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Interview | Medizinische Versorgung - Psychische Probleme - was kann der Hausarzt leisten?

Für Patienten ist er in der Regel erster Ansprechpartner: der Hausarzt. Das gilt auch bei psychischen Problemen. Doch was können Hausärzte bei psychischen Problemen tatsächlich leisten? Über den Behandlungsspielraum, aber auch dessen Grenzen spricht der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.  

Herr Prof. Kruse, wie sehen Sie die Versorgungssituation von Menschen mit psychischen Erkrankungen, und welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht dabei der Hausarzt?

Die Versorgungssituation von Patienten mit psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen ist im internationalen Vergleich in Deutschland sehr gut - auch wenn es natürlich immer Verbesserungspotential gibt. Der Hausarzt ist dabei für viele der erste Ansprechpartner. Patient und Arzt haben in der Regel ein gewachsenes Vertrauensverhältnis - und das braucht es, wenn man über seelische Probleme oder auch psychosomatische Zusammenhänge sprechen möchte. Der Hausarzt kann dann eine Art Türöffner sein, denn viele Patienten scheuen sich auch noch, solche Probleme überhaupt anzusprechen. Der Hausarzt kann zuhören, beruhigen und auch Zusammenhänge für den Patienten verständlich erklären.

Wo sehen Sie in dieser Rolle des Hausarztes besondere Stärken?

Es gibt eine Gruppe von Patienten, die kann der Hausarzt sehr gut behandeln – wenn der Arzt zum Beispiel das Familiengefüge gut kennt und Beschwerden und ihre psychologischen Komponenten einzuordnen vermag. Er kann dem Patienten Dinge erklären und - wenn es notwendig ist - auch den Patienten überweisen.

Das aber ist bei Patienten mit psychischen oder psychosomatischen Beschwerden manchmal nicht so einfach. Es gibt zum Beispiel Menschen mit funktionellen körperlichen Beschwerden, hinter denen psychische Ursachen stecken. Die Patienten aber sind überzeugt, rein körperlich krank zu sein. Mit denen kann der Hausarzt erstmal überhaupt ein psychosoziales Krankheitsverständnis aufbauen - also die Zusammenhänge zwischen Psyche, sozialem Umfeld, z.B. auch Arbeitsbelastung und eben der Erkrankung erklären. Hier kann der Hausarzt im Zweifel Wege bahnen, die eine gute Versorgung der Patienten überhaupt erst möglich machen und sie im Zweifel davor schützen, immer wieder in eine Hightech-Untersuchungsschleife zu geraten, obwohl klar ist, dass die Ursachen woanders liegen.

Nun können die Ausbildungsschwerpunkte und auch Weiterbildungen von Hausärzten ganz unterschiedlich sein. Inwiefern gibt es Standards, was ein Hausarzt in Sachen psychologischer Behandlung können muss?

Der Hausarzt macht im Rahmen der Weiterbildung einen 80-stündigen Grundkurs "Psychosomatische Grundversorgung" [Anmerkung der Redaktion: Dieser Kurs ist mittlerweile Teil der allermeisten Facharztausbildungen, auch der zum Allgemeinmediziner]. Da lernt der Arzt auch Kommunikationstechniken, um Patienten zu ermutigen, über psychische Symptome zu sprechen und er erlernt auch die Basis der Behandlung - eben um die Grundversorgung psychischer Erkrankungen leisten zu können. Da gibt es sehr klar definierte Standards dessen, was der Hausarzt lernen und können muss.  

Termine beim Psychotherapeuten zu bekommen ist heute nicht immer einfach. Einige Patienten suchen Alternativen, erste Anlaufstellen. Woran kann ein Patient weitere psychotherapeutische Kenntnisse eines Hausarztes erkennen?

Es gibt Hausärzte, die über die standardmäßige Aus- und Weiterbildung hinaus die Zusatzausbildung "Psychotherapeut" gemacht haben. So ein Hausarzt kann auch psychotherapeutische Elemente mit der hausärztlichen Tätigkeit verbinden. Aber auch diese Ärzte werden schwere Fälle zum Beispiel von psychosomatischen Erkrankungen - also körperliche Beschwerden mit seelischer Ursache - dann an einen Facharzt vermitteln. In der Regel hat jedoch jeder Hausarzt seit über 20 Jahren den Kurs "Psychosomatische Grundversorgung" gemacht. Weitere Qualifikationen erkennt man in der Regel wirklich am Türschild - dort steht dann zum Beispiel "Facharzt für Allgemeinmedizin / Psychotherapie".
 
Zur Terminproblematik bei Psychotherapeuten: Am 1. April 2017 treten die Neuerungen der Psychotherapierichtlinien in Kraft. Dann führen die Psychotherapeuten Sprechstunden zur akuten Versorgung ein, bei denen man auch kurzfristiger Termine kriegt. Vielen Patienten wird das schon mal weiterhelfen.

Wo aber liegt die Grenze dessen, was der Hausarzt leisten kann?

Nehmen wir das Beispiel einer Patientin, die einen heftigen Arbeitsplatzkonflikt hat und gleichzeitig in einer Trennungssituation ist. Die kommt zum Hausarzt und berichtet von Herzbeschwerden, also Rhythmusstörungen. Und sie hat Angst eine Herzerkrankung zu haben. Da kann der Hausarzt zum einen die körperlichen Symptome abklären und zum anderen der Patientin aber auch die Zusammenhänge der Symptome mit Stress und psychischer Belastung erklären und sie beruhigen. Das hilft vielen Patienten, sie werden nicht pathologisiert und das kann der Hausarzt also "allein" leisten.

Nehmen wir auf der anderen Seite einen Mann, auch mit Angst vor einer Herzkrankheit, der zum Beispiel immer wieder anhalten muss, wenn er Auto fährt oder nicht zur Arbeit gehen kann - eben aus Angst vor dem drohenden Herzinfarkt. Jemand, der immer wieder auch in die Notfallambulanz geht, um sich untersuchen zu lassen. Dieser Patient hat diese Angststörung vielleicht seit rund zwei Monaten und hatte zum Beispiel auch schon mal Depressionen in der Vergangenheit - das wäre ein Fall, in dem es sinnvoll ist, einen Facharzt - einen Psychosomatiker z.B. - hinzuzuziehen oder eine Klinik mit dem Fall zu betrauen. Das muss der Hausarzt erkennen und dann handeln - aber er muss die Therapie nicht selbst leisten.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die medikamentöse Therapie? Kann und sollte das der Hausarzt leisten?

Ich habe dazu keine Studien oder belastbare Zahlen, nur einen subjektiven klinischen Eindruck. Der ist, dass z.B. bei leichten Formen der Depression Antidepressiva oft nicht ausreichend wirken und tendenziell vielleicht zu oft verordnet werden - und umgekehrt: bei schweren Depressionen zu selten. Viele Hausärzte kennen sich mit Antidepressiva aus und haben zumindest einige Präparate, auf die sie gut zurückgreifen können. Aber ich denke gerade bei leichteren Depressionen wäre es wichtig, die Patienten häufiger zu einer psychotherapeutischen Behandlung zu bewegen.

Wenn Sie an Patienten mit psychischen Problemen denken - was würden Sie sich für die medizinische Versorgung wünschen?

Mehr Korporationsmodelle zwischen Hausärzten und den Fachärzten. Es gibt Projekte, bei denen ein Psychosomatiker nach Bedarf in eine hausärztliche Praxis kommt und beide den Patienten betreuen. Es gibt außerdem Modelle von Praxisgemeinschaften oder enger Zusammenarbeit in Sachen Beratung zwischen einem Psychotherapeuten und einem Hausarzt. Das senkt die Zugangsbarrieren enorm. Ich selbst habe bei einem solchen Projekt mit Diabetespatienten mitgewirkt und das öffnet Türen für Menschen, die sonst nie den Schritt in eine "Psychopraxis" wagen würden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kruse.

Das Interview führte Lucia Hennerici 

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