Digitales Patienten-Management - Arzttermin aus dem Internet

Die aufwendige Telefoniererei für einen Arzttermin ließe sich durch die Vergabe von Terminen im Internet verkürzen. Doch viele Ärzte scheuen sich davor, ihren Patienten diesen Service anzubieten. Die rbb Praxis hat nachgefragt, warum das so ist.

Die Warteschleifenmusik dudelt seit Ewigkeiten. Und am Mittwochnachmittag, am Wochenende und nach 18 Uhr springt nur der Anrufbeantworter der Praxis an. Wer heutzutage mal schnell einen Arzttermin ausmachen will, ist damit häufig länger beschäftigt als der Arztbesuch später dauert. Lösen ließe sich das Dilemma durch die Online-Vergabe von Terminen – längst Standard im Rathaus, beim Buchen von Konzertkarten oder einer Übernachtung im Hotel. "Damit wäre eine Terminvereinbarung rund um die Uhr möglich und die Erreichbarkeit der Praxis nicht nur auf deren Öffnungszeiten beschränkt," sagt Asarnusch Rashid vom Zentrum für Telemedizin in Bad Kissingen.  

Entspanntes Buchen von Terminen

Jeder vierte Bürger wünsche sich einen solchen Service, so der Informatiker. Rashid trug mit Kollegen für eine Studie die Barrieren und Vorteile des Terminierens im Internet zusammen: "Die Patienten können sich in Ruhe aus den verfügbaren Terminen einen passenden aussuchen egal, wo sie gerade sind oder wie spät es ist", so der Spezialist für Digitalisierung im Gesundheitswesen. Mit ein paar Klicks ist die Terminvereinbarung erledigt. Vor allem Menschen, die viel arbeiten und auch sonst in ihrem Alltag die digitalen Möglichkeiten nutzen, würden von dem Service profitieren. Auch für die Praxis überwiegen die Vorteile: Sie erscheint in einem modernen und innovativen Licht. Die Arzthelferinnen sind weniger gestresst und können die eingesparten Telefonzeiten für die Patienten nutzen.  

Weiblich, internetaffin, um die 40

In der Vergangenheit haben sich bereits einige Studien mit Online-Buchungen in Arztpraxen beschäftigt: So wurden Daten von mehr als 100 Arztpraxen und knapp 8.000 Patienten drei Jahre gesammelt, die über das Online-Terminmanagementsystem "Betty24" buchten. Dabei kam heraus: Die Nutzer sind im Durchschnitt 42 Jahre alt. Etwas mehr als die Hälfte sind Frauen – kein Wunder, gelten sie doch als "Gesundheitsmanager" der Familie. Die teilnehmenden Praxen verzeichneten im Verlaufe der Studie schnell weniger Telefonverkehr: "Die Telefonzeiten für Terminbuchungen lassen sich durch ein Online-Buchungssystem auf Dauer um mindestens die Hälfte reduzieren", erklärt Rashid.  

Viele Ängste bei den Ärzten

Dennoch bietet bislang nur eine von zehn Arztpraxen Online-Termine an – obwohl andere Branchen uns längst bewiesen haben, dass es ohne viel Aufwand funktioniert. "Die Ärzte fürchten, dass Termine gebucht werden und dann niemand kommt, was teure Leerlaufzeiten in der Praxis verursacht. Und durch das Offenlegen der Terminsituation könnten Kollegen wissen, wie es um die Auslastung der Praxis bestellt ist", sagt Klaus Rupp, der den Fachbereich Versorgungsmanagement bei der Techniker Krankenkasse (TK) leitet. Diese Ängste seien jedoch unbegründet. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass online gebuchte Termine nicht häufiger ausfallen als telefonisch vereinbarte. Werden die Patienten per SMS oder E-Mail vorher an den Termin erinnert, lässt sich das Ausfallrisiko sogar weiter reduzieren." Auch die Praxis-Auslastung lässt sich nicht aus dem Online-Kalender ablesen. "In der Regel geben die Ärzte nur bestimmte Kontingente für die Online-Buchung frei."  

Online-Buchung fördern

Seit 2011 bietet das Unternehmen das Webportal "TK-ArztterminOnline" an. Zunächst in Berlin als Pilotprojekt gestartet, können TK-Versicherte mittlerweile in vielen deutschen Großstädten den Service nutzen. Nachdem Fachrichtung und Wohnort gewählt sind, zeigt das Portal Ärzte aus der Umgebung an und auch weiter entfernte, die kurzfristig freie Termine haben. "Unsere Kunden sollen damit einen schnellen und einfachen Zugang zur ambulant-fachärztlichen Versorgung erhalten", so der Spezialist für Digitale Gesundheit. Aktuell führt die TK eine Förderstudie zum Online-Terminmanagement durch: "Wir wollen die Ärzte motivieren, in ihren Praxen die Vergabe von Terminen über das Internet einzuführen", so Rupp.
 
Einen Schritt weiter geht Goderma: Vor knapp einem Jahr schickte das Berliner Start-up den Online-Konsultationsdienst Patientus an den Start. Er verlinkt Ärzte und Patienten per App oder über die Webseite. Innerhalb weniger Stunden begutachten Fachleute ein Hautproblem, von den Patienten per Foto eingesandt – anonym, versteht sich. Und der Arzt schätzt die Situation ein und gibt Hinweise zu einer möglichen Therapie. Die erste Begutachtung kostet derzeit 19 Euro, jede weitere 29 Euro. Seit Anfang Juli 2015 bietet Patientus auch Konsultationen bei HNO-, Frauen- oder Zahnärzten an. Im besten Fall erübrigt sich der nächste Arztbesuch mit langen Wartezeiten. Markus Müschenich, Kinderarzt in Berlin und Vorsitzender des Bundesverbands Internetmedizin (BIM), sieht in Lösungen für Online-Therapie und -Diagnostik sogar eines der großen Wachstumsfelder in der Internetmedizin.  

Mitmachen im Internet

Tatsächlich geht das Patienten-Management schon heute über den reinen Austausch von Daten und Fakten hinaus. Die TK beispielsweise investiert seit mehr als zehn Jahren in die "Digitale Gesundheit". Coaching-Programme begleiten und unterstützen Patienten mit Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Kopfschmerzen dabei, ihr persönliches Gesundheitsverhalten zu verändern. "Das Coaching schließt Wissenslücken beim Patienten und vermeidet damit unnötige Ängste und Missverständnisse", sagt Rupp. Statt das Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen, sollen sie in den Online-Angeboten lernen, auf eigene Ressourcen zurückzugreifen.
 
Zunehmend mehr Krankenkassen entdecken die Medizin aus dem Internet als Möglichkeit, sich von anderen Versicherern abzugrenzen: Die Barmer Ersatzkasse zahlt die Online-Sehschule für schielende Kinder, gleich mehrere Kassen übernehmen die Kosten für Luftikids, eine Online-Nachschulung für Kinder und Jugendliche mit Asthma. Und auch das Online-Training Deprexis für Versicherte, die Gefahr laufen depressiv zu werden oder ein Burnout zu bekommen, ist eine Kassenleistung. Dieser Trend wird weitergehen. Immerhin gehören Laptop, Tablet oder Smartphone zum Leben dazu. Und die Leute erwarten, dass ihnen diese Geräte auch im Krankheitsfall helfen.  

Beitrag von Constanze Löffler