Blutproben werden gescanned (Quelle: colourbox)
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Vorbeugung der Zuckerkrankheit - Neuer Biomarker könnte Risiko für Diabetes vorhersagen

Schlecht oder gar unbehandelt kann Diabetes zu schweren Folgeschäden führen: Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindung und Dialyse drohen. Deshalb ist es wichtig, dass das Risiko für die Erkrankung früh erkannt wird. Potsdamer Forscher haben nun einen Biomarker untersucht, mit dem sich in ihrer Studie das Diabetes-Risiko schon Jahre im Voraus prognostizieren ließ – und der gleichzeitig wertvolle Einblicke in die Entstehung der Krankheit gibt.

Längst ist er zur Volkskrankheit geworden. Laut dem "Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2018" leiden etwa 6,7 Millionen Menschen an Diabetes mellitus, mehr als 95 Prozent davon an Diabetes Typ 2. Darunter sind etwa zwei Millionen Menschen, die noch nichts von ihrer Erkrankung wissen. Wenn er zu spät erkannt und deshalb nicht behandelt wird, steigt das Risiko für Spätfolgen deutlich. Etwa 2000 Menschen erblinden in Deutschland jedes Jahr aufgrund von Diabetes und 40.000 Beine, Füße oder Zehen werden amputiert. Umso wichtiger ist es, ein Diabetesrisiko möglichst früh zu erkennen, um gezielt entgegenwirken zu können.

Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke haben nun herausgefunden, dass ein bestimmtes Molekül im Blut von Patienten sowie eine Veränderung des entsprechenden Gens das Risiko steigern könnte, dass diese Person in den nächsten fünf Jahren an Diabetes erkrankt.

Bei Diabetes denken viele zuerst an Insulin, das als Hormon den Zucker- und Fettstoffwechsel maßgeblich reguliert. Beim Typ-2-Diabetes werden Organe wie Leber und Muskulatur nach und nach unempfindlicher gegenüber Insulin. In der Folge können die Organe den Zucker nicht mehr so gut aufnehmen und der Blutzuckerspiegel steigt an.
 
"Neben Insulin sind jedoch noch andere Moleküle am Stoffwechsel von Zucker und Fett beteiligt", sagt Dr. Clemens Wittenbecher, Erstautor der Potsdamer Studie, die Anfang November im Fachblatt Diabetes veröffentlicht wurde.

Eines dieser Moleküle ist der insulin-ähnliche Wachstumsfaktor 1, kurz IGF-1 (Insulin-like growth factor 1). Seine Wirkung allerdings kann durch das IGF-bindende Protein 2 (IGFBP2), das von der Leber abgegeben wird, geschwächt werden. Für dieses Eiweiß interessierten sich die Forscher deshalb, weil andere Studien nahelegten, dass ein hoher Blutwert von IGFBP2 das Diabetesrisiko vermindert. "Bisher gab es dazu lediglich eine Studie mit Menschen, an der allerdings ausschließlich Frauen teilnahmen, und einige Arbeiten mit Mäusen", so Wittenbecher.

Er und seine Kollegen konnten bei der Auswahl ihrer Teilnehmer dagegen aus dem Vollen schöpfen. Mitte der neunziger Jahre wurden in Mitteleuropa sehr viele Menschen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren angeschrieben, ob sie an einer Langzeitstudie, der sogenannten EPIC-Potsdam-Studie teilnehmen wollen. Mehr als 27.000 davon sagten zu. Sie füllten Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten, ihrem Lebensstil und ihrem Gesundheitszustand aus und werden seitdem alle zwei bis drei Jahre kontaktiert, wie sich ihre Gesundheit entwickelt hat. Wer zustimmte, dem wurde auch Blut entnommen.
 
Wittenbecher selbst war damals noch ein Kind. Heute profitiert er als Forscher von diesen eingefrorenen Blutproben: "Wir haben die Blutproben aufgetaut und konnten darin auch jetzt noch die Spiegel von IGFBP2 bestimmen." Da die Wissenschaftler aus den Fragebögen lesen konnten, wer Jahre nach der Blutentnahme an Diabetes erkranken würde, konnten sie feststellen, wie ein erhöhter oder erniedrigter Wert an IGFBP2 das Diabetes-Risiko beeinflusst.

"Wir haben herausgefunden, dass gesunde Menschen mit einem sehr niedrigen Wert an dem Bindungsprotein ein etwa fünf Mal so hohes Risiko haben wie solche mit einem sehr hohen Wert, in den nächsten fünf Jahren an Diabetes zu erkranken", sagt Wittenbecher. Kurz: Wer mehr IGFBP2 im Blut hatte, war weniger anfällig für Diabetes. Dabei fand sich bei schlanken Teilnehmern mit wenig Leberfett meist mehr von dem schützenden Eiweiß und somit ein geringeres Risiko für die Krankheit. "Das passt zu dem Wissen, dass Fettleibigkeit einer der größten Risikofaktoren für Diabetes ist", sagt Wittenbecher.
 
Damit gaben er und seine Mitforscher sich aber noch nicht zufrieden. Sie analysierten sogar die Gene der Studienteilnehmer, die damals Blut abgegeben hatten. Speziell widmeten sie sich dem Gen, das den molekularen Bauplan für das Eiweiß IGFBP2 enthält. Dabei suchten sie nach bestimmten Veränderungen, die sich nicht im genetischen Code selbst zeigen, sondern durch angelagerte Moleküle, die bestimmen, wie gut ein Gen abgelesen werden kann. Dieser Forschungsbereich wird Epigenetik genannt und hat in den letzten Jahren international viel Aufmerksamkeit erregt.

Die Potsdamer Forscher bemerkten, dass Menschen, deren Gene besonders viele Anlagerungen (sogenannte Methylierungen) zeigten, ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Diabetes hatten. Warum manche mehr und andere weniger dieser Methylierungen haben, ist nicht genau bekannt. "Die Veränderungen sind zu einem Teil vererbt, aber auch prägende Ereignisse in der Entwicklung scheinen einen Einfluss zu haben", sagt Wittenbecher. Die Ergebnisse anderer Studien legen nahe, dass etwa Fettleibigkeit im Kindesalter dazu führen könnte, dass es vermehrt zu solchen Methylierungen kommt. Auch diese lassen sich, genau wie ein veränderter IGFBP2-Spiegel, schon Jahre vor Ausbruch des Diabetes nachweisen.
 
Kann also bald jeder Patient beim Hausarzt Blut abgeben und sich anhand dieser Informationen vorhersagen lassen, ob er in den nächsten Jahren an Diabetes erkrankt? Wittenbecher hält das für unwahrscheinlich. "Hauptsächlich helfen uns die Erkenntnisse dabei, noch besser zu verstehen, wie genau Diabetes entsteht." Sowieso könne man Risikopatienten für Diabetes heutzutage auch schon ziemlich gut über den Glukosestoffwechsel und einige simple Fragen herausfiltern: Wie viel bewegen Sie sich?
 
Was essen Sie? Wie viel wiegen Sie? Allerdings: Wenn man damit eine Risikoperson erfasst hat und feststellt, dass bei ihrer Diabetes-Form der Wachstumsfaktor IGF eine besondere Rolle spielt, könnten die Ergebnisse der Potsdamer Forscher eines Tages wichtig sein, um diese Person noch besser behandeln zu können. 

Clemens Wittenbecher und seine Kollegen haben mit ihrer Arbeit ein bisschen mehr Licht in die komplexe Entstehung des Diabetes gebracht. Jetzt müssen weitere Studien folgen, um ihre Ergebnisse zu untermauern. Daran, was jeder Einzelne jetzt schon tun kann, hat sich dadurch aber nichts geändert: Bewegung, gesundes Essen und Normalgewicht senken das Risiko deutlich, später an Diabetes zu erkranken.

Beitrag von Florian Schumann

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