Labormitarbeiter füllt Flüssigkeit in Reagenzgläser (Bild: unsplash/Talha Hassan)
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Interview l Neue Medikamente & neue Behandlungsregeln - Hilfe gegen Herzschwäche: Game-Changer in der Therapie

Mit rund 460.000 Fällen pro Jahr ist Herzschwäche einer der häufigsten Gründe für eine Krankenhauseinweisung und bedeutet unbehandelt große Risiken für Gesundheit und Leben. Doch oft warten Betroffene lange, bis eine passende Therapie gefunden ist; in manchen Fällen kann man nur die begleitenden Erkrankungen wie Diabetes behandeln. Neue Leitlinien für die Behandlung, neue Studien und Medikamente könnten das ändern.

Rund vier Millionen Menschen in Deutschland sind von einer Form der Herzschwäche betroffen. Neue Forschungsergebnisse zu Therapien, unter anderem durch Studien mit Charitébeteiligung, haben Fachmedizinerinnen und Fachmediziner 2021 zu einer Änderung der Leitlinien für die Behandlung bewogen - und geben sogar noch mehr Hoffnung auf bessere Therapien.
 
rbb Praxis hat dazu mit dem Herzschwächexperten und Mitautor der neuen Leitlinien, Prof. Dr. Michael Böhm, gesprochen.

Herr Prof. Dr. Böhm, im August wurden die aktualisierten ESC-Leitlinien zur Behandlung von Herzinsuffizienz - auch Herzschwäche genannt - vorgestellt. Bei der Präsentation war davon die Rede, dass die Leitlinien das Therapiemanagement auf eine neue Grundlage stellen. Was heißt das und was bedeutet es für Patientinnen und Patienten?
 
Die Vorgehensweise in der Therapieinitiierung war früher so, dass man in einer bestimmten Reihenfolge eine Sequenzierung von Medikamenten vorgenommen hat. Das heißt: Es gibt drei bis vier Standardmedikamente, die man gibt und man hat mit dem einen angefangen, für das zuerst die Studien vorlagen - dann das zweite, dritte und vierte Medikament. Und dann hat man die Dosierung jedes Medikaments außerhalb des Krankenhauses herauftitriert [Anm. d. Red.: Die Dosierung angepasst]. Das kann Wochen bis Monate dauern.
 
Jetzt hat man in vielen Diskussionen und Sekundäranalysen feststellen können, dass diese Medikamente schnell wirken, d.h. nach 2-4 Wochen Ereignisse, wie Hospitalisierungen und Todesfälle, reduzieren. Gerade die neuen Medikamente, insbesondere die SGLT2-Inhibitoren, haben signifikante Effekte nach zwei Wochen. Das bedeutet, wenn man eine Therapie zwei bis drei Monate hinauszögert, weil man sich strikt an das langsame sequentielle Auftitrieren hält, folgt daraus, dass viele Patienten ins Krankenhaus kommen oder durch ein kardiovaskuläres Ereignis sterben bevor die Therapie begonnen wird oder vollständig ist. Der Therapiebeginn kommt also zu spät.
 
In den neuen Leitlinien hat es diesbezüglich einen Strategiewechsel gegeben.

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Es geht also um Geschwindigkeit und darum, das Gesamtrisiko für den Patienten oder die Patientin im Blick zu behalten. Was bedeutet diese Beschleunigung konkret?
 
Das bedeutet, dass man mit den vier großen Substanzklassen - das sind ARNI (Angiotensin-Rezeptor/Neprilysin-Inhibitor) oder in Ausnahmefällen ACE-Hemmer/AT1-Blocker, Betablocker, Mineralkortikoidrezeptor-Antagonisten (MRA) und den neuen SGLT2-Hemmern - gemeinsam so schnell wie möglich beginnt. Das ist die erste Strategieänderung.
 
Dann gibt es Studien und auch viele indirekte Hinweise, dass, wenn man noch im Krankenhaus mit dieser Herzinsuffizienztherapie beginnt, man noch mehr nachfolgende auftretende kardiovaskuläre Ereignisse verhindern kann. Man beginnt also unmittelbar nach der akuten Behandlung der Patienten wegen einer Dekompensation [Anm. d. Red.: Wenn der Körper die Herzschwäche nicht mehr kompensieren konnte], weil man so besonders viel Zeit spart.
Das ist die Phase: zwei bis drei Monate unmittelbar nach der Krankenhausentlassung. Da haben diese Patienten die höchste Ereignisrate und sind in der Regel noch schlecht behandelt. Wenn man früh besser behandelt, kommt man zu einer wirklich großen Risikoreduktion. Das ist die zweite Strategieänderung.
 
Diese wesentlichen Änderungen lassen erwarten, dass die Effekte für Patientinnen und Patienten wirklich sehr groß werden können.

Diese Strategieänderungen in der Therapie betrifft Patientinnen und Patienten, die eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion des Herzens haben, richtig? Und gerade die von Ihnen genannte Medikamentengruppe der SGLT2-Hemmer spielt da auch eine große Rolle - Medikamente, die eigentlich aus der Diabetestherapie kommen und verhindern, dass die Nieren Zucker aus dem sogenannten Primärharn wieder aufnehmen. So senken sie den Blutzucker.
 
Ja, wir reden jetzt in Sachen Leitlinien nur über die Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpleistung. Und da hat man große Studien mit den SGLT2-Hemmern Dapagliflozin und Empagliflozin mit gleich positiven Ergebnis bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern durchgeführt.
 
Für alle Herzinsuffizienten gibt es dementsprechend eine klare Empfehlung.

Bestimmte SGLT2-Hemmer können aber vermutlich noch mehr, wie eine neue Studie unter Charité-Beteiligung nahelegt - nämlich auch Patientinnen und Patienten mit einer anderen Form der Herzschwäche helfen, bei der die Pumpfunktion nicht reduziert ist. Das ist eine Gruppe von Betroffenen, bei denen man bisher in der Therapie nicht direkt an der Herzschwäche ansetzen kann, oder? Wie werden diese Menschen aktuell behandelt?
 
Das macht man bisher rein symptomatisch. Es gibt gar keine Evidenz für eine wirkliche Risikoreduktion, sondern im Wesentlichen weiß man, dass 90 Prozent dieser Patienten einen hohen Blutdruck haben, viele Patienten mehr als bei der Herzinsuffizienz mit eingeschränkter Pumpfunktion. Und sie sind meistens älter. Sie sind übergewichtig. Häufiger sind Frauen betroffen. Und sie haben häufiger einen Diabetes.
 
Das heißt im Grunde ist die Therapie, die in den Leitlinien empfohlen ist, bestehend aus Diuretika [harntreibende Medikamente] und betrifft die Behandlung der Begleiterkrankungen. Das betrifft den Diabetes mellitus und den Bluthochdruck. Diuretika reduzieren die Stauungssymptomatik.
 
Studien zu Betablockern, ACE-Hemmern und Sacubitril/Valsartan waren neutral - dementsprechend gibt es da keine klaren Empfehlungen für diese Therapeutika.

Hintergrund: Herzschwäche

  • Herzschwäche

  • Herzschwäche mit verminderter Pumpfunktion

  • Herzschwäche ohne eingeschränkte Pumpfunktion

Laut besagter neuer Studie, der EMPEROR-Preserved Studie, könnten auch diese Herzschwäche-Patienten von SGLT2-Hemmern profitieren: Die Forscherinnen und Forscher kommen zu dem Schluss, dass man mit Empagliflozin das Risiko für Todesfälle & Klinikaufenthalte wegen verschlechterter Herzinsuffizienz um 21 Prozent reduzieren kann. Die Erkenntnisse sind aber so neu, dass sie noch nicht im aktuellen Leitlinien-Update sind. Wird das noch kommen?
 
Für Herzschwäche mit erhaltener Pumpfunktion liegt jetzt eine Studie zu Empagliflozin vor - und da wird ein Leitlinien-Update notwendig sein. Man wartet aber auf eine zweite große Studie nämlich die DELIVER-Studie [zu Dapagliflozin]. Die kommt möglicherweise Anfang 2022 heraus.
 
Dann hat man auch wiederum zwei Studien und kann eine "Klasse IA-Empfehlung" aussprechen, wenn sich hier auch positive Ergebnisse zeigen. Die Ergebnisse aus der ersten Studie sind bahnbrechend, aber für die Herzschwäche ohne Einschränkung der Pumpfunktion gibt es bisher noch nicht einmal eine Zulassung - die jetzt aber beantragt ist und wohl kommen wird.

Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf die SGLT2-Hemmer werfen: Wie funktionieren sie und welche Rolle spielen sie in der Herzschwäche-Therapie für die Menschen mit eingeschränkter Pumpfunktion?
 
Die Idee wurde in Studien an Patienten mit Diabetes geboren. Es ist so, dass SGLT2-Hemmer etwas konzeptionell anderes machen, als andere Antidiabetika. Durch Hemmung eines Transporters – den "Sodium glucose co-transporter 2" - wird man einfach die Glukose los und scheidet sie vermehrt über den Urin aus. Das führt zu einer Glukose-Senkung und einer kleinen HbA1c-Abnahme.
 
Alle oralen Diabetika müssen daraufhin geprüft werden, ob sie nachteilige Wirkungen auf das Kreislaufsystem haben. Diese Anforderung kam zustande, als eine bestimmte Substanzklasse der Diabetika (Glitazone) die Sterblichkeit und Hospitalisierungsrate wegen einer Herzinsuffizienz sogar erhöht hatte.

Also hat man eine Studie durchgeführt und hat sich auch die Raten der Krankenhauseinweisungen durch Herzinsuffizienz angeschaut. Da war ein Effekt auf Krankenhausaufnahmen wegen einer Herzinsuffizienz bei Patienten mit Diabetes signifikanter (90 Prozent ohne Herzinsuffizienz!) zu beobachten. So kam die Hypothese zustande, dass das eigentlich ein Herzinsuffizienz-Medikament sein könnte. Dann hat man Herzinsuffizienz-Studien durchgeführt und klare Effekte bei Patienten mit und ohne Diabetes gesehen.
 
SGLT2-Inhibitoren können also Patienten mit Herzschwäche schützen. Sie sind einfach zu dosieren, die Blutdruckeffekte sind minimal und sie reduzieren sogar das Voranschreiten einer Niereninsuffizienz, die bei Herzschwäche oft ein Problem ist. Nur 50 Prozent der herzinsuffizienten Patienten haben eine normale Nierenleistung. Ein akutes Nierenversagen wird mit diesen Medikamenten auch um 35 Prozent reduziert.
 
Also sind sie leicht zu handhaben, haben eine klare Wirkung und schützen auch noch die Niere. In der Praxis haben SGLT2-Inhibitoren darum einen großen Nutzen und auch Zuspruch.

Leitlinien von Fachgesellschaften sind ja gerade auch deshalb wichtig für Patientinnen und Patienten, weil sich die Krankenkassen daran orientieren. Mit dem Leitlinien-Update 2021 und der Zulassung für Herzschwäche mit eingeschränkter Pumpfunktion bekommen schon viele Betroffene neue Therapiemöglichkeiten.
 
Was schätzen Sie, wann wird das auch für die Herzschwäche ohne verminderte Pumpfunktion kommen?
 
Es muss und es wird ein Update geben, wenn die Ergebnisse der zweiten Studie da sind.

Prof. Dr. Böhm, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici

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