1964 Abendschau Regierender Bürgermeister Willi Brandt (Quelle: rbb)

Abendschau vom 10.07.2008 - Das Jahr 1964

Die Mauer ist drei Jahre alt und wird immer unüberwindbarer. Deshalb suchen die Menschen neue Wege, um von Ost nach West zu fliehen. Die spektakulärste und größte Massenflucht findet unterirdisch statt.

Im Oktober gelingt es 57 Frauen, Männern und Kindern durch einen Tunnel von der Strelitzer zur Bernauer Straße in den Westen zu fliehen. Ein Spitzel verrät den Fluchtweg. Bei einem Schusswechsel wird ein DDR-Grenzsoldat von den eigenen Leuten erschossen.

Für West-Berliner ist es inzwischen möglich, per Passierschein in den Osten der Stadt zu gehen. Knapp eine Million nutzt die noch seltenen Gelegenheiten für einen Besuch, bepackt auch mit Lebensmitteln für Freunde oder Familie.

1964 ist auch eine Zeit des Aufbruchs und der Veränderungen. Die Stadt braucht dringend Wohnungen. Und während das Hansaviertel - Vorreiter für moderne Wohnarchitektur - schon erste Schäden zeigt, wuchern am Stadtrand die Neubausiedlungen: Gropius-Stadt in Neukölln und das Märkisches Viertel in Reinickendorf. Über 35000 zusätzliche Wohnungen sollen hier entstehen. Für viele langersehnt. Das Märkische Viertel ist eine Notwendigkeit, bei der die Ästhetik eher an zweiter Stelle stand.

Vielleicht nicht schön, aber sicher pfiffig präsentierten sich in der Stadt neue Ideen, wie das kleinste Amateur U-Boot oder - wegweisend für Touristen - Der kleine Mann im Ohr, heute nennt man das Audio Guide. Unkonventionell zeigen sich auch Berliner Politiker, wie der Bezirksbürgermeister von Schöneberg, bei der Eröffnung des renovierten Stadtbads. Der Regierende Bürgermeister Willi Brandt, ein vielbeschäftigter Mann in diesem Jahr, sorgt für schöne Erinnerungen, auch durch rhetorische Fragen im Parlament.

Viele internationale Gäste muss er begrüßen. Wie auch den Bürgerrechtler Martin Luther King. Vier Jahre vor seiner Ermordung war er in Berlin. Eingenebelt vom Qualm rauchender Journalisten verbreitet er seine Botschaft. Auch der kongolesische Ministerpräsident Moise Tschombé stattet Berlin einen Besuch ab. Grund für den Sozialistischen Demokratischen Studentenbund, kurz SDS, mit einer Protestdemonstration zum ersten Mal politisch Initiative zu ergreifen. Es sollte nicht die letzte bleiben.

Ein Beitrag von Susanne Papawassiliu