Ziffernblatt mit EU-Flagge (Quelle: imago/Steinach)
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EU-Beratungen zu Sommer- und Winterzeit - Gesünder ohne Zeitumstellung?

Für die einen ist sie kein Problem, für andere lästig und nicht wenige sehen in ihr eine Gesundheitsgefahr: die Zeitumstellung. Weil das Thema in EU-Ländern heiß diskutiert wird, soll die EU-Kommission jetzt die entsprechende Richtlinie prüfen und fragte dazu auch die Bürger der EU-Staaten. Aus gesundheitlicher Sicht spricht einiges für eine Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellungen.

Hat Europa 2018 vielleicht das letzte Mal an der Uhr gedreht? Unmöglich ist das nicht, denn zur Zeit prüft die EU-Kommission die Richtlinie 2000/84/EG aus dem Jahr 2001, also diejenige Regelung, die zwei Mal im Jahr dazu führt, dass bei uns die Uhren von Sommer- auf Winterzeit umgestellt werden und umgekehrt. Seit Jahren sorgt das Thema für Streit und Unmut bei vielen Menschen. Vielleicht auch ein Grund, warum die Kommission diesmal auch die Bürger nach Ihrer Meinung fragt - die konnten bis zum 16. August 2018 per Onlineumfrage darüber abstimmen.
 
Längst wird das Thema auch in der Medizin diskutiert und ist seit Jahren auch immer wieder Untersuchungsgegenstand in Studien. Insbesondere der Wechsel von der Winterzeit auf die Sommerzeit - wenn also die Uhr eine Stunde vorgedreht wird - erhöht laut Studien die gesundheitlichen Gefahren, denn dieser Wechsel steigert das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.

Die ersten Tage sind besonders gefährlich

Schwedische Forscher am Stockholmer Karolinska Institut stellten schon 2008 fest: In den ersten drei Wochentagen nach der Umstellung auf die Sommerzeit steigt das Risiko für einen Herzinfarkt um fünf Prozent an. Bei der Umstellung auf die Winterzeit war der Effekt geringer und bezog sich signifikant nur auf den ersten Wochentag nach der Umstellung. Die Wissenschaftler griffen für die Untersuchung auf Daten des nationalen schwedischen Myokardinfarktregisters zurück und führten das Phänomen insbesondere auf erhöhten körperlichen Stress durch Schlafprobleme und das frühere Aufstehen zurück, denn gerade morgens sei das Herz-Kreislaufsystem besonders anfällig für Stress. Die Forscher beobachteten einen ähnlichen Effekt, wie er auch durch klassischen Schlafmangel entsteht: die entzündungsfördernden Zytokinlevel im Körper stiegen an. Zytokine sind Proteine, die z.B. das Wachstum und die Spezialisierung von Zellen regulieren und neben eine wichtige Rolle bei Entzündungen und in der Immunologie spielen.
 
Zwei neuere Studien kamen 2016 sogar zu noch drastischeren Ergebnissen. Deutsche Forscher im Auftrag der Krankenkasse DAK und finnische Wissenschaftler an der Universität Turku werteten jeweils hunderte Krankenhausdaten der vergangenen Jahre aus. Ergebnis: In den ersten drei Arbeitstagen nach der Umstellung auf die Sommerzeit stieg die Häufigkeit von Schlaganfällen und Herzinfarkten auffällig an - bei den Herzinfarkten sogar um bis zu 20 Prozent. Die Häufigkeit von Schlaganfällen erhöhte sich laut der finnischen Forscher um immerhin acht Prozent. Diese und andere Studien zu möglichen negativen Auswirkungen der Zeitumstellung waren beispielsweise auch Thema einer Zusammenfassung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages 2016.

Spiel mit dem Biorhythmus stresst Herz & Hirn

Als einen Hintergrund für die erhöhte Zahl von Schlaganfällen machten die finnischen Wissenschaftler eine Störung der circadianen Rhythmik aus, also den körpereigenen Mechanismen, die durch die Verarbeitung von z.B. Lichtvorkommen den inneren Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers bestimmen und großen Einfluss auf die Funktion des menschlichen Organismus haben. Für das Herz-Kreislaufsystem bedeutet eine künstliche Veränderung dieser Rhythmen durch die Zeitumstellung Stress. Das zeigt sich beispielsweise durch Schlafprobleme (Einschlaf- und Durchschlafstörungen), aber beispielsweise auch den Anstieg von Puls und Blutdruck. Insbesondere Menschen, deren Herz-Kreislauf-System durch Krankheit vorgeschädigt oder belastet ist, sind deshalb in den ersten Tagen der Zeitumstellung besonders gefährdet.

Was den Schlaf stört, schadet der Gesundheit

Auch Prof. Dr. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité Berlin, verweist auf weitere gesundheitliche Gefahren durch schlechten Schlaf: "Wenn man schlecht geschlafen hat, dann leidet das Gerinnungssystem, das Blut wird etwas dicker, wir haben ein viel höheres Entzündungspotenzial im Körper. Und speziell die koronare Herzerkrankung - die hat auch etwas mit Entzündungen zu tun. Dazu kommt der erhöhte Stress, das erhöht an sich schon das Risiko für Herzkrankheiten. Diese Kombination kann wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass man nach einer schlechten Nacht mit einem vorgeschädigten Herzen tatsächlich ein höheres Risiko hat."
 
Insbesondere schnelle, plötzliche Änderungen des Schlafrhythmus, wie sie durch die Zeitumstellung entstehen, können diese negativen Folgen für die Gesundheit auslösen, darin sind sich Wissenschaftler weitestgehend einig. Was kann helfen? Schlafmedizinern zufolge nur ein achtsamer Umgang mit der Veränderung - beispielsweise eine langsame Anpassung an die Stundenumstellung: Eine Woche lang jeden Tag die eigene Uhr um ca. zehn Minuten nach vorn oder hinten stellen, um den Effekt abzumildern.

Warten auf die europäische Entscheidung

Klar ist: Die einst erhofften Energiespareffekte, die man sich im Zusammenhang mit der Zeitumstellung erhoffte, werden mittlerweile auch von der EU-Kommission als bestenfalls marginal bezeichnet. Mögliche gesundheitliche Auswirkungen für die Bürger spielen dagegen bei der Neubewertung der Richtlinie  2000/84/EG offensichtlich eine entscheidendere Rolle, wie auch der Beschluss des EU-Parlaments aus dem Februar 2018 zeigt, der zur aktuellen Neubewertung führte.
 
Wie die Neubewertung ausfallen wird, ist noch unklar. Krankenkassen wie die DAK-Gesundheit jedenfalls würden eine Abschaffung der Zeitumstellung begrüßen, aus gesundheitlichen Gründen. Bis zum 16. August 2018 hatten die rund 500 Millionen Bürger Europas die Möglichkeit, Ihre Meinung dazu online zu äußern - unter ec.europa.eu. Bindend ist das nicht - laut der EU-Kommission handelt es sich um eine "Konsultation" der Bevölkerung. Aber die zeigt auf jeden Fall den Willen der Verantwortlichen die Meinungen und Argumente der Bürger bei der Entscheidung mit einfließen zu lassen. Allein in den ersten drei Wochen der Abstimmung nutzten über eine Million Teilnehmer diese Möglichkeit.

Beitrag von Lucia Hennerici