Herzinsuffizienz und Depression: Bild zeigt bedrückt blickende ältere Frau, die sich das Herz hält (Quelle: Colourbox)
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Interview | Wie das Herz und die Seele zusammenspielen - Depression bei Herzinsuffizienz: Ursachen und Behandlung

Herzinsuffizienz und Depressionen liegen häufig gleichzeitig vor. Die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten erklärt Prof. Dr. Volker Köllner.

Bei der chronischen Herzinsuffizienz – auch Herzschwäche genannt – ist die Pumpfunktion des Herzens meist dauerhaft gestört. Für viele Betroffene stellt diese Krankheit eine Herausforderung dar.

Das hat Auswirkungen auf die Psyche und die Lebensqualität: Herzgeschwächte Menschen beschreiben im Durchschnitt eine geringere Lebensqualität als Personen der Allgemeinbevölkerung.
 
Nicht wenige Patientinnen und Patienten entwickeln psychische Erkrankungen – häufig Depressionen. Die können sich wiederum schlecht auf den Verlauf der Herzerkrankung auswirken: Ein Teufelskreis.
 
Warum haben Patienten mit Herzschwäche so häufig gleichzeitig eine Depression? Welche Probleme für das Herz entstehen bei einer Depression? Was genau verschlimmert die Herzinsuffizienz, wenn gleichzeitig eine Depression vorliegt? Und welche Behandlungen können helfen, um die Lebensqualität zu verbessern? Sind Antidepressiva eine Möglichkeit oder sind sie schlecht für das Herz?
 
Prof. Dr. Volker Köllner ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und ärztlicher Direktor des Reha-Zentrums Seehof. Er beantwortet Fragen über die Wechselwirkungen von Herz und Psyche.

Auswirkungen von Herzerkrankungen auf die Psyche und umgekehrt

Professor Köllner, Sie haben in Ihrer Klinik unter anderem einen Schwerpunkt für die Psychokardiologie. Was ist denn die Psychokardiologie? Und welche Patienten und Patientinnen behandeln Sie in diesem Bereich?
 
Die Klinik hat schon seit über 25 Jahren zwei Abteilungen - Kardiologie und Psychosomatik. Wir haben gemerkt: Patienten halten sich einfach nicht an medizinische Fächergrenzen. Ein Teil der Menschen hat Probleme in beiden Bereichen und kommt dann jeweils in einer Klinik zu kurz. Und so kamen wir auf die Idee, Reha speziell für diese doch recht große Gruppe von Patienten anzubieten, die sowohl eine Herzerkrankung als auch eine meistens damit zusammenhängende psychische Erkrankung hat. Die Psychokardiologie ist kein eigenes Fachgebiet, aber als Praxis- und Forschungsfeld beschäftigt sie sich genau mit diesen Wechselwirkungen zwischen Herz und Seele.
 
Wichtig ist, sich klarzumachen, dass diese Wechselwirkungen in beide Richtungen gehen. Also: Eine Herzerkrankung kann psychische Probleme machen. Man kann Ängste entwickeln, depressiv sein oder wenn man etwas Schlimmes – wie eine Reanimation oder ein Defi-Schock – erlebt hat, kann das auch eine posttraumatische Belastungsstörung auslösen.
 
Umgekehrt kann dies wiederum den Krankheitsverlauf beeinträchtigen. Die Depression oder posttraumatische Belastungsstörung kann im schlimmsten Fall sogar eine höhere Sterblichkeit zur Folge haben.
 
Und eine Depression oder auch eine posttraumatische Belastungsstörung ist außerdem ein Risikofaktor, überhaupt erst eine Herzerkrankung zu kriegen. Also auch ein Herzgesunder mit einer dieser Erkrankungen hat ein höheres Risiko, irgendwann eine Herzerkrankung zu bekommen, wenn die psychische Erkrankung nicht behandelt wird.

Wechselwirkung zwischen Herzinsuffizienz und Depression

Professor Köllner, eine sehr häufige Herzerkrankung im Alter ist die chronische Herzinsuffizienz - eine chronische Herzschwäche. Was bedeutet diese Krankheit für die Psyche der Betroffenen?
 
Als erstes muss man sich klarmachen: Bei 4 von 5 der Patienten mit Herzinsuffizienz ist die Ursache für die Herzinsuffizienz eine koronare Herzerkrankung, ein Herzinfarkt oder ein für lange Zeit vorliegender Bluthochdruck. Diese Krankheiten führen auch zu Wechselwirkungen mit der Psyche: Ein Herzinfarkt kann ein Auslöser für eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Depression sein.
 
Was ist nun bei der Herzinsuffizienz besonders? Es ist in aller Regel eine chronische Erkrankung. Bei vielen Patienten bessert sich die Herzfunktion nach einem Infarkt. Aber bei dem typischen Herzinsuffizienz-Patient bleibt eine gewisse Herzschwäche dauerhaft bestehen. Und das ist natürlich etwas, was man erst mal wegstecken muss. Hier ist die Wechselwirkung mit Depressionen besonders hoch.

Wie häufig ist das denn, dass bei Patienten und Patientinnen zusätzlich zur Herzinsuffizienz eine Depression auftritt?
 
Wir denken, dass ungefähr jeder vierte, bis jeder fünfte Patient beides hat. Das ist wirklich eine häufige Kombination.

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Ursache der Wechselwirkung zwischen Herzinsuffizienz und Depression

Sie haben schon erklärt, das Herz und Psyche sich gegenseitig beeinflussen. Wie ist das speziell bei diesen beiden Erkrankungen: Herzinsuffizienz und Depression?
 
Bei der Herzinsuffizienz gehen möglicherweise viele Dinge nicht mehr so gut, wie sie vorher gingen. Auch Aktivitäten, die einem Lebensfreude gegeben haben. Und das kann dann auf die Stimmung schlagen.
 
Umgekehrt ist die Depression ein Risiko für eine koronare Herzkrankheit und die wiederum führt zur Herzinsuffizienz.
 
Und eine Depression verschlechtert die Prognose von herzinsuffizienten Patienten. Denn: Menschen mit einer Depression haben es deutlich schwerer sich aufzuraffen: Sie haben oft Schwierigkeiten die Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. Sie kommen morgens schwer aus dem Bett und können nachts nicht schlafen. Und wenn man keine gute Tagesstruktur hat, nimmt man oft nicht so regelmäßig seine Medikamente ein.
 
Die Depression verführt einen dazu, Aktivitäten nicht zu mehr zu machen, die einem eigentlich guttun, wie zum Beispiel Bewegung. Das ist eh schon schwieriger, wenn man eine Herzinsuffizienz hat. Aber wir wissen, dass auch Herzinsuffizienz-Patienten deutlich von einem auf ihre Herzschwäche abgestimmten Bewegungstraining profitieren. Und wenn einem hierzu durch die Depression der Antrieb fehlt, dann verschlechtert das die Prognose.
 
Außerdem haben es Menschen mit einer Depression deutlich schwerer, abzunehmen oder ihr Gewicht zu halten – z.B. wegen Frustessen – was zusätzlich das Herz belastet.
 
Also das Verhalten von Patienten und Patientinnen mit einer Depression führt dazu, dass die Prognose der Herzschwäche schlechter wird. Passiert denn auch im Körper etwas, warum bei Depressionen häufiger eine Herzschwäche auftritt?
 
Ja, einerseits vermuten wir ungünstige Effekte auf das Stress-Hormonsystem.
 
Und eine Depression wirkt sich ungünstig auf die Gerinnung und auf das Immunsystem aus und Infarkte entstehen ja durch Blutgerinnsel und die koronare Herzerkrankung unter anderem durch eine chronische Entzündung [Anm. d. Red.: der Gefäße, die das Herz versorgen].
 
Und ein spannender Punkt ist, dass die Depression zu einer verminderten Herzratenvariabilität führt. Und die ist auch bei der Herzinsuffizienz mit einer schlechteren Prognose verbunden.

Herzratenvariabilität

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Risikofaktor für Depression bei Herzinsuffizienz

Gibt es bestimmte Patienten oder Patientinnen, die besonders gefährdet sind, zusätzlich zur Herzinsuffizienz eine Depression zu entwickeln?
 
Ja, ein hohes Risiko ist Einsamkeit. Menschen, die allein leben, die niemanden haben, mit dem sie reden können und der sie unterstützt, die haben einen ein höheres Risiko, eine Depression zu bekommen. Und umgekehrt: Wenn man nahestehende Menschen hat, schützt einen das eher davor depressiv zu werden.

Symptome einer Depression bei Herzinsuffizienz

Professor Köllner, wenn man sich als herzgeschwächter Patient oder Patientin fragt: Woran merke ich das denn, dass sich eine Depression entwickelt? Gibt es typische Symptome, die man auch selbst bemerkt? Oder gibt es Fragen, die man sich stellen kann?
 
Eine Besonderheit ist, dass sich Symptome der Herzinsuffizienz und die Symptome der Depression überlappen. So, dass man gar nicht immer sagen kann, was ist was. Zum Beispiel eine Adynamie – also, dass man Schwierigkeiten hat, sich aufzuraffen – oder eine Erschöpfungsneigung oder Schlafstörung, die können sowohl von der Depression als auch von der Herzinsuffizienz kommen.
 
Aber unabhängig von der Herzerkrankung ist die Fähigkeit, sich zu freuen. Wenn ich mich auf Sachen nicht mehr freue, die mir früher Spaß gemacht haben, dann kann das ein Hinweis auf eine Depression sein.
 
Auch wenn ich sehr viel grübele und anfange, mich selbst runterzumachen, wenn ich denke: "Wofür bin ich überhaupt noch auf der Welt?". Dann ist das auch ein bedenkliches Zeichen.

Habe ich eine Depression?

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Depression bei Herzinsuffizienz: Möglichkeiten der Behandlung

Was sollte man denn machen, wenn man das Gefühl oder die Sorge hat, dass man vielleicht eine Depression entwickeln könnte oder wenn Angehörige einen darauf hinweisen? An wen kann man sich dann wenden?
 
Man sollte auf jeden Fall mit seinem betreuenden Arzt darüber sprechen. Der kann den Verdacht auf eine Depression mit gezielten Fragen weiter abklären.
 
Dann gibt es die Möglichkeit der ambulanten Psychotherapie. Oft hilft schon eine Kurztherapie.
 
Eine weitere Möglichkeit ist Bewegung. Da gibt es kontrollierte, randomisierte Studien: Dreimal die Woche Ausdauertraining hilft gegen Depressionen genauso gut wie ein Antidepressivum. Das Problem ist nur, dass man sich mit der Depression nicht zu der Bewegung aufraffen kann. Aber es gibt sehr gute Angebote, wie zum Beispiel Herzsportgruppen. Die verbinden gleich zwei Faktoren: Nämlich die Bewegung und die Gemeinschaft. Man ist mit der Krankheit nicht mehr allein, sondern man kann sich mit anderen austauschen und darüber reden. Selbsthilfegruppen wären eine weitere Möglichkeit. Soziale Unterstützung wirkt antidepressiv.
 
Und wenn es allein nicht mehr geht, dann gibt es die Möglichkeit der stationären Rehabilitation, wo in einem ganzheitlichen Ansatz sowohl versucht wird, die Herzfunktion zu verbessern, als auch Bewegung und Psychotherapie gezielt eingesetzt werden.

Antidepressiva bei Depression und Herzinsuffizienz

Professor Köllner, Sie haben jetzt schon einige mögliche Behandlungen beschrieben und haben auch Antidepressiva angesprochen: Spielen denn Medikamente, wie z.B. Antidepressiva auch eine Rolle bei herzinsuffizienten und gleichzeitig depressiven Patienten?
 
Weniger. Es gibt aus der Forschung einen spannenden Befund: Die Antidepressiva wirken bei Herzinsuffizienz-Patienten nicht so gut. Einerseits haben sie Nebenwirkungen [Anm. d. Red.: zum Teil auch auf das Herz], aber tatsächlich ist auch die antidepressive Wirkung nicht so gut bei Herzinsuffizienz-Patienten. Und deswegen sollte man eher auf die anderen Möglichkeiten - also Bewegung, Selbsthilfe, Soziale Unterstützung, Psychotherapie - zurückgreifen.
 
Wichtig ist auf jeden Fall, wenn es irgendwie geht: eine Tagesstruktur. Also morgens aufstehen, raus aus dem Bett, sich anziehen, geregelte Mahlzeiten, sich Termine machen. Diese Tagesstruktur wirkt auch antidepressiv.

Depression und Herzinsuffizienz: Ziel in der Behandlung

Was wäre denn das Ziel der Behandlung? Kann man davon ausgehen, dass dann die Depressionen "weg" ist bei den meisten Patienten oder Patientinnen?
 
Depressionen kann man ganz gut behandeln, genau. Dann werden die Stimmung und die Lebensqualität viel besser.
 
Aber es gibt ein besonderes Problem bei der Herzinsuffizienz und das sind kognitive Einschränkungen und Defizite. Oft merken die Patienten das und sagen: Ich bin immer so vergesslich – woran liegt das? Das hat mit einer gewissen Minderdurchblutung des Gehirns zu tun. Das wird wieder besser, wenn die Herzinsuffizienz etwas besser wird. Die Depression macht auch ein bisschen kognitive Einschränkungen. Und das geht wieder weg, wenn die Depression weg ist.
 
So können die Patienten in einen Teufelskreis kommen: Sie haben Konzentrationsstörungen - dann nehmen Sie ihre Medikamente nicht mehr regelmäßig - dann wird die Herzfunktion schlechter - dann können sie sich wieder schlechter konzentrieren und kommen immer mehr durcheinander. Es ist wichtig, dass die Patienten das monitoren [Anm. d. Red. überwachen] und sie eventuell Unterstützung bekommen: Dass ein Pflegedienst kommt, damit sie regelmäßig die Medikamente nehmen.

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Depression bei Herzinsuffizienz vorbeugen

Wenn ich diesen Text als herzinsuffizienter Patient oder Patientin lese und verhindern will, dass überhaupt erst eine Depression entsteht. Gibt es etwas, was man machen kann, um eine Depression zu verhindern?
 
Genau diese Dinge: Regelmäßig Bewegung wirkt vorbeugend. Soziale Kontakte pflegen wirkt absolut vorbeugend. Und die Tagesstruktur halten.

Zusammenspiel von Herz und Psyche besser verstehen

Sie haben zusammen mit Herr Dr. Langheim und Frau Kleinschmidt ein Buch geschrieben: "Mein Herz + meine Seele: Das Zusammenspiel von Psyche und Herz: Spannende Einblicke in die Psychokardiologie". Was war Ihre Motivation? Und wen wollen Sie damit primär erreichen?
 
Einerseits soll es Betroffenen erreichen und ihnen helfen zu verstehen, was mit Ihnen los ist.
Und wir haben oft das Problem, dass unsere Patienten sagen, meine Angehörigen, die verstehen zwar, was ein Herzinfarkt ist, aber sie sagen: Mensch, der Infarkt ist doch jetzt ein Jahr her - warum geht es dir noch nicht wieder gut? Dann kann man das Buch auch mal den Angehörigen zu lesen geben.
 
Bisher gab es im Wesentlichen nur Fachliteratur dazu, die in Fachchinesisch geschrieben ist. Wir finden diese Zusammenhänge zwischen Herz und Seele so spannend, dass wir gesagt haben: Wir schreiben das einfach mal allgemein verständlich auf und erklären die Funktion des Herzens und wie Herz und Seele zusammenhängen und was es dabei für Probleme geben kann. Und wenn man das weiß, dann kann man auch besser vorbeugen.

Professor Köllner, danke Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Angelika Schneider.

Buchtipp!

Mein Herz + meine Seele: Das Zusammenspiel von Psyche und Herz: Spannende Einblicke in die Psychokardiologie

Prof. Dr. med. Volker Köllner, Dr. med. Eike Langheim, Judit Kleinschmidt

TRIAS Verlag, 2020
216 Seiten
ISBN 978-3-432-10757-8
Preis: 19,99€

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