Kinder auf Rad und Kickroller (Bild: imago/Westend61)
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Interview l Nützliches Wissen gegen Rücken- und Gelenkschmerz - Gesund rollen: Haltung wahren auf Rad & Brett

Um engen Bussen und Waggons zu entgehen, haben viele die Fortbewegung auf Rollen (wieder) entdeckt: Fahrräder, aber auch fußangetriebene Roller werden nicht nur intensiver, sondern auch regelmäßiger genutzt. Doch diese Form von mehr Bewegung hat nicht nur Vorteile - um Rücken-, Nacken- und Muskelschmerz zu vermeiden, können Rollende einiges tun, sagt Dr. Margrit Lock erfahren, Orthopädin & Sportmedizinerin aus Berlin-Friedenau. 

Frau Dr. Lock,  Beispiel Fahrrad: Wenn das Rad  nach längerer Zeit wieder zum besten Freund  -  und vor allem regelmäßigen Verkehrsmittel - wird, welche orthopädischen Probleme kann das mit sich bringen?
 
Also es fängt schon damit an, dass viele Leute gar nicht gewohnt sind, sich im Straßenverkehr auf einem Fahrrad zu bewegen. Das heißt: Gerade beim dichten Verkehr heutzutage in Berlin gibt es sowieso schon oft Fahrunsicherheiten. Deswegen ist es besonders wichtig, wenn das Fahrrad vernünftig passt, also vor allem weder zu groß noch zu klein ist, weil es dann leichter ist, die Balance überhaupt vernünftig zu halten und auch schnell anhalten zu können. 

 
Dann ist die Wahl unter den verschiedenen Modellen auch nicht unwichtig, weil die Haltung darauf sehr unterschiedlich ist: Es gibt die sportlichen, angefangen beim Rennrad, aber auch Mountainbikes usw. und die eher klassischen Räder, Citybikes und dergleichen – und letztere haben eine aufrechtere Sitzposition. 

Je windschnittiger die Fahrhaltung, desto ansprungsvoller für den Oberkörper, richtig?  
 
Ja, für jemanden, der lange nicht Fahrrad gefahren ist, macht es Sinn, eigentlich erst mal ein Rad zu haben, was etwas weniger sportlich ist. Das heißt, man sitzt etwas weniger vorne übergebeugt, denn an so eine Haltung muss sich der Körper eigentlich erst mal ein bisschen gewöhnen.  
 
Gerade Leute, die jetzt wenig aktiv gewesen sind, haben oft gar nicht mehr so viel Armkraft. Und da treten dann die ersten Beschwerden auf: Wenn man sehr weit vorne übergebeugt ist, wie auf einem Rennrad zum Beispiel, oder jedenfalls auf einem Fahrrad, wo Lenker und Sattel sehr weit auseinander sind. Dann stützt man sich automatisch auch mehr über die Arme ab und das sind die Leute oft gar nicht mehr gewöhnt, weil man im Alltag wirkliche Armkraft eigentlich selten braucht.  
 
Das zweite Problem, dem man dann begegnet ist: Wenn man sich weit nach vorne beugen muss, mit den Armen mehr Gewicht abfängt, dann muss man ja trotzdem auch, um nach vorne schauen zu können, den Kopf dabei mehr in den Nacken nehmen. Und auch das ist für Viele eine ungewohnte Haltung.  
 
Viele Leute sprechen heute vom "Handynacken", der daher kommt, dass man dauernd schräg runter aufs Handy schaut. Das heißt, der Kopf ist eigentlich eher immer ein bisschen kinnwärts gebeugt. Und wenn ich auf einem Sportrad sitze, dann neige ich den Kopf genau in die entgegengesetzte Richtung, also lege ihn eher in den Nacken.  

Nach oben schaut man auch sonst im Alltag eher selten und wenn, dann kurz. Runter aufs Handy dagegen oft und lang ... tatsächlich eine Art Gegenbewegung, oder?
 
Beim Blick aufs Handy ist die Nackenmuskulatur eben eigentlich die ganze Zeit in einer gedehnten Position und wenn ich jetzt auf einem sportlicheren Fahrrad  meinen Kopf in den Nacken nehme, muss sich die Muskulatur ja verkürzen. Außerdem muss die Wirbelsäule überhaupt in der Lage sein, eine Neigung nach hinten zu machen - viele Leute haben da schon Schwierigkeiten. Das sehe ich im Alltag in der Praxis, wenn sie ganz normal sitzen und sollen an die Decke gucken. Diese Bewegung machen viele im Alltag selten, vielleicht noch mal am Küchenschrank hochgreifen. Und gerade in Coronazeiten, wo viele weniger rausgekommen sind, nicht mal Flugzeuge flogen, zu denen man hochgeguckt hat, ist das noch weniger geworden. 
 
Also weder die Flexibilität der Wirbelsäule ist entsprechend trainiert noch die Muskulatur, um dann auch mal unsere Position zu halten auf einem sportlichen Rad.

Was sind die Folgen?
 
Nackenschmerzen, Schulterschmerzen. Das, was Leute immer so als Verspannung bezeichnen, was sie eben als unangenehm empfinden. Aber auch Handgelenksprobleme, wenn man sich einfach so lange vorne aufstützen muss, dann sind sie das tatsächlich nicht mehr gewöhnt.

Und sind das aber eigentlich wichtige Bewegungen – der Blick nach oben? Kopf in den Nacken legen? Also wäre es grundsätzlich gut, das öfter zu machen, wenn auch nicht gleich eine Stunde auf dem Rennrad?
 
Ja, also ich beschäftige mich auch mit dem Thema Neuroathletik seit einem guten halben Jahr und das sind alles Kopfpositionen, die eigentlich wichtig sind, damit unser Gehirn gut funktionieren kann. Also es ist wichtig den Kopf in viele unterschiedliche Positionen zu bringen.  
 
Und das ist was, das in der Corona-Zeit eben auch nicht mehr passiert ist, weil Leute noch nicht mal mehr den Weg zur Arbeit genommen haben. Sie waren nicht im Urlaub, sie sind nicht durch die Wellen gesprungen, auf den Berg geklettert oder irgendetwas, sondern saßen irgendwo und haben geradeaus geguckt. Damit verkümmern bestimmte Bereiche einfach komplett und die müssen wir dann langsam wieder aufbauen.  

Heißt: Grundsätzlich ist Radfahren da ein super Training, nicht nur für die Muskeln? 
 
Genau. Berlin ist ja nun recht flach. Aber man fährt vielleicht doch mal ein bisschen irgendwo hoch und ein bisschen runter oder um eine Kurve. Man muss z.B. einem Gully ausweichen oder was auch immer.  All das aktiviert unser Gleichgewichtsorgan und das ist wieder gut für die Hirnfunktion. 

Neben der Wahl des Rades – was ist besonders wichtig, damit Radeln keine schmerzhaften Folgen hat?
 
Vor allem die Sattelhöhe - die ist, neben dem Abstand zwischen Sattel und Lenker, extrem wichtig. Wenn ich zu hoch sitze, dann wackelt es sozusagen im Becken - ich rutschte immer ein bisschen hin und her, um überhaupt die Pedale vernünftig zu treten und das kann Schmerzen im unteren Rücken verursachen.  
 
Oder ich habe den Sattel zu niedrig eigestellt: Dann habe ich eine so starke Beugung im Knie, dass das eben auch Knieprobleme auslösen kann. Dabei ist normalerweise Fahrradfahren das Beste an Sport, was es für die Knie gibt.  
 
Und dann ist auch die Wahl des Ganges wichtig, wenn ich Gänge habe: Ich sollte, wenn ich jetzt nicht gerade Radfahren als Krafttraining mache, eher etwas kleinere Gänge wählen und dafür eine höhere Umdrehung [Anm. d. Red.: Also Gänge mit wenig Widerstand, bei denen man dafür mehr treten muss].  Das ist sowohl fürs Herz-Kreislauf-System als auch für die Kniegelenke einen perfektes Training und sorgt so sozusagen auch für eine perfekte Schmierung der Gelenke. 
 
Und ich empfehle: Immer einen Helm tragen beim Radfahren.

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Wie ist das beim Kick- oder Tretroller? Die Haltung ist ja sehr aufecht, aber nicht gerade natürlich. Welche Muskeln werden da besonders beansprucht?
 
Bei Erwachsenen sehe ich das noch nicht so oft im Straßenbild, aber ich muss zugeben: Vor rund zwei Jahren habe ich mal den Roller eines meiner Kinder von der Schule nach Hause gefahren - und das war für die Muskulatur so anstrengend! Ich bin eigentlich ganz gut in Form, aber ich habe gemerkt, dass diese Art der Bewegungsbelastung - dieses Abdrücken nach hinten - da braucht man die Gesäßmuskulatur, die hintere Oberschenkelmuskulatur und so ein paar Muskeln, die offensichtlich im Alltag mindestens bei mir auch nicht so trainiert werden, wie man sich das vielleicht wünschen würde. 

Und was die Haltung angeht?
 
Naja, normalerweise haben die Leute ja einen Lieblingsbein, mit dem sie tatsächlich Roller fahren. Und wenn sie das jetzt mehr machen - den Roller regelmäßig und viel Nutzen, vielleicht in Kombination mit der S-Bahn oder in der Freizeit auf dem Tempelhofer Feld über Stunden, dann kann es schon passieren, dass es zum Beispiel zur Überlastung im Bereich der Achillessehne kommt, weil man diese ständige Abdrücken vom Boden gar nicht gewöhnt ist. 

Und wenn man das Bein wechseln würde beim Rollern? Könnte man das so ausgleichen?
 
Das ist nicht so leicht - die meisten Leute, auch im professionellen Sport, z.B. die einen Handstand machen oder ein Rad schlagen können oder mal Weitsprung gemacht haben - die machen das [Abdrücken] in der Regel über ein Bein und sind motorisch in der Regel auch mit dem anderen deutlich schlechter.  
 
Wenn man es aber schafft, ist es eigentlich eine gute motorische Aufgabe. Also wenn man sagt: Mir kommt es jetzt nicht nur auf die Schnelligkeit bei den letzten zwei Kilometern zur S-Bahn-Station an, sondern ich will gleichzeitig was für mein Herz-Kreislauf-System machen und für mein motorisches System. Dann ist es eigentlich eine gute Aufgabe zu sagen: Ich mache jetzt einfach mal den Hinweg mit dem rechten Bein und den Rückweg über das linke Bein. Also das Gehirn freut sich über solche Aufgaben und die Muskulatur natürlich auch. 
 
Alles, was unser Gehirn neu beschäftigt, führt dazu, dass wir jede Aufgabe besser lösen können und dann eben auch Denkaufgaben besser lösen können. Das weiß man eben gerade auch in der Neuroathletik: Diese Verknüpfung von Bewegungsaufgaben mit Denkaufgaben funktioniert super. 

Frau Dr. Lock, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici

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