des Weiteren treten im ganzen Körper, einschließlich der Gefäße, Entzündungen auf. Sie greifen die Zellwände an, so dass sie wie aufgeraut sind und sich dadurch die Gerinnungskaskade in Gang setzt. Ob die starke Immunreaktion des Körpers oder das Virus selbst für die übermäßige Blutgerinnung verantwortlich ist und was diesen Prozess im Detail auslöst, ist noch unklar.

Gibt es Patienten, die für den Mechanismus besonders gefährdet sind?
 
Vorerkrankungen spielen eine wesentliche Rolle für den Verlauf von Covid-19. Es sind vor allem die Patienten gefährdet, die ohnehin schon Probleme mit dem Gefäßsystem haben, beispielsweise weil sie im höheren Alter sind oder an Diabetes, Bluthochdruck und Arteriosklerose leiden

Können Sie die erhöhte Gefahr für Blutgerinnsel bei COVID-19-Patient*innen erkennen?
 
Ja, mittels Ultraschall und Laboruntersuchungen. Wichtigster Hinweis ist für uns die Konzentration der sogenannten D-Dimere. Je höher sie sind, umso größer ist die Gefahr für eine Thrombose. Teilweise besteht bereits eine Thrombose.

Macht bei solchen Risikopatienten eine prophylaktische Blutverdünnung Sinn?
 
Eine prophylaktische Blutverdünnung bei COVID-19 ist Alltag in der Klinik. Bettlägerige Patienten bekommen von uns generell eine Thromboseprophylaxe mit Bauchspritzen oder Tabletten. Sind die D-Dimere sehr hoch, steigern wir die Dosis der Gerinnungshemmer, wie bei einer Thrombose-Therapie. Außerdem überwachen wir die ganze Zeit die Gerinnungsparameter. Mit diesem Vorgehen können wir heute die schweren Fälle besser behandeln, als noch am Anfang der Pandemie.
Eine US-amerikanische Beobachtungsstudie mit mehr als 2.700 COVID-19-Patienten hat übrigens bestätigt, dass die therapeutische Gabe von Blutgerinnungshemmern die Krankenhaussterblichkeit bei Corona-Patienten deutlich senken kann.
 
Wie sehr erhöht sich dadurch die Gefahr für vermehrte Blutungen?
 
Wir wägen bei schwer kranken Menschen immer Risiko und Nutzen einer solchen Therapie ab. In der Regel überwiegt der Nutzen einer Blutverdünnung.

Wie lassen sich Gerinnsel bei schwer kranken Patient*innen noch verhindern?
 
Vielleicht müssen wir die Thrombose-Prophylaxe bei diesen Patienten zukünftig noch höher dosieren. Im Raum steht auch die Idee, die entzündeten Gefäßwände mit speziellen antientzündlichen Substanzen sowie ACE-Hemmern und Statinen zu behandeln. Dazu brauchen wir aber noch Studien.
 
Und was ist mit Risikopatienten, die ihre COVID-19-Erkrankung zu Hause auskurieren?
 
Menschen, die Blutgerinnungshemmer einnehmen, weil sie beispielsweise aufgrund einer Herzerkrankung ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall oder Herzinfarkt haben, sollten diese unbedingt weiternehmen. Dazu gehören gerinnungshemmende Medikamente wie ASS, Clopidogrel, Prasugrel, Phenprocoumon (Marcumar) und Ticagrelor. Ambulanten Covid-19-Patienten mit Gerinnungsstörungen in der Familie oder Menschen, die aus sonstigen Gründen Gefäßprobleme haben, empfehle ich sogar eine Thromboseprophylaxe mit Heparinspritzen oder Tabletten. Dazu gehören neben Patienten mit Thrombosen in der Vergangenheit aus meiner Sicht auch Raucher und stark übergewichtige Menschen.

Und bei gesunden Patient*innen?
 
Nachdem, was ich in der Klinik gesehen habe, empfehle ich allen COVID-19-Infizierten eine regelmäßige Thromboseprophylaxe über den gesamten Zeitraum der Infektion, unabhängig von Alter und Geschlecht! Die Blutungsgefahr, die an dieser Stelle von einigen Fachleuten diskutiert wird, ist vor allem bei ansonsten gesunden Patienten aus meiner Sicht zu vernachlässigen.
 
Was sind frühe Anzeichen einer Thrombose, auf die die Menschen zu Hause achten sollten?
 
Knöchel, Unterschenkel oder auch das ganze Bein schwellen an, wenn das Blut infolge einer Thrombose nicht mehr richtig abfließen kann. Das kann teilweise ganz schön wehtun.

Was kann jeder selbst tun, um in Corona-Zeiten kein Gerinnsel zu bekommen?
 
Bewegung ist die beste Prophylaxe. So lange Sie nicht in Quarantäne sind, können Sie spazieren gehen, Treppen steigen, regelmäßig Pausen im Büro machen und umherlaufen. Wenn Sie in Quarantäne sind und sich fit fühlen, nutzen Sie die neuen Möglichkeiten des Internets. Dort gibt es zahlreiche Übungsangebote für Yoga oder Gymnastik. Allen anderen rate ich bei einer Covid-19-Infektion zur Thromboseprophylaxe mit Spritzen oder Tabletten.

Beim Blick in die Zukunft – was sehen Sie, wenn Sie an COVID-19 als Gefäßerkrankung und deren Therapie denken?
 
Ich bin froh, dass wir es innerhalb weniger Monate geschafft haben, die tödlichen Lungenembolien weitgehend zu stoppen. Wir wissen, worauf wir achten müssen, kennen vorbeugende Therapien und Behandlungsstrategien. In den nächsten Monaten werden wir sicher genauer erfahren, welche Gerinnungshemmer besonders effektiv sind, um sie zu verhindern oder ihnen vorzubeugen. Aktuell läuft in den USA eine große Studie, welche die Wirkung von sechs Gerinnungshemmern miteinander vergleicht. Sollte es aus Sicht der Virologen vertretbar sein, würde ich es gut finden, die Quarantänezeit zu verkürzen. Auch dadurch ließen sich vermutlich Thrombosen verhindern.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Constanze Löffler

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