Glücklicher Mann atmet tief ein in der frischen Luft (Quelle: Colourbox)
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Interview | Achtsamkeitstrainer Jochen Strauch - Mindfulness und Meditation sind eine Lebenshaltung

Stressreduktion durch die bewusste Akzeptanz des eigenen Ichs im Hier und Jetzt. Wie das durch Achtsamkeitstraining funktioniert, warum auch Kinder davon profitieren und wie Meditieren bestimmte Strukturen im Gehirn verändert. Darüber spricht: Jochen Strauch, zertifizierter MBSR-Lehrer und Theaterregisseur aus Hamburg.

 

Warum wirkt Achtsamkeit gegen Stress?

Achtsamkeit ist – nach Jon Kabat-Zinn – die willentliche, bewertungsfreie Fokussierung auf den Augenblick. Die Fokussierung auf den jetzigen Augenblick ohne Geschichte. Denn die Geschichte und unsere Bewertungen von Situationen sind meist mit im Spiel, wenn Stress verursacht oder verschlimmert wird. Es geht darum, im Kontakt mit dem zu sein, was ist. Der Körper und der Atem helfen uns dabei. Wir können den Atem beobachten, die Signale des Körpers wahrnehmen – und so aus dem Gedankenkarussell aussteigen, das unser Geist ununterbrochen unbewusst mit uns fährt. Dadurch verschaffen wir uns Wahlfreiheit, einen Bewegungsraum.

Was macht die Methode wirksam?

Experten des reSource-Projekt – die bisher größte Studie mit Hirnscans von Meditierenden – verteilten die Wirksamkeit auf drei Säulen. Zuerst das tatsächliche Im-Jetzt- sein. Den Kontakt des Bodens zu spüren, die Socken, die Hose auf der Haut, beschreibt auch Jon Kabat-Zinn als "wieder ganz werden". Sich selbst zu spüren hat etwas mit Ankommen zu tun, zuhause zu sein, bei sich. Das Gehirn muss nicht ständig aufkommenden Gedanken, Zweifel, Pläne, mit dem Jetzt abgleichen – was es gar nicht mag, was ein Gefühl der Zerrissenheit und Stress kreiert. Außerdem lernen wir durch regelmäßige Meditation, eigene Autopiloten und Muster zu bemerken – und können so mehr und mehr innere Freiheiten erforschen. Autopiloten, wie schnelles Reagieren bei Gefahr zum Beispiel beim Autofahren, sind lebensrettend. Im Streit mit dem Partner aber ist automatisches Reagieren wenig konstruktiv. Wenn ich aber die Pausentaste entdecke, habe ich die Wahl: Will ich in die Stresssituation reingehen – oder trete ich erst einmal ein Stück zurück und überlege den nächsten Schritt?
 
In der Folge wird die Meditation selbst zu einer Insel im Alltag: vom Tun-Modus in den Sein-Modus umschalten. Das kann den Geist, beruhigen, die Stresshormone sinken lassen und den Herzschlag verlangsamen.

Wie kann ich Achtsamkeit lernen, ohne täglich 40 Minuten zu meditieren?

Erlernen ohne üben? Gar nicht. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht: MBSR ist sehr wirksam und mittlerweile extrem gut erforscht. Man muss es aber erlernen, man kommt nicht um einen 8-Wochen-Kurs herum, danach macht es Sinn regelmäßig weiter zu praktizieren. MBSR verändert Strukturen im Gehirn nachhaltig. Bevor es aber wirkt, müssen wir investieren. Mindfulness und Meditation sind eine Lebenshaltung.

Gibt es nicht wenigstens ein paar kleine achtsame Tipps gegen akuten Stress?

Klar. Es gibt viele unkomplizierte Dinge, die uns helfen, akutem Stress zu begegnen, diese Hausmittel kennen wir auch alle. Die Frage ist, ob wir in der Not Zugriff haben. Das kann ein Gespräch mit guten Freunden sein, der Spaziergang im Wald, Sport, gesunde Ernährung. Wichtig ist auch die Kraft der Pause, also einfach mal rausgehen aus der stressvollen Situation und wieder Verbindung aufnehmen, zu sich selbst oder einem Freund. Das aber hat im engeren Sinne nichts mit Mindfulness zu tun, sondern ist erstmal nur ein gesunder Umgang mit Stress.

Achtsamkeit nimmt also eher nachhaltig den Stress aus dem Alltag?

Das kann man so nicht sagen: Mindfulness hilft in akuten Stressmomenten genauso wie langfristig - man muss es aber eben erst einmal erlernen. Wichtig ist auch: Achtsamkeit ist kein Allheilmittel. Wenn Menschen zum Beispiel chronisch von Stress, Schlaflosigkeit, Depression oder Ängsten betroffen sind, hilft es nicht, sich aufs Kissen zu setzen und zu warten, bis das vorüber ist. Psychische Probleme und chronischer Stress sollten auf jeden Fall vom Arzt oder Psychologen abgeklärt werden.

Sie haben MBSR auch gerade als Regisseur in dem Stück "Stecker ziehen" am Berliner GRIPS Theater integriert . Es geht um Stress bei Jugendlichen. Was haben Sie gelernt?

Theaterpädagogen und -pädagoginnen erzählten von ihren Erfahrungen: Von Natur aus haben Kinder erst einmal relativ wenig Stress. Je älter sie werden, desto mehr ändert sich das dann, abhängig davon, was die Eltern, ihre Umwelt und die Schule an sie herantragen. Klassischerweise verändert sich zum Beispiel ein gesamtes Klassengefüge, wenn Noten eingeführt werden. Auf einmal sind die Freundschaften von gestern passé, wenn Bewertungen statt Offenheit und Neugier in den Vordergrund treten. Und durch den LehrerInnenmangel wird die Situation auf allen Seiten auch nicht leichter. Die Folgen der COVID-19-Pandemie auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen sind noch nicht umfassend erforscht. Erste Beobachtungen lassen wenig Gutes ahnen. Einiges davon ist in "Stecker ziehen" thematisiert. Die ersten Vorstellungen für Schülerinnen und Schüler ab 9 Jahren waren sofort ausverkauft. Es gibt einen großen Bedarf nach Stressprävention auch in Schulen.

Es wird bald ein bundesweites Programm geben, in dem Lehrerinnen und Lehrer Achtsamkeit lernen.

Richtig, der gemeinnützige Verein AKIJU (Achtsamkeit für Kinder und Jugendliche) hat sich bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen der Fördermaßnahme AUF!leben – Zukunft ist jetzt im Bereich Qualifizierung beworben. Das Programm widmet sich den Folgen von COVID-19 im Bildungssektor: Wie Stress auf Kinder und Jugendliche einwirkt. Wie Stress auch den Schulalltag in Atem halten kann und bei Lehrenden für ernstzunehmende Erkrankungen sorgt. Der Antrag wird hoffentlich in den kommenden Tagen bewilligt. Ab Januar 2022 soll es dann losgehen: Überall im Land werden zertifizierte MBSR-TrainerInnen kostenlos interessierte Lehrer und Lehrerinnen ausbilden, mit einem mehrteiligen Programm, das zuerst die Selbstfürsorge stärkt und dann Achtsamkeit in die Kitas und Schulen bringt. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, um Schülern und Schülerinnen Methoden für einen anderen Umgang mit Stress, Angst und Wut anbieten zu können! Interessierte Lehrkräfte, die mitmachen wollen, können sich beim Verein oder mir informieren.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Beate Wagner.

Frau trinkt Tee und lächelt in die Kamera (Quelle: colourbox)
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unsplash/Darius Bashar

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