3D-Bild eines Blutgerinsels in einem Gefäß (Bild: imago/Science Photo Library)
Bild: imago/Science Photo Library

Interview l Schlaganfallrisiko durch Loch im Herzen - Wenn das Herz zur Gefahr für's Hirn wird

Im Mutterleib haben wir es alle: ein Loch im Herzen. Beginnt der Mensch zu atmen, schließt es sich - normalerweise. Geschieht das nicht, droht Lebensgefahr: Gerinsel aus dem Herzen können dann ins Hirn gelangen und Schlaganfälle auslösen. Mit der Schirmchen-Technik lässt sich das gefährliche Loch schließen. Dr. Leonhard Bruch, Direktor der Klinik für Kardiologie am Unfallkrankenhaus Berlin, erklärt im Interview wie es geht.

"Persistierendes Foramen ovale" (PFO) - hinter dem komplizierten Namen steckt einfach die lateinische Bezeichnung für ein ovales Loch in der Herzscheidewand, das bestehen bleibt - obwohl es sich nach der Geburt durch die beginnende Funktion der Lunge hätte schließen sollen.

Bei etwa einem Viertel der Menschen geschieht genau das - sie tragen weiter ein Loch im Herzen. Ein gefährlicher Durchgang: Durch ihn können Blutgerinnsel oder Ablagerungen in das Hirn gelangen - das Risiko für Schlaganfälle und transitorische ischämische Attacken (TIAs oder "kleine Schlaganfälle" genannt) steigt. Abhilfe schaffen kann eine minimalinvasive Methode, die seit 2018 auch Teil der Leitlinien ist: Der Verschluss des Loches per Schirmchen.

Herr Dr. Bruch, wie genau entsteht aus einem Loch im Herzen ein Schlaganfall?

 
Gerinnsel, die in den peripheren Venen, insbesondere in den Beinen oder im Beckenbereich  entstehen - ganz kleine Gerinnsel - wandern immer mal wieder durch den Körper. Über die Venen bewegen sie sich in den rechten Vorhof, die rechte Herzkammer und dann in die Lungenarterien. Wenn sie klein genug sind, richten sie dort gar keinen Schaden an, weil sie von den dort vorhandenen körpereigenen Enzymen sofort aufgelöst werden.

Wenn aber zwischen den beiden Vorhöfen ein Loch klafft - auch wenn dieses offene Foramen Ovale (PFO) kein richtiges Loch ist, sondern mehr eine Art Schlitz hinter einem Vorhang, der nicht richtig geschlossen ist - dann kann der Druck, der beim Husten, beim Pressen, bei Anstrengungen, usw. entsteht - diese Verbindung der Vorhöfe, die normalerweise nach der Geburt geschlossen ist und auch verklebt, wieder ein wenig öffnen.Kleine Gerinnsel können so aus der rechten in die linke Herzseite und von dort in den Kopf gelangen. Dort, im Gehirn, können aber leider selbst kleine Gerinnsel großen Schaden anrichten: Wenn die gewanderten Gerinnsel dann ein Gefäß im Gehirn verschließen, kommt es zum Schlaganfall.
 
Das Phänomen heißt paradoxe Embolie - paradox, weil das Gerinnsel über diesen falschen Weg gehen konnte, den es gar nicht hätte geben sollen - durch das Loch im Herzen gewandert ist. In selteneren Fällen können wir derartige Embolien auch im Herzen oder sogar manchmal im Darm sehen. Das Phänomen der paradoxen Embolie ist auch gut bewiesen durch bildgebende Verfahren, wie dem sogenannten "Schluck-Echo" , das in spezialisierten Zentren, wie dem unseren, Anwendung findet. Erst neulich hatten wir den Fall eines Patienten, bei dem man direkt zuschauen konnte, wie ein Gerinnsel in einem PFO richtig feststeckte, also zum Glück nicht hindurch passte. Aber das beweist: dieser Weg existiert.

Nach Ihrer Kenntnis: Wie viele Menschen mit einem PFO erleiden Schlaganfälle und/oder TIAS? Also wie sehr steigt durch den Faktor Loch im Herz in etwa das Risiko?
 
Bei etwa 25 Prozent aller Menschen hat sich die Trennwand zwischen beiden Vorhöfen nach der Geburt nicht vollständig verschlossen. Das klingt nach viel, aber die wenigsten davon erleiden deshalb Schlaganfälle.Gleichzeitig zeigt das aber auch, dass man nicht jedes noch so winzige Loch, das man findet, sofort verschließen muss.
 
Die neuen Leitlinien der Fachgesellschaften empfehlen, entsprechend der neuesten Studien, erst ab einer Größe von zwei bis drei Millimetern ein PFO zu verschließen. Ein allgemeines Screening der Bevölkerung, also eine flächendeckende Untersuchung gesunder Menschen, um nach einem solchen Loch zu fahnden und es daraus folgend interventionell zu verschließen, ist wegen der geingen Wahrscheinlichkeit eines daraus resultierenden Schlaganfalls nicht gerechtfertigt.

Eine Zwischenfrage, bitte: Da es ja keine Screenings gibt - woher weiß man, wie viele Menschen tatsächlich ein PFO haben?
 
Das weiß man aus Autopsiestudien. Bei jeder Leiche, die obduziert wird - aus welchem Grund auch immer - wird geschaut, ob ein PFO vorliegt. Wenn sichdie Vorhöfe nach der Geburt nicht geschlossen haben, bleibt dieser Zustand lebenslang bestehen.
 
Man kann aber auch aus einer anderen Richtung argumentieren: Bei rund einem Viertel aller Schlaganfälle findet man keine andere Ursache. Dabei scheiden die üblichen Verdächtigen wie Veränderungen der Halsgefäße, also Arteriosklerose oder Vorhofflimmern und noch andere seltenere Ursachen aus. Man bezeichnet den Schlaganfall dann als kryptogen - das findet sich auch in den Leitlinien. Von den Menschen, die einen kryptogenen Schlaganfall erlitten haben, haben etwa 40-50 Prozent ein PFO - also etwa doppelt so viele, wie in der Durchschnittsbevölkerung.

Es gibt bestimmte Gruppen, die der Schlaganfall bedingt durch PFO besonders betrifft - sie sind deutlich jünger, als der Durschnittsschlaganfallpatient. Woran liegt das? 
 
Das ist einfach Statistik: Mit höherem Alter steigen die anderen Ursachen für Schlaganfälle statistisch an. Die Zahl der durch PFO verursachten Schlaganfälle aber nicht, denn das Risiko ist sozusagen angeboren. Darum fällt diese Gruppe der jüngeren von Schlaganfall betroffenen Patienten besonders auf. Im jüngeren Alter ist also das PFO als Ursache statistisch häufiger, da andere Ursachen dafür seltener sind.

Das Loch im Herzen lässt sich ja durch den Einsatz eines sogenannten Schirmchens schließen - quasi ein Drahtgeflecht, das aussieht wie zwei Regenschirme, die auf der linken und rechten Seite des Lochs im Herzen per Katheter, also minimalinvasiv, eingeführt und dann aufgespannt und festgezurrt werden und so das Loch von beiden Seiten "versiegeln" - später wächst dann Gewebe, Herzinnenhaut, über diese Matrix und die Wand zwischen den Vorhöfen ist spätestens binnen einen Jahres quasi so zugewachsen, wie es nach der Geburt hätte passieren sollen.
 
Wie lange dauert es, so ein Schirmchen einzusetzen?
 
Der eigentliche Verschluss dauert etwa zehn Minuten. Vom Auflegen des Patienten auf den OP-Tisch bis zum Verschließen der Gefäßzugänge werden in der Regel etwa 35-40 Minuten benötigt. Meist machen wir während des Eingriffs auch noch eine Herzkatheterdiagnostik, um auszuschließen, dass der Patient Arteriosklerose an den Herzkranzgefäßen hat. Wenn das der Fall ist, würden wir vermuten, dass auch die Gefäße des Kopfes davon betroffen sind, da es sich um eine systemische Erkrankung handelt. Dann würden wir von dem Eingriff Abstand nehmen, weil dann das PFO wahrscheinlich nicht die Ursache für den Schlaganfall ist - also das Schirmchen keinen positiven Effekt hätte. 

Aus einem Katheterende geschobenes medizinisches Schirmchen (Bild: rbb)

Und diese Therapie hält dann lebenslang? Und der Patient müsste nicht lebenslang blutverdünnende Medikamente einnehmen?
 
Ja! Und von der medikamentösen Therapie ist gar nicht im Detail bewiesen, dass sie das Risiko durch eine PFO überhaupt beeinflusst und eine sinnvolle Prävention von erneuten Schlaganfällen nach einer paradoxen Embolie darstellt. Diese Standardtherapie war im Grunde eine Art Krücke, weil man früher nichts anderes hatte, um den durch ein PFo verursachten Schlaganfall abzuwehren.

Wann wendet man die Schirmchenmethode bei wem an laut den neuen Leitlinien, die es seit August 2018 gibt - also wie gehen Sie und Ihre Kollegen da vor?
 
Zunächst schließen die Neurologen die häufigen Schlaganfallursachen aus. Erst dann untersuchen wir Kardiologen mittels Schluck-Echo (TEE), ob ein PFO vorliegt. Wenn sich dieses bestätigt und der Patient zwischen 16 uhd 60 Jahren alt ist, dann würden wir das PFO mit einem Schirmchen schließen. Bei Menschen unter 16 Jahren fällt das einerseits nicht in den Bereich der Erwachsenenleitlinien und ist außerdem extrem selten. Die Erklärung hierfür ist: Um eine paradoxe Embolie zu erleiden, muss ja erst einmal überhaupt eine Embolie vorliegen und das Risiko der Entstehung von Gerinnseln z.B. in den Beinvenen steigt mit dem Lebensalter. Übrigens genauso wie mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit für andere Ursachen des Schlaganfalls steigt. Daher die Altersgrenze.
 
Aber die ist nicht absolut zu verstehen: Wenn jemand 65 ist und hat absolut glatte Gefäße, nie etwas anderes gehabt und hat jetzt einen Schlaganfall und ein großes PFO, dann würden wir dieses im Einzelfall trotzdem verschließen. Also die Leitlinien sind kein Gesetz, sondern ein Rahmen.

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Oft wissen die Betroffenen ja gar nichts von dem Loch in ihrem Herzen - gibt es irgendwelche Anzeichen - im besten Fall vor einem Schlaganfall oder einer TIA - an denen Betroffene das Risiko doch bemerken und abklären lassen könnten?
 
Nein, tatsächlich nicht. Höchstens bei der Voruntersuchung für Taucher mit Sauerstoffflasche könnte das auftauchen, aber es würde auch nur mit Schirmchen geschlossen, wenn es bei der Untersuchung des Gehirns auch schon Vorfälle deshalb gegeben hätte. Sonst wäre ein Eingriff einfach nicht gerechtfertigt, denn ein Restrisiko gibt es ja immer bei einem Eingriff. Zum beispiel, wenn bei einigen wenigen Fällen eine Nickelallergie oder thrombotische Auflagen auf den Schirmchen zu Problemen führen, das darf man nicht vergessen. 
 
Aber umgekehrt: Wenn ein PFO bekannt wird, würden wir natürlich zu einem Kopfscan mit MRT raten, denn es kann schon zu kleinen Vorfällen, Gefäßverstopfungen im Hirn, gekommen sein, ohne dass das bemerkt wurde. Wenn dem so ist, gibt es natürlich auch eine Indikation die Methode anzuwenden. Aber rein prophylaktisch sollte man das nicht tun.

Wie sicher ist die Schirmchen-Methode?
 
Der Verschluss selber ist ein so komplikationsarmer Eingriff, - und das geht auch aus den neuen Leitlinien hervor - dass man das heute wirklich relativ gefahrlos machen kann. Ich habe einige Hundert davon schon gemacht, also das ist einer der handwerklich einfacheren Eingriffe, die wir hier im Herzkatheterlabor machen. Ein Restrisiko bleibt - wie bei jedem Eingriff. Da ist die Erfahrung der Ärzte wichtig. 

Es gab ja lange ein Hin und Her in der Diskussion um die Nützlichkeit des Schirmchens in Sachen "weitere Schlaganfälle verhindern" - noch 2012 konnte man bei der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG) lesen: "Schirmchen im Herzen kann Schlaganfall nicht vorbeugen". Das ist nun mit der neuen S2e-Leitlinie seit August 2018 anders. Dabei gibt es die Methode ja schon sehr lange - woher kam der lange Streit um die Wirksamkeit des Schirmchens?
 
Unser kardiologisches Team hier im Unfallkrankenhaus Berlin und war von Anfang an dabei: Ich selber habe Ende der 90er angefangen, die Schirmchen hier zu implantieren, zusammen mit meinem damaligen Chef. Und wir haben damals, 2002, im Circulation Journal, einem international angesehenen Fachmagazin, einen kleinen Beitrag veröffentlicht über unsere ersten 60 Patienten hier. Aber diese Auswertung war nicht randomisiert - also die Patienten waren nicht nach dem Zufallsprinzip für diese Methode ausgewählt, sondern es war ein Erfahrungsbericht. Und was in der Medizin nicht randomisiert untersucht wird, gilt als nicht bewiesen. Es war eben damals ganz neu. Und wir hatten 0 Komplikationen und 0 erneute. Und genau diese randomisierten Studien, die dann nötig wurden krankten oft daran, dass man über Jahre nicht genug Patienten dafür fand. Das war auch bei uns ein Problem. Denn Patienten müssen dafür aufgeklärt werden, bereit sein, aber sie saßen mir gegenüber und sagten: Sie haben doch den Beitrag veröffentlicht und es gab 0 Probleme und ich habe doch ein Loch im Herzen - also machen wir es doch zu. Sie wollten einfach das Problem gelöst bekommen und nicht randomisiert werden und vielleicht in einer Gruppe mit anderer Behandlungsmethode landen - mit dem gesunden Menschenverstand ja auch gut nachzuvollziehen. Wir haben nicht genug Patienten gefunden.
 
Die ersten Studien kamen dann aus Amerika, hatten aber über drei oder vier Jahre im Durchschnitt neun Patienten pro Zentrum eingeschlossen. Wie bei allen medizinischen Eingriffen spielt da natürlich auch Erfahrung eine Rolle - man muss es ja auch schaffen, das Loch tatsächlich zu schließen mit dem Schirmchen. In den ersten Studien waren hohe Restchancen, dass das Loch noch offen ist - das verwässert jede Statistik. In den aktuellen Studien, die den Leitlinien zu Grunde liegen, gibt es ca. 95 Prozent Verschlussquote. In den ganz neuen Studien gibt es sogar gar keine erneuten Schlaganfälle in der Nachbeobachtungszeit. Also da ist die Evidenz einfach gewachsen.  

Herr Dr. Bruch, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici

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